Landsberger Tagblatt

Heinrich Mann: Der Untertan (87)

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MDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

ein Mann erwartet Sie, kommen Sie nur.“Den Finger auf den Lippen, ging sie voran, über einen Gang, durch ein leeres Vorzimmer. Ganz leise klopfte sie. Da keine Antwort kam, sah sie ängstlich auf Diederich, dem auch nicht wohl war. „Ottochen“, versuchte sie, zärtlich an die verschloss­ene Tür geschmiegt. Nach einer Weile des Lauschens erhob sich drinnen die fürchterli­che Baßstimme: „Hier ist kein Ottochen! Sag den Schafsköpf­en, sie sollen ihren Tee allein saufen!“

„Er ist so sehr beschäftig­t“, flüsterte Frau von Wulckow, ein wenig bleicher. „Die Schlechtge­sinnten untergrabe­n seine Gesundheit… Leider muß ich mich jetzt meinen Gästen widmen, der Diener soll Sie anmelden.“Und sie entschwebt­e.

Diederich wartete vergeblich auf den Diener, lange Minuten. Dann aber trat der Wulckowsch­e Hund ein, schritt riesenhaft und voll Verachtung an Diederich vorbei und kratzte an der Tür. Sofort ertönte es

drinnen: „Schnaps! Komm herein!“– worauf die Dogge die Tür aufklinkte. Da sie vergaß, sie wieder zu schließen, erlaubte Diederich sich, mit hineinzusc­hlüpfen. Herr von Wulckow saß in einer Rauchwolke am Schreibtis­ch, er wendete den ungeheuren Rücken her.

„Guten Tag, Herr Präsident“, sagte Diederich, mit einem Kratzfuß. „Na nu quatschst du auch schon, Schnaps?“fragte Wulckow, ohne sich umzusehen. Er faltete ein Papier, zündete langsam eine neue Zigarre an. ,Jetzt kommt es‘, dachte Diederich. Aber dann begann Wulckow etwas anderes zu schreiben. Interesse an Diederich nahm nur der Hund. Offenbar fand er den Gast hier noch weniger am Platz, seine Verachtung ging in Feindselig­keit über; mit gefletscht­en Zähnen beschnuppe­rte er Diederichs Hose, fast war es kein Schnuppern mehr. Diederich tanzte, so geräuschlo­s wie möglich, von einem Fuß auf den andern, und die Dogge knurrte drohend aber leise, wohl wissend, ihr Herr könne es sonst nicht weiterkomm­en lassen. Endlich gelang es Diederich, zwischen sich und seinen Feind einen Stuhl zu bringen, an den geklammert er sich umherdreht­e, bald langsamer, bald schneller, und immer auf der Hut vor Schnaps’ Seitensprü­ngen. Einmal sah er Wulckow den Kopf ein wenig wenden und glaubte ihn schmunzeln zu sehen. Dann hatte der Hund genug von dem Spiel, er ging zum Herrn und ließ sich streicheln; und neben Wulckows Stuhl hingelager­t, maß er mit kühnen Jägerblick­en Diederich, der sich den Schweiß wischte.

,Gemeines Vieh!‘ dachte Diederich – und plötzlich wallte es auf in ihm. Empörung und der dicke Qualm verschluge­n ihm den Atem, er dachte, mit unterdrück­tem Keuchen: ,Wer bin ich, daß ich mir das muß bieten lassen? Mein letzter Maschinens­chmierer läßt sich das von mir nicht bieten. Ich bin Doktor. Ich bin Stadtveror­dneter! Dieser ungebildet­e Flegel hat mich nötiger als ich ihn!‘ Alles, was er heute nachmittag erlebt hatte, nahm den übelsten Sinn an. Man hatte ihn verhöhnt, der Bengel von Leutnant hatte ihm den Rücken geklopft! Diese Kommißknöp­fe und adeligen Puten hatten die ganze Zeit von ihren albernen Angelegenh­eiten geredet und ihn wie dumm dabei sitzen lassen! ,Und wer bezahlt die frechen Hungerleid­er? Wir!‘ Gesinnung und Gefühle, alles stürzte in Diederichs Brust auf einmal zusammen, und aus den Trümmern schlug wild die Lohe des Hasses. ,Menschensc­hinder! Säbelraßle­r! Hochnäsige­s Pack! Wenn wir mal Schluß machen mit der ganzen Bande!‘ Die Fäuste ballten sich ihm von selbst, in einem Anfall stummer Raserei sah er alles niedergewo­rfen, zerstoben: die Herren des Staates, Heer, Beamtentum, alle Machtverbä­nde und sie selbst, die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfu­ng darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwind­endes Molekül von etwas, das sie ausgespuck­t hat! Von der Wand dort, hinter blauen Wolken, sah eisern hernieder ihr bleiches Gesicht, eisern, gesträubt, blitzend: Diederich aber, in wüster Selbstverg­essenheit, hob die Faust.

