Landsberger Tagblatt

„Für mich kein Job, sondern Lifestyle“

Interview Einst zählte Ernst Middendorp zu den schillernd­sten Trainer-Figuren Deutschlan­ds. Ein Gespräch über Karrierest­ationen, verrückte Tage in Bielefeld und modernen Fußball

- Hallo Herr Middendorp, wo erreichen wir Sie denn gerade? In Südafrika? Interview: Robert Götz

Ernst Middendorp: Ja. Wir sind gerade von Durban zurückgeko­mmen und ich sitze jetzt in meinem Büro in Pietermari­tzburg. Ich bin hier bei Maritzburg United zum vierten Mal Trainer. In der vergangene­n Saison waren wir 13., jetzt haben wir sechs Punkte nach sechs Spielen. Wir haben also Entwicklun­gsbedarf.

Sie können sich vielleicht denken, warum ich Sie anrufe?

Middendorp: Weil der FC Augsburg am Sonntag gegen Arminia Bielefeld spielt?

Genau. Zwei Vereine, die in ihrer Trainerkar­riere eine besondere Rolle gespielt haben. Ich komme auf über 20 Trainersta­tionen in acht Ländern auf drei Kontinente­n. Warum wird ein Ernst Middendorp nicht sesshaft? Middendorp: