Droht uns jetzt eine Mückenplage?
Nach dem ziemlich verregneten Frühling wächst die Sorge, dass demnächst besonderes viele Stechmücken herumschwirren. Wie schlimm es in den Vorjahren war und wie die Prognose für diesen Sommer aussieht
Augsburg Es gab schon Tage, da konnten die Bewohner einiger Ammerseegemeinden nicht die paar Meter vom Auto zur Haustür laufen, ohne sich mindestens 20 Mückenstiche einzufangen. Vor zwei Jahren war das etwa so, auch 2015 sei ein schlimmes Mücken-Jahr gewesen, erzählt Rainer Jünger, der Vorsitzende des Vereins „Mückenplage? Nein Danke!“. Als es in den vergangen Wochen so viel geregnet hat, wurde Jünger immer unruhiger. Mit jedem Tropfen, der vom Himmel fiel, stieg seine Sorge, dass es in diesem Jahre besonders viele stechende Plagegeister geben könnte. Jünger, der in Schondorf am Ammersee lebt, drückt es noch ein bisschen dramatischer aus: „Wir haben schon Angst, dass jetzt der Mückenplagen-Lockdown kommt.“Dass es also so schlimm werden könnte, dass man das Haus eigentlich nicht mehr verlassen kann.
Bisher aber sei die Situation noch erträglich. Auch, weil nicht so viel Wasser die Ammer heruntergekommen sei. Die Niederschläge im Gebirge seien im Vergleich zu vielen anderen bayerischen Region relativ gemäßigt gewesen. „Dieses Jahr geht es noch“, sagt Jünger. Zumindest in Schondorf. Die Schatzmeisterin des Mückenplage-Vereins wohne in einer anderen Gemeinde in direkter Seenähe und klage immer wieder, dass es „die Hölle“sei, berichtet Jünger. Und vor kurzem sei in Eching sogar ein Jugend-Tennistraining abgesagt worden, weil es einfach zu viele Stechmücken gab, die die Spieler traktierten.
Um herauszufinden, wie sich die Situation entwickeln wird, sind Mitglieder des Vereins rund um den Ammersee unterwegs, um Larven zu zählen und Brutstätten zu lokalisieren. In der Nähe von Lochschwab etwa, ein Ortsteil von Herrsching, gebe es ein Hochmoor in Seenähe mit einem relativ großen Befall. „Es wird dort wohl einiges auf uns zukommen“, sagt Jünger.
Was genau in den kommenden Wochen auf den Freistaat zukommen wird, ist gar nicht so leicht vorherzusehen. „Aufgrund der feuchten Witterung treten derzeit Stechmücken stärker auf als zum Beispiel im Frühjahr des vergangenen Jahres“, erklärt ein Sprecher des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) auf Nachfrage unserer Redaktion. „Ob dies allerdings für den gesamten Sommer gelten kann, lässt sich derzeit nicht voraussagen.“Ähnlich äußert sich Mückenforscher Dr. Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut. Er sieht derzeit gute Bedingungen für die lästigen Insekten. „Im Moment sieht es für die Mücken sehr gut aus“, sagte er den Nürnberger Nachrichten. „Das Frühjahr war zwar sehr kalt, aber mit den warmen Temperaturen und hohen Niederschlägen seit Monatsbeginn scheint es jetzt loszugehen.“Wenn die erste Population an Mücken unterwegs sei, dann schlüpfe schnell die nächste Generation. Bei warmen Temperaturen und hohen Niederschlägen mit vielen stehenden Wasserpfützen oder überschwemmten Wiesen entwickelten sie sich innerhalb von zwei bis drei Wochen. „Die sogenannten Überschwemmungsmücken, die ihre Eier in Wiesen in der Nähe von Flüssen ablegen, werden dann regelrecht zur Plage. Dann schlüpfen die Mücken zu Milliarden gleichzeitig.“Andere Experten bestätigen das. Die regenreichen Wochen im April und Mai hätten die Insekten – im wahrsten Sinne des Wortes – beflügelt.
