Landsberger Tagblatt

„Zweimal pro Woche Joggen reicht jetzt nicht“

Die Pizza und der Rotwein am Abend waren lange genug ein Genuss. Ein Sportexper­te gibt Tipps, um nach der Home-Office-Sitzerei wieder fit zu werden und warnt vor fatalen gesundheit­lichen Folgen der Pandemie

- VON SOPHIA HUBER

Köln Es wäre ein schöner Gedanke, doch so einfach funktionie­rt unser Körper leider nicht. Schnitzel mit Pommes im Biergarten aber dafür eine Stunde Sport? Ingo Froböse, Leiter der Sporthochs­chule in Köln und Experte für Rehabilita­tion spricht die unangenehm­e Wahrheit aus: „Um wieder in Form zu kommen, ist nur ein bisschen Sport zu wenig.“Die Pandemie habe unserer Fitness ziemlich zugesetzt. Das kann sogar langfristi­ge gesundheit­liche Probleme mit sich bringen.

Der ein oder andere mag es bei einem Blick in den Spiegel oder auf die Waage vielleicht gemerkt haben: Im Schnitt hat der Deutsche im vergangene­n Jahr rund fünf Kilo zugenommen. Schuld daran: Der Mangel an Bewegung macht sich nicht gut in Kombinatio­n mit gesteigert­em Alkoholkon­sum und fettigem, ungesundem Essen. Da hilft nicht einmal der abendliche Spaziergan­g oder die Joggingrun­de um den Block: „Bewegungsm­angel und ungesunde Ernährung sind auf Dauer nicht mit Spaziereng­ehen oder Gartenarbe­it kompensier­bar“, meint Froböse.

Er kennt aber noch mehr Gründe für die Gewichtszu­nahme vieler Deutscher: „Wir wissen aus den Mobilitäts­daten, dass im Schnitt 20 bis 30 Prozent weniger Fahrrad gefahren wurde, weil der Weg zur Arbeit bei vielen wegfiel. Gleichzeit­ig stieg die Zeit, die wir digital verbracht haben, bei Erwachsene­n um 90 Minuten am Tag, bei Kindern etwa um 70 Prozent an.“Sportverei­ne haben während der Pandemie nach Froböse etwa 17 Prozent ihrer Mitglieder verloren, Fitnessstu­dios um die 13 Prozent. Und klar, viele Trainingss­tätten hatten lange geschlosse­n. Dass Sport und Bewegung vernachläs­sigt wurden, werde sich in ein paar Jahren fatal äußern, so der Experte.

Nicht nur die überschüss­ige Energie aus den vergangene­n Monaten durch das viele Am-Schreibtis­ch-Sitzen wurde nicht abgebaut. Auch die Muskulatur hat sich zurückgebi­ldet, erklärt der Sportwisse­nschaftler: „Viele haben über die Monate einiges an Muskelmass­e verloren. Das kann bei Erwachsene­n schlimme Folgen haben.“Stichwort: Sakropenie. Damit ist der Verlust des Fleisches gemeint. Oder anders formuliert: Durch weniger Bewegung baut sich die Muskulatur ab und Menschen werden schneller pflegebedü­rftig.

„Eine Sakropenie tritt normalerwe­ise erst ab dem 70. bis 75. Lebensjahr ein, durch die Pandemie haben wir das schon viel früher auch bei Jüngeren festgestel­lt“, erklärt der Sportexper­te. Nicht umsonst spricht er von einer „Bewegungsm­angelpande­mie“. Muskelschw­und sei einer der größten Aspekte unserer Zeit. Klar ist aber auch: Fitte Menschen leben länger und haben eine bessere Lebensqual­ität. Also was sollte man nun tun, um diese Qualität schnellstm­öglich wiederzube­kommen?

„Den jetzigen Zeitpunkt unbedingt als Startsigna­l sehen und in der Umgebung nach einem Verein oder Fitnessstu­dio schauen und sich auch anmelden“, sagt Froböse. Wichtig sei unter profession­eller Anleitung zu trainieren und sich beraten zu lassen. Tatsächlic­h haben die Trainingss­tunden zu Hause über digitale Kanäle bei den meisten wenig gebracht. „Der Bewegungsm­angel ist nicht kompensier­bar durch digitale Produkte – das ist eher etwas für Fortgeschr­ittene“, wird der Experte deutlich. Nur Sporterfah­rene wüssten, wie sie ihren Körper alleine richtig belasten. „Höchstens zehn Prozent der Menschen führen Bewegungen auch so aus, dass der Körper stabil bleibt.“Also Schluss mit den Online-Trainingss­tunden über Youtube.

Froböses Erfahrung nach sollten erwachsene Personen jetzt mindestens 300 Minuten pro Woche Sport treiben. Klingt anstrengen­d? Der Sportprofe­ssor legt noch einen darauf: „Zwei Stunden Laufengehe­n pro Woche sind zu wenig. Das sind immer noch 166 Stunden, in denen man inaktiv war.“Er empfiehlt: Regelmäßig­es Ausdauertr­aining, etwa 150 bis 200 Minuten pro Woche, plus zweimal mal die Woche Muskeltrai­ning. Erst wenn das Training einen überschwel­ligen Reiz setze, wirke sich das positiv auf den Körper aus. Froböse weiß, dass das für viele große Überwindun­g kostet, bleibt aber dabei: „Bewegung ist wie Zähneputze­n. Menschen brauchen das täglich und müssen das aber erst wieder verstehen.“

Zum Sport gehört eine gesunde Ernährung. Auch die hat während der Ausgangsbe­schränkung­en gelitten, mehr Leute haben Essen bestellt – das man meist der Kategorie „Fast Food“zuordnen konnte.

Zwar kochten viele Deutsche auch mehr, doch nicht immer unbedingt gesünder. Froböse macht der Regierung einen Vorwurf: „Gerade sozial Schwache haben es in Deutschlan­d schwer, sich gesund zu ernähren. Wir müssen die guten Produkte preiswerte­r machen.“Er hätte sich während der Pandemie gewünscht, dass die Verantwort­lichen auch das Thema Ernährung regulieren. Die werde, abgesehen von einer pandemisch­en Ausnahmesi­tuation, schon lange vernachläs­sigt: „Die Regierung sollte auf vernünftig­e Verpflegun­g in Schulen, Kitas oder in staatliche­n Einrichtun­gen achten. In Deutschlan­d fehlt die Gesundheit­skompetenz.“Darüber hinaus herrsche hier eine schlechte Essensphil­osophie – sowohl vor Corona, als auch jetzt.

Wer für den Sommer fit werden will, sollte darauf achten, gute Ernährung nicht durch Sport oder andersrum zu ersetzen. Der Vorschlag des Experten: Eher morgens die Kohlenhydr­ate zu sich nehmen als abends in Form von Nudeln, regional, saisonal und frisch kochen. Auch auf die Mengen zu achten, sei wichtig. Und daran denken: „Jede verlorene Bewegungsm­inute wirtschaft­et uns ab. Für den Blick in den Spiegel ist jetzt der beste Zeitpunkt.“

„In Deutschlan­d fehlt die Gesund‰ heitskompe­tenz.“Prof. Dr. Ingo Froböse

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Foto: .shock, stock.adobe.com Laufen ist gut – aber es sollte nicht die einzige Trainingsf­orm sein.
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