„Für mich kein Job, sondern Lifestyle“
Interview Einst zählte Ernst Middendorp zu den schillerndsten Trainer-Figuren Deutschlands. Ein Gespräch über Karrierestationen, verrückte Tage in Bielefeld und modernen Fußball
Ernst Middendorp: Ja. Wir sind gerade von Durban zurückgekommen und ich sitze jetzt in meinem Büro in Pietermaritzburg. Ich bin hier bei Maritzburg United zum vierten Mal Trainer. In der vergangenen Saison waren wir 13., jetzt haben wir sechs Punkte nach sechs Spielen. Wir haben also Entwicklungsbedarf.
Sie können sich vielleicht denken, warum ich Sie anrufe?
Middendorp: Weil der FC Augsburg am Sonntag gegen Arminia Bielefeld spielt?
Genau. Zwei Vereine, die in ihrer Trainerkarriere eine besondere Rolle gespielt haben. Ich komme auf über 20 Trainerstationen in acht Ländern auf drei Kontinenten. Warum wird ein Ernst Middendorp nicht sesshaft? Middendorp: Ich habe mich irgendwann entschieden, mich globaler aufzustellen. Das ist nicht jedermanns Sache, ich habe es genossen. Ich bin jetzt im vollprofessionellen Bereich seit 1994 unterwegs und war, wenn es hochkommt, ein oder zwei Monate in dieser Zeit nicht unter Vertrag. Auch das muss man erst einmal irgendwie hinkriegen.
Was hat ihre Familie die Zeit erlebt? Middendorp: Für dieses Leben bezahlt man. Meine erste Ehe ist geschieden. Der Lebensmittelpunkt meiner ersten Ehefrau und meiner erwachsenen Tochter war immer Rheine. Ich habe meine eigene Philosophie. Für mich ist das kein Job, sondern Lifestyle. Ich bin jetzt in zweiter Ehe hier in Südafrika seit November 2010 verheiratet. Wir haben keine Kinder. Da organisiert man hier in Südafrika alles, schließt die Türe ab und dann geht es halt mal zwei Jahre nach Bangkok als technischer Direktor. Das ist kein Problem.
Ihr erster Verein in Afrika war Asante Kotoko Kumasi in Ghana. Von dort hat sie 2002 Walther Seinsch zum FCA geholt, zu einem RegionalligaAufsteiger in Bayern.
Middendorp: Ich habe ihn damals gefragt: ,Warum rufen Sie mich an und inspirieren mich, nach Augsburg zu kommen?’ Er hat geantwortet: ,Wenn in der Wirtschaft oder im Profisport ein leitender Angestellter zurückgeholt wird, und das war bei mir und Arminia Bielefeld der Fall, ist das aus meiner Sicht heraus die größte Wertschätzung. Da hat ein Trainer vieles richtig gemacht.’ Er wusste, dass ich 1994 Bielefeld trotz Widerstände aus der Oberliga in die Bundesliga geführt hatte. Das alles hat mir imponiert.
Und diesen Auftrag hatte er auch in Augsburg für Sie?
Middendorp: Ich sollte den FCA aus der Regionalliga nach oben führen. Er hat gesagt, das ist nicht so einfach, da gibt es viel zu boxen und zu verändern, auch in Bezug auf die Infrastruktur. Ich kannte die Gegebenheiten nicht, aber er hat mich in diesen Gesprächen gepackt.
Wie waren ihre ersten Eindrücke? Middendorp: Der FCA wollte damals Audi fahren und war in einem Trabi unterwegs in Bezug auf Trainingsgelände, Stadion und Mannschaft. Ich war aber nicht enttäuscht. Ich wusste, da wartet kein Paradies.
Sie haben sich prominente Verstärkung aus Bielefelder Tagen geholt wie Jörg Reeb, Jörg Bode oder Zdenko Miletic. Aber mit dem Aufstieg hat es nicht geklappt.
Middendorp: Wenn man nur drei oder vier Spieler aus der letzten Mannschaft gebrauchen kann, ist das eine Riesenaufgabe. Das ist eine harte Nummer, wenn man aufsteigt und gleich wieder aufsteigen will. Das braucht Monate, bis die Mannschaft so weit ist.
Man sagt, diese Zeit hat Herrn Seinsch sehr viel Geld gekostet. Middendorp: Ich weiß nicht, ob er später weniger investiert hat, um
letztendlich in die 2. Liga aufzusteigen. Für mich kann ich sagen, ich hatte meine Vorstellungen, und wir sind uns einig geworden. Die Entscheidung, wie viel investiert werden kann, muss das Management treffen. Du kannst es kontinuierlich machen, über die Jahre mit eigenen Spielern. Aber gab es damals in Augsburg ein Nachwuchsleistungszentrum? Man hat einen anderen Weg gewählt.
Ihre Zeit beim FCA war in der zweiten Regionalliga-Saison schon im September vorbei. Ihr Nachfolger war Armin Veh. Wurden Sie davon überrascht? Middendorp: (lacht) Das war doch nur eine Frage Zeit. Wir hatten damals vor der Saison ein Trainingslager in der Nähe von Leipzig, und wenn man da ein wenig die Ohren aufgesperrt hat, hat man gehört, dass man sich schon mit Veh getroffen hat. Der wollte von Rostock weg. Besonders Peter Bircks hatte nichts anderes im Kopf, als seinen Kumpel zu installieren. Man hat nach meiner Entlassung noch 14 Tage gewartet und dann war Veh da.