Von außergewöhnlich vielen Mücken könne man derzeit aber nicht sprechen, sagt die Diplom-Biologin Dr. Silke Göttler, die beim Regensburger Mückenfallen-Hersteller Biogents für die Überwachung der Stechmückensituation in Bayern zuständig ist. „Es hat schon viel geregnet, aber nur in den letzten Wochen. Und die Flüsse sind meist nicht über die Ufer getreten. Man kann also schon einige Mücken erwarten, aber ich gehe nicht davon aus, dass es eine große Plage sein wird.“Biogents hat an mehreren Standorten in Bayern Mückenfallen im Einsatz, die die Insekten auch zählen. In den kommenden Wochen wird sich also zeigen, wie viele Stechmücken tatsächlich unterwegs sind. Die Fallen gibt es in besonders betroffenen Regionen, etwa am Starnberger See, an der Donau oder am Ammersee.
Dort kämpfen die Bewohner nicht nur regelmäßig gegen die Plagegeister, sondern auch mit dem Unverständnis vieler Stadtbewohner, die viel seltener mit Stechmücken zu tun haben. „Viele sagen: Die paar Mücken, habt ihr keine anderen Probleme? Ihr wohnt doch so schön am See, da muss man das halt aushalten“, berichtet Jünger vom Verein „Mückenplage? Nein Danke!“. Und auch, wenn es um die Bekämpfung der Tiere geht, seien viele
Menschen der Ansicht, dass man die Mücken im Sommer eben ertragen müsse, vielleicht Moskitonetze aufhängen, lange Kleidung tragen und Insektenschutzmittel verwenden müsse. „Natürlich kann man nicht gegen alle Mücken etwas unternehmen, und ein paar sind ja auch wirklich normal. Aber wenn es so schlimm wird, dass viele Leute nicht mehr aus dem Haus gehen wollen, dann ist das eine Plage“, sagt Jünger. Und dann müsse man handeln.
Offenbar sehen das viele Bürger aus betroffenen Gebieten ähnlich. Vor anderthalb Jahren gab es in Eching ein Ratsbegehren, bei dem die Frage gestellt wurde, ob ein biologisches Mittel eingesetzt werden solle, um die Larven zu töten. Die Wahlbeteiligung lag bei 66,2 Prozent, 79,5 Prozent der Befragten sagten: Ja. Derzeit laufen Jünger zufolge noch die Genehmigungsverfahren für die Gemeinde. Privatleute könnten das Mittel indes ohne Genehmigung einsetzen – wenn die Flächen nicht geschützt sind. Dann kommen die Naturschutzbehörden ins Spiel.
In diesem Jahr hat Jünger erst wenige Stiche abbekommen, vielleicht zehn Stück. Eine Prognose, wie sich der Sommer denn nun entwickeln werde, sei schwierig. „Da müsste man fast eine Glaskugel haben. Aber weil ich ein positiv denkender Mensch bin, hoffe ich, dass es kein schlimmer Sommer wird.“Vor drei Jahren etwa, fährt Jünger fort, sei es „ganz wunderbar“gewesen, es seien kaum Mücken umhergeschwirrt. „Da war es aber sehr trocken. Und das birgt natürlich auch andere Probleme, vor allem für die Landwirte und die Natur.“
Besonders oft handelt es sich bei den Stechmücken in Bayern um die Aedes vexans, auch Rheinschnake genannt. Mittlerweile tauchen aber auch Arten auf, die eigentlich in anderen Teilen der Welt zu Hause sind. Etwa die asiatische Tigermücke, die Krankheiten wie das Chikungunya-, West-Nil- oder Denguefieber übertragen kann. Das Risiko einer gesundheitlichen Gefährdung sei für die bayerische Bevölkerung derzeit als sehr gering einzuschätzen, beruhigt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).
Das West-Nil-Virus kann übrigens auch von heimischen Mücken übertragen werden. Dem deutschen Mückenatlas zufolge wurde das Virus 2018 erstmals in Deutschland bei Vögeln und Pferden nachgewiesen. 2019 wurden dem RobertKoch-Institut zufolge auch Fälle beim Menschen verzeichnet.
Tennistraining wegen vieler Mücken abgebrochen