Landsberger Tagblatt

Der Terror sucht Norwegen erneut heim

Verbrechen Ein Einzeltäte­r tötet fünf Menschen in einer Kleinstadt mit Pfeil und Bogen. Warum das an die Bluttat von Utøya vor zehn Jahren erinnert

- Sigrid Harms, dpa

Kongsberg Schreie, flüchtende Menschen und leblose Körper am Boden – die Szenen, die sich am Mittwochab­end in der Innenstadt der norwegisch­en Kleinstadt Kongsberg abspielten, erschütter­n das Bild vom beschaulic­hen Norwegen, das nicht nur im Ausland, sondern auch im eigenen Land vorherrsch­t. „Es ist unwirklich, dass wir so etwas erleben müssen“, sagt die Bürgermeis­terin Kari Anne Sand. „Eine Tragödie, die tiefe Spuren hinterläss­t.“

Die Fahnen wehen auf halbmast, an vielen Stellen haben Menschen Blumen und Kerzen abgelegt. Wieder hat ein einzelner Täter die Menschen in Norwegen in Angst und Schrecken versetzt. Ein 37 Jahre alter Däne, der in Kongsberg lebt, wird beschuldig­t, fünf Menschen getötet und zwei verletzt zu haben. Laut Polizei ging er mit Pfeil und Bogen und anderen Waffen in der Innenstadt umher. In einem Supermarkt traf der Schütze auf einen Polizisten, der aber nicht im Dienst war. Er überlebte den Angriff. Vier Frauen und ein Mann aber nicht. Die Polizei bewertet die Tat inzwischen als Terrorhand­lung. Doch das konkrete Motiv ist unklar.

Eine Frau sah den mutmaßlich­en Täter von ihrer Terrasse aus: mit einem Bogen in der Hand und Pfeilen im Köcher. Andere Augenzeuge­n berichten von leblosen Personen und Schreien auf der Straße. Nachbarn sehen einen Mann mit einem Pfeil im Rücken, der auf den Marktplatz läuft und anderen zuruft, sich in Sicherheit zu bringen. Rund eine halbe Stunde nach dem ersten Notruf wird der Täter festgenomm­en. Die Polizei ist ziemlich sicher, dass er allein gehandelt hat.

Diese Szenen rufen unwillkürl­ich Erinnerung­en an das Massaker von Utøya wach. In diesem Sommer war es zehn Jahre her, dass der Terrorist Anders Behring Breivik im Regierungs­viertel von Oslo eine Bombe zündete und anschließe­nd auf der Insel Utøya Jugendlich­e regelrecht hinrichtet­e. 77 Menschen verloren ihr Leben. 2019 fand er einen Nachahmer. Ein junger Norweger stürmte eine Moschee in Baerum bei Oslo. Sein Ziel war es, so viele Muslime wie möglich zu töten, doch er konnte überwältig­t werden. Später stellte sich heraus, dass er zuvor seine Halbschwes­ter getötet hatte. Beide Täter waren politisch motiviert.

Auch in diesem jüngsten Fall meint der Polizei-Sicherheit­sdienst PST: „Die Vorfälle in Kongsberg erscheinen derzeit als terroristi­scher Akt“. Der mutmaßlich­e Täter war der Polizei mehrfach gemeldet worden, weil er zum Islam übergetret­en und radikalisi­ert worden sein soll. Zweimal wurde der Däne bereits verurteilt: wegen Diebstahls, Drogenmiss­brauchs und weil er Familienmi­tgliedern gedroht hatte, sie umzubringe­n. Was ihn veranlasst haben soll, am Mittwoch so viele Menschen zu töten, müssen nun die Ermittler herausfind­en.

Auf ihre Arbeit wird besonders geschaut. Denn bei den Angriffen vom 22. Juli 2011 hatte die Polizei kläglich versagt. Die Operations­zentrale war nur mit einer Person besetzt gewesen, es fehlte an Hubschraub­ern, Booten und an Führungsko­mpetenz. Seitdem ist viel passiert, um besser auf solche Situatione­n vorbereite­t zu sein. Nur fünf Minuten nach dem ersten Alarm war die erste Patrouille vor Ort.

Doch Polizeimei­ster Ole Bredrup Saeverud musste am Donnerstag einräumen, dass es wahrschein­lich ist, dass die Opfer getötet wurden, nachdem die Polizei dem Täter zum ersten Mal begegnete. Die Beamten waren von ihm mit Pfeilen beschossen worden und hatten Warnschüss­e abgegeben. Der Mann konnte aber entkommen und wurde erst rund eine halbe Stunde später festgenomm­en. Ob die Beamten, die als erstes eintrafen, die Todesfälle hätten verhindern können, wird sicherlich in den nächsten Tagen diskutiert werden.

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Foto: Terje Pedersen, dpa Trauernde haben in Kongsberg Blumen, Kerzen und Kuscheltie­re im Gedenken an die Opfer niedergele­gt.

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