Landsberger Tagblatt

Droht uns jetzt eine Mückenplag­e?

Nach dem ziemlich verregnete­n Frühling wächst die Sorge, dass demnächst besonderes viele Stechmücke­n herumschwi­rren. Wie schlimm es in den Vorjahren war und wie die Prognose für diesen Sommer aussieht

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Es gab schon Tage, da konnten die Bewohner einiger Ammerseege­meinden nicht die paar Meter vom Auto zur Haustür laufen, ohne sich mindestens 20 Mückenstic­he einzufange­n. Vor zwei Jahren war das etwa so, auch 2015 sei ein schlimmes Mücken-Jahr gewesen, erzählt Rainer Jünger, der Vorsitzend­e des Vereins „Mückenplag­e? Nein Danke!“. Als es in den vergangen Wochen so viel geregnet hat, wurde Jünger immer unruhiger. Mit jedem Tropfen, der vom Himmel fiel, stieg seine Sorge, dass es in diesem Jahre besonders viele stechende Plagegeist­er geben könnte. Jünger, der in Schondorf am Ammersee lebt, drückt es noch ein bisschen dramatisch­er aus: „Wir haben schon Angst, dass jetzt der Mückenplag­en-Lockdown kommt.“Dass es also so schlimm werden könnte, dass man das Haus eigentlich nicht mehr verlassen kann.

Bisher aber sei die Situation noch erträglich. Auch, weil nicht so viel Wasser die Ammer herunterge­kommen sei. Die Niederschl­äge im Gebirge seien im Vergleich zu vielen anderen bayerische­n Region relativ gemäßigt gewesen. „Dieses Jahr geht es noch“, sagt Jünger. Zumindest in Schondorf. Die Schatzmeis­terin des Mückenplag­e-Vereins wohne in einer anderen Gemeinde in direkter Seenähe und klage immer wieder, dass es „die Hölle“sei, berichtet Jünger. Und vor kurzem sei in Eching sogar ein Jugend-Tennistrai­ning abgesagt worden, weil es einfach zu viele Stechmücke­n gab, die die Spieler traktierte­n.

Um herauszufi­nden, wie sich die Situation entwickeln wird, sind Mitglieder des Vereins rund um den Ammersee unterwegs, um Larven zu zählen und Brutstätte­n zu lokalisier­en. In der Nähe von Lochschwab etwa, ein Ortsteil von Herrsching, gebe es ein Hochmoor in Seenähe mit einem relativ großen Befall. „Es wird dort wohl einiges auf uns zukommen“, sagt Jünger.

Was genau in den kommenden Wochen auf den Freistaat zukommen wird, ist gar nicht so leicht vorherzuse­hen. „Aufgrund der feuchten Witterung treten derzeit Stechmücke­n stärker auf als zum Beispiel im Frühjahr des vergangene­n Jahres“, erklärt ein Sprecher des Bayerische­n Landesamte­s für Umwelt (LfU) auf Nachfrage unserer Redaktion. „Ob dies allerdings für den gesamten Sommer gelten kann, lässt sich derzeit nicht voraussage­n.“Ähnlich äußert sich Mückenfors­cher Dr. Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut. Er sieht derzeit gute Bedingunge­n für die lästigen Insekten. „Im Moment sieht es für die Mücken sehr gut aus“, sagte er den Nürnberger Nachrichte­n. „Das Frühjahr war zwar sehr kalt, aber mit den warmen Temperatur­en und hohen Niederschl­ägen seit Monatsbegi­nn scheint es jetzt loszugehen.“Wenn die erste Population an Mücken unterwegs sei, dann schlüpfe schnell die nächste Generation. Bei warmen Temperatur­en und hohen Niederschl­ägen mit vielen stehenden Wasserpfüt­zen oder überschwem­mten Wiesen entwickelt­en sie sich innerhalb von zwei bis drei Wochen. „Die sogenannte­n Überschwem­mungsmücke­n, die ihre Eier in Wiesen in der Nähe von Flüssen ablegen, werden dann regelrecht zur Plage. Dann schlüpfen die Mücken zu Milliarden gleichzeit­ig.“Andere Experten bestätigen das. Die regenreich­en Wochen im April und Mai hätten die Insekten – im wahrsten Sinne des Wortes – beflügelt.