Elf Jahre ununterbrochen in der Bundesliga. Hätten Sie die Entwicklung des FCA so erwartet?
Middendorp: Das war zu erwarten, wenn ein Business-Mann wie Seinsch die Dinge verfolgt. Er ist der Vater dieser elf Jahre Bundesliga, da gibt es kein Vertun. Wenn Seinsch damals nach vier oder fünf Jahren gesagt hätte, ,Sorry, das war es’, wäre man heute nicht in der Bundesliga mit all ihren Möglichkeiten. Und wenn man weiter ein gutes Auge für die kontinuierliche Entwicklung der Mannschaft hat, dann ist so eine Leistung möglich.
Zurück zu Arminia Bielefeld. Dort machten sie insgesamt dreimal Station. Middendorp: Als ich 1988 in Bielefeld erstmals als Trainer begann, ich war daneben noch als Wirtschaftslehrer tätig, war die Arminia nicht mehr existenzfähig. Es gab kein Geld. Ich habe damals gesagt, ich kann nicht den Aufstieg garantieren, aber eine klare Spielphilosophie. Dann habe ich Jörg Bode, der eine Ausbildung zum Schlosser gemacht hat, oder Yves Eigenrauch, der in der Jugend mit Fußball aufhören wollte, geholt. Ich habe eine Mannschaft aus Spielern aus einem Um
kreis von 30, 40 Kilometern zusammengestellt. Wir sind zwar nicht aufgestiegen, aber das Stadion war voll, der Verein nach zwei Jahren gesund. Nur hat man mir nicht mitgeteilt, dass der Vorstand aufhört und Spieler nach Freiburg oder Hamburg gehen. Da musste ich von vorne anfangen und wurde 1990 entlassen.
1994 holte man sie in der Regionalliga zurück. Die Voraussetzungen waren andere, Arminia hatte Geld investiert. Middendorp: Ich habe am vierten Spieltag Wolfgang Sidka abgelöst, wir sind von der Regionalliga in die Bundesliga durchmarschiert und haben die Liga gehalten. Es gab aber kein NLZ, es gab keine ScoutingAbteilung. Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen, ich war in Australien und Iran, um Spieler zu finden.
1998 stiegen Sie ab. Stimmt es, dass Sie nach einer 0:2-Niederlage beim HSV den Bus auf der Rückfahrt auf einem Autobahn-Rastplatz anhalten ließen, um mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Weil Sie Stefan Kuntz nicht mehr sehen wollten, der in einem Fernsehinterview gesagt hatte, er hätte mit der Niederlage nichts zu tun. Middendorp: Stimmt. Ich war nie der Vorzeigetrainer, das habe ich nie für mich in Anspruch genommen. Nichts gegen Stefan Kuntz, das hat damals zwischen uns nicht gepasst.
Sie haben ihn dann nicht mehr beim Namen genannt, sondern nur noch den Stürmer Nummer elf.
Middendorp: Das ist auch richtig.
Sie wurden nach dem Abstieg 1998 nach vier Spieltagen in der 2. Bundesliga entlassen. 2006 kehrten sie zurück, schafften den Bundesliga-Klassenerhalt, wurden aber in der kommenden Saison wieder entlassen. Middendorp: Mehr Lob, als zum Jahrhunderttrainer gewählt zu werden, gibt es doch nicht. Trotz namhafter Konkurrenz wie Feldkamp, Rehhagel, Köppel oder Roggensack. Die Fans haben ein gutes Gespür, was von mir geleistet worden ist.
Wie sehen Sie Bielefeld heute?
Middendorp: Mir fehlt in der Mannschaft die Identifikation mit Verein und Region Ost-Westfalen. Man hat Ortega, Klos oder Pieper – aber das war’s. Das halte ich für gefährlich.
Für wen schlägt ihr Herz am Sonntag? Middendorp: Ich habe ja nicht den Ruf des Diplomaten und dem muss ich gerecht werden: Sorry Augsburger, aber ihr müsst euch die Punkte woanders holen. Ich hoffe, dass Bielefeld einen knappen Sieg einfährt.
Bleiben beide Mannschaften in der Bundesliga?
Middendorp: Davon bin ich überzeugt, weil beide Vereine mit Abstiegskampf umgehen können. Elf Jahre Bundesliga kommen nicht zustande, weil man träumt. Das ist in Bielefeld genauso. Der Klassenerhalt bedeutet für beide so viel wie die Meisterschaft für die Bayern.
Wird man Ernst Middendorp noch einmal im deutschen Fußball sehen? Middendorp: Ich würde mir das wünschen, ohne dass ich das forciere. Viele Leute denken, dass man mit 63 nicht mehr in der Lage ist, sich im modernen Fußball zu behaupten oder adäquat zu trainieren. Dem ist nicht so. Ich kann heute nicht mehr wie vor fünf Jahren trainieren. Es freut mich zu lesen, dass Julian Nagelsmann sich Anregungen im Basketball, American Football oder Eishockey holt. Ich mache das seit Jahrzehnten. Begriffe wie Zonendeckung, Viererkette oder Pressing kann man nicht einzelnen Personen zuordnen. Dass man die Viererkette Wolfgang Frank oder Ralf Rangnick zuschiebt, ist gut, doch ich habe damit in den 80er Jahren spielen lassen. Jeweils 20 Minuten zu Beginn des Spiels und nach der Halbzeit. Das war mein Geheimnis, und das kann man alles nachschauen.