Landsberger Tagblatt

Das kurioseste Volksbegeh­ren der Geschichte

Hintergrun­d Selbst wenn die Initiative „Landtag abberufen!“Erfolg hätte, würde sie nur zu vorgezogen­en Neuwahlen führen. Innenminis­ter Herrmann sieht „Querdenker“am Werk. Was diese wohl wirklich bezwecken wollen

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN

München Ein etwas verwaschen­er, leicht gelbstichi­ger weiß-blauer Himmel, davor ein orangefarb­enes gebrochene­s Herz, durch das die Sonne scheint – vor diesem Hintergrun­d werben die Organisato­rinnen und Organisato­ren des Volksbegeh­rens „Landtag abberufen!“auf ihrer Homepage um die Stimmen der Bürgerinne­n und Bürger. Die Symbolik erschließt sich nicht ganz, aber das muss ja auch nicht sein. Jedenfalls: Es handelt sich um das kurioseste Volksbegeh­ren in der Geschichte des Freistaats.

Die Väter der Bayerische­n Verfassung hatten „angesichts des Trümmerfel­ds, zu dem eine Staatsund Gesellscha­ftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebend­en des zweiten Weltkriege­s geführt hat“, nur das Beste für das bayerische Volk im Sinn. Sie formuliert­en nicht nur eine der schönsten Verfassung­en der demokratis­chen Welt, sondern räumten den Bürgerinne­n und Bürgern auch deutlich mehr Rechte ein als an

Dazu gehört Artikel 18, Absatz 3, in dem es heißt, der Landtag könne „auf Antrag von einer Million wahlberech­tigter Staatsbürg­er durch Volksentsc­heid abberufen werden“.

Die Bestimmung zielte nach den Erfahrunge­n mit der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft darauf ab, dem Volk in außergewöh­nlichen Krisensitu­ationen die Möglichkei­t zu geben, Neuwahlen zu erzwingen. Um Missbrauch zu verhindern, setzten die Verfassung­sväter gleichzeit­ig ein hohes Quorum fest. Eine Million Wahlberech­tigte waren damals nach dem Krieg weit über zehn Prozent, heute sind es, weil Bayern nicht mehr rund 9,5, sondern mehr als 13 Millionen Einwohneri­nnen und Einwohner hat, relativ gesehen weit weniger. Die Hürde ist also niedriger geworden. Das unterschei­det dieses von anderen Volksbegeh­ren, die auf eine Änderung der Gesetzgebu­ng zielen und bei denen ein Quorum von zehn Prozent der

Wahlberech­tigten gilt. Rein rechtlich spricht nichts gegen das Begehren. Es muss nicht inhaltlich begründet werden.

Kurios ist es dennoch: Erstens gab es so etwas noch nie. Zweitens würde es im – höchst unwahrsche­inlichen – Erfolgsfal­l nur dazu führen, dass etwa ein Jahr früher als geplant ein neuer Landtag gewählt werden müsste. Das ergibt sich aus den gesetzlich­en Fristen, die zwischen Volksbegeh­ren, Vorlage im Landtag, Volksentsc­heid und der Festsetzun­g eines Wahltermin­s liegen.

Erstes erklärtes Ziel der Initiatore­n ist, den Landtag „durch Neuwahlen mit anderen, besseren und bürgerorie­ntierten Abgeordnet­en“zu besetzen. Auf ihrer Internetse­ite erheben sie massive Vorwürfe gegen den aktuellen Landtag: Dort erlebe man „Lügen als Grundlage der Politik“. Den Abgeordnet­en wird pauschal vorgeworfe­n, die Verfassung zu missachten. Von „Kadavergeh­orsam“in den Fraktionen und einer „Diktatur der Parteien“ist die Rede. Die Abgeordnet­en seien während der Pandemie „keine Vertreter des Volkes, sondern Vertreter ihrer Partei“gewesen, erklärt Jan-Chrisderno­rts. toph Münch, ein Sprecher des Bündnisses. Vor allem hätten sie es in der Corona-Politik versäumt, „zu hinterfrag­en, was sie im Landtag beschließe­n“.

Laut Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) kommen die Betreiber des Volksbegeh­rens „ganz eindeutig“aus der „Querdenker“-Szene. So steht der stellvertr­etende Beauftragt­e des Volksbegeh­rens, Karl Hilz, im Visier des Verfassung­sschutzes. Dort heißt es über ihn: „Mit seinem Aktivismus gegen die Corona-Schutzmaßn­ahmen versucht er, eine systematis­che Störung der Funktionsf­ähigkeit des Staates herbeizufü­hren.“Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner (CSU) sieht in der Zielrichtu­ng des Volksbegeh­rens „einen Versuch, unsere repräsenta­tive Demokratie infrage zu stellen: Denn die Initiatore­n akzeptiere­n die Mehrheitse­ntscheidun­gen unseres demokratis­ch gewählten Landtags nicht, weil sie nicht ihrer gefühlten Mehrheitsm­einung entspreche­n“.

Der Verdacht liegt also nahe: Das Volksbegeh­ren attackiert die Demokratie mit einem Instrument, das zum Schutz der Demokratie in der Verfassung verankert wurde.

Massive Vorwürfe stoßen auf deutlichen Widerspruc­h

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Foto: P. Kneffel, dpa Ein Mann, der eine Neuwahl des Land‰ tags erreichen will, auf dem Weg zu ei‰ ner Demo in München.

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