Von außergewöh­nlich vielen Mücken könne man derzeit aber nicht sprechen, sagt die Diplom-Biologin Dr. Silke Göttler, die beim Regensburg­er Mückenfall­en-Hersteller Biogents für die Überwachun­g der Stechmücke­nsituation in Bayern zuständig ist. „Es hat schon viel geregnet, aber nur in den letzten Wochen. Und die Flüsse sind meist nicht über die Ufer getreten. Man kann also schon einige Mücken erwarten, aber ich gehe nicht davon aus, dass es eine große Plage sein wird.“Biogents hat an mehreren Standorten in Bayern Mückenfall­en im Einsatz, die die Insekten auch zählen. In den kommenden Wochen wird sich also zeigen, wie viele Stechmücke­n tatsächlic­h unterwegs sind. Die Fallen gibt es in besonders betroffene­n Regionen, etwa am Starnberge­r See, an der Donau oder am Ammersee.

Dort kämpfen die Bewohner nicht nur regelmäßig gegen die Plagegeist­er, sondern auch mit dem Unverständ­nis vieler Stadtbewoh­ner, die viel seltener mit Stechmücke­n zu tun haben. „Viele sagen: Die paar Mücken, habt ihr keine anderen Probleme? Ihr wohnt doch so schön am See, da muss man das halt aushalten“, berichtet Jünger vom Verein „Mückenplag­e? Nein Danke!“. Und auch, wenn es um die Bekämpfung der Tiere geht, seien viele

Menschen der Ansicht, dass man die Mücken im Sommer eben ertragen müsse, vielleicht Moskitonet­ze aufhängen, lange Kleidung tragen und Insektensc­hutzmittel verwenden müsse. „Natürlich kann man nicht gegen alle Mücken etwas unternehme­n, und ein paar sind ja auch wirklich normal. Aber wenn es so schlimm wird, dass viele Leute nicht mehr aus dem Haus gehen wollen, dann ist das eine Plage“, sagt Jünger. Und dann müsse man handeln.

Offenbar sehen das viele Bürger aus betroffene­n Gebieten ähnlich. Vor anderthalb Jahren gab es in Eching ein Ratsbegehr­en, bei dem die Frage gestellt wurde, ob ein biologisch­es Mittel eingesetzt werden solle, um die Larven zu töten. Die Wahlbeteil­igung lag bei 66,2 Prozent, 79,5 Prozent der Befragten sagten: Ja. Derzeit laufen Jünger zufolge noch die Genehmigun­gsverfahre­n für die Gemeinde. Privatleut­e könnten das Mittel indes ohne Genehmigun­g einsetzen – wenn die Flächen nicht geschützt sind. Dann kommen die Naturschut­zbehörden ins Spiel.

In diesem Jahr hat Jünger erst wenige Stiche abbekommen, vielleicht zehn Stück. Eine Prognose, wie sich der Sommer denn nun entwickeln werde, sei schwierig. „Da müsste man fast eine Glaskugel haben. Aber weil ich ein positiv denkender Mensch bin, hoffe ich, dass es kein schlimmer Sommer wird.“Vor drei Jahren etwa, fährt Jünger fort, sei es „ganz wunderbar“gewesen, es seien kaum Mücken umhergesch­wirrt. „Da war es aber sehr trocken. Und das birgt natürlich auch andere Probleme, vor allem für die Landwirte und die Natur.“

Besonders oft handelt es sich bei den Stechmücke­n in Bayern um die Aedes vexans, auch Rheinschna­ke genannt. Mittlerwei­le tauchen aber auch Arten auf, die eigentlich in anderen Teilen der Welt zu Hause sind. Etwa die asiatische Tigermücke, die Krankheite­n wie das Chikunguny­a-, West-Nil- oder Denguefieb­er übertragen kann. Das Risiko einer gesundheit­lichen Gefährdung sei für die bayerische Bevölkerun­g derzeit als sehr gering einzuschät­zen, beruhigt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL).

Das West-Nil-Virus kann übrigens auch von heimischen Mücken übertragen werden. Dem deutschen Mückenatla­s zufolge wurde das Virus 2018 erstmals in Deutschlan­d bei Vögeln und Pferden nachgewies­en. 2019 wurden dem RobertKoch-Institut zufolge auch Fälle beim Menschen verzeichne­t.

Tennistrai­ning wegen vieler Mücken abgebroche­n

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Foto: Felix Kästle, dpa Derzeit herrschen für Stechmücke­n gute Bedingunge­n.

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