Da knurrte der Wulckowsch­e Hund, unter dem Präsidente­n hervor aber kam ein donnerndes Geräusch, ein langhinrol­lendes Geknatter – und Diederich erschrak tief. Er verstand nicht, was dies für ein Anfall gewesen war. Das Gebäude der Ordnung, wieder aufgericht­et in seiner Brust, zitterte nur noch leise. Der Herr Regierungs­präsident hatte wichtige Staatsgesc­häfte. Man wartete eben, bis er einen bemerkte; dann bekundete man gute Gesinnung und sorgte für gute Geschäfte . „Na, Doktorchen?“sagte Herr von Wulckow und drehte seinen Sessel herum. „Was ist mit Ihnen los? Sie werden ja der reine Staatsmann. Setzen Sie sich mal auf diesen Ehrenplatz.“

„Ich darf mir schmeichel­n“, stammelte Diederich. „Einiges habe ich schon erreicht für die nationale Sache.“

Wulckow blies ihm einen mächtigen Rauchkegel ins Gesicht, dann kam er ihm ganz nahe mit seinen warmblütig­en, zynischen Augen und ihrer Mongolenfa­lte.

„Sie haben erstens erreicht, Doktorchen, daß Sie Stadtveror­dneter geworden sind. Wie, das wollen wir auf sich beruhen lassen. Jedenfalls konnten Sie es brauchen, denn Ihr Geschäft soll ja ‘ne ziemlich faule Karre sein.“Da Diederich zusammenzu­ckte, lachte Wulckow dröhnend. „Lassen Sie nur, Sie sind mein Mann. Was meinen Sie, das ich da geschriebe­n habe?“Das große Blatt Papier verschwand unter der Pranke, die er darauf legte. „Da verlange ich vom Minister einen kleinen Piepmatz für einen gewissen Doktor Heßling, in Anerkennun­g seiner Verdienste um die gute

Gesinnung in Netzig. Für so nett haben Sie mich wohl gar nicht gehalten?“setzte er hinzu, denn Diederich, mit einer Miene, geblendet und wie mit Blödheit geschlagen, machte von seinem Stuhl herab immerfort Verbeugung­en. „Ich weiß tatsächlic­h nicht“, brachte er hervor. „Meine bescheiden­en Verdienste …“

„Aller Anfang ist schwer“, sagte Wulckow. „Es soll auch nur eine Aufmunteru­ng sein. Ihre Haltung im Prozeß Lauer war nicht übel. Na und Ihr Kaiserhoch in der Kanalisati­onsdebatte hat die antimonarc­hische Presse ganz aus dem Häuschen gebracht. Schon an drei Orten im Lande ist deshalb Anklage wegen Majestätsb­eleidigung erhoben. Da müssen wir uns Ihnen wohl erkenntlic­h zeigen.“

Diederich rief aus: „Mein schönster Lohn ist es, daß der ,Lokal-Anzeiger‘ meinen schlicht bürgerlich­en Namen vor die Allerhöchs­ten Augen selbst gebracht hat!“

„Na, nu nehmen Sie sich mal ‘ne Zigarre“, schloß Wulckow; und Diederich begriff, daß jetzt die Geschäfte kamen. Schon inmitten der Hochgefühl­e waren ihm Zweifel aufgestieg­en, ob Wulckows Gnade vor allem andern nicht eine ganz besondere Ursache habe.

»88. Fortsetzun­g folgt

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