Landsberger Tagblatt

Wo die Ampel schon auf Grün steht

Kein Tempolimit, keine Steuererhö­hungen und zwölf Euro Mindestloh­n: Drei Wochen nach der Wahl haben Sozialdemo­kraten, Grüne und Liberale sich bereits auf die Umrisse eines Koalitions­vertrages geeinigt

- VON RUDI WAIS

Berlin/Augsburg Die Latte liegt jetzt hoch. Sehr hoch sogar. Der Sozialdemo­krat Olaf Scholz, mutmaßlich der nächste Kanzler, verspricht „das größte industriel­le Modernisie­rungsproje­kt seit mehr als 100 Jahren“, Grünen-Chefin Annalena Baerbock „eine Reform- und Fortschrit­tskoalitio­n“und der FDPVorsitz­ende Christian Lindner nicht weniger als einen „Liberalisi­erungsschu­b“für Wirtschaft, Staat und Gesellscha­ft. Knapp drei Wochen nach der Bundestags­wahl haben Genossen, Grüne und Liberale sich entschiede­n, aus der Phase unverbindl­icher Sondierung­en in konkrete Koalitions­verhandlun­gen zu wechseln und auf zwölf Seiten bereits die ersten Beschlüsse fixiert.

Klimaschut­z Der Ausbau der erneuerbar­en Energien soll „drastisch“beschleuni­gt werden, unter anderem durch eine Solarpflic­ht auf den Dächern gewerblich­er Neubauten. Zwei Prozent der Landesfläc­he sollen für die Windkraft ausgewiese­n werden, der Ausstieg aus der Kohle könnte vom Jahr 2038 auf das Jahr 2030 vorgezogen werden.

Verkehr Ein allgemeine­s Tempolimit wird es nicht geben. Ab dem Jahr 2035 sollen in Deutschlan­d nur noch Fahrzeuge ohne Verbrennun­gsmotor neu zugelassen werden. Den Ausbau des Ladenetzes für Elektroaut­os wollen SPD, Grüne und FDP „massiv beschleuni­gen“.

Soziales Der Mindestloh­n soll im nächsten Jahr in einem einmaligen Schritt von gegenwärti­g 9,60 auf zwölf Euro angehoben werden. Über weitere Erhöhungen soll dann wieder wie bisher eine Kommission aus Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften entscheide­n. Die Verdienstg­renze für Minijobs wollen die Ampelkoali­tionäre von 450 auf 520 Euro anheben. An die Stelle von Hartz IV soll ein sogenannte­s Bürgergeld treten, das tendenziel­l vermutlich etwas höher ausfallen wird und beim Verweigern einer Arbeit auch nicht so leicht gekürzt werden kann.

Rente Rentenkürz­ungen und eine Anhebung des Rentenalte­rs über die bereits beschlosse­nen 67 Jahre hinaus schließen die drei Parteien aus. Das Mindestren­tenniveau, also das Verhältnis einer Rente zu einem Durchschni­ttseinkomm­en nach 45 Versicheru­ngsjahren, soll nicht unter die Schwelle von 48 Prozent fallen. Mit einer einmaligen Finanzspri­tze von zehn Milliarden Euro soll die gesetzlich­e Rentenvers­icherung einen eigenen Kapitalsto­ck am Kapitalmar­kt aufbauen, bisher reicht sie ihre Einnahmen aus Beiträgen und Steuerzusc­hüssen direkt als Rente an die Versichert­en weiter. Für die private Vorsorge planen SPD, Grüne und FDP einen staatlich organisier­ten Fonds, der günstiger und rentabler ist als die bisherige Riester-Rente. Für alle RiesterVer­träge soll es einen Bestandssc­hutz geben. Der zuletzt im Jahr 2009 erhöhte Sparerfrei­betrag soll von 801 auf 1000 Euro steigen.

Wohnen Nach dem Willen der Ampel-Verhandler sollen in Zukunft jedes Jahr mindestens 400 000 Wohnungen neu gebaut werden, davon 100000 Sozialwohn­ungen. Details soll ein „Bündnis bezahlbare­r Wohnraum“regeln. Um den Erwerb eines Eigenheime­s zu erleichter­n, sollen die Länder einen größeren Gestaltung­sspielraum bei der Grunderwer­bsteuer bekommen.

Migration Mit einem Punktesyst­em nach kanadische­m Vorbild soll die Einwanderu­ng von dringend benötigten Fachkräfte­n geregelt werden. Ausländern, die gut integriert sind, will die angehende Koalition schneller als bisher einen sicheren Aufenthalt­sstatus garantiere­n. Auch ein „modernes Staatsange­hörigkeits­recht“haben die drei Parteien miteinande­r verabredet, nennen aber noch keine Details dazu.

Finanzen Die gesetzlich­e Schuldenbr­emse soll, wie von der FDP gefordert, eingehalte­n werden. Einkommens-, Unternehme­ns- und Mehrwertst­euer sollen in der nächsten Legislatur­periode nicht erhöht werden. Investitio­nen in den Klimaschut­z und die Digitalisi­erung will die Ampel mit sogenannte­n Superabsch­reibungen fördern.

Bürokratie Deutschlan­ds Verwaltung soll digitaler und agiler werden, schnelle Verwaltung­s-, Planungsun­d Genehmigun­gsverfahre­n sind danach die zentrale Voraussetz­ung, um Deutschlan­d zügig zu modernisie­ren. In den Betrieben sollen Beschäftig­te von flexiblere­n Arbeitszei­tmodellen profitiere­n, Pflegerinn­en und Pfleger mehr Zeit für ihre eigentlich­e Tätigkeit haben.

Familie Um mehr Kinder aus der Armut zu holen, wollen SPD, Grüne und FDP eine eigene Grundsiche­rung für Kinder einführen. Schulen in benachteil­igten Regionen wollen sie gezielt und dauerhaft fördern. Die Kinderrech­te sollen eigens im Grundgeset­z verankert werden.

Trotz der demonstrat­iv zelebriert­en Einigkeit sind die Koalitions­verhandlun­gen allerdings kein Selbstläuf­er – siehe Jamaika 2017. Im Moment werfen vor allem die jüngsten strategisc­hen Entscheidu­ngen der SPD einen Schatten auf die Gespräche. In Mecklenbur­g-Vorpommern wird Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig nicht mehr mit der CDU regieren, sondern mit der Linken, und in Berlin setzt Franziska Giffey die alte Koalition mit Grünen und Linken fort, anstatt eine Ampel zu wagen. „Dass die SPD, wann immer sie die Möglichkei­t hat, ein Linksbündn­is schmiedet, zeigt, wie schwierig die Verhandlun­gen für die Ampelkoali­tion auf Bundeseben­e sind“, klagt etwa der bayerische FDP-Chef Daniel Föst gegenüber unserer Redaktion. „Es hängt jetzt alles an Olaf Scholz“, sagt er. „Er muss sich gegen den Linksdruck in seiner Partei stemmen.“Ein Ampelbündn­is sei nur mit verlässlic­hen Partnern als Regierung der Mitte zu machen. „Man sieht ja in Berlin, wie eine rot-rot-grüne Regierung eine Stadt gegen die Wand fahren kann. Das wird es im Bund mit uns nicht geben.“

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Foto: Christoph Soeder, dpa Die Ampel‰Koalition wird wahrschein­licher. FDP, SPD und Grüne wollen ihren Parteien die Aufnahme von Koalitions­verhandlun‰ gen empfehlen. Im Bild: Christian Lindner, Olaf Scholz und Norbert Walter‰Borjans.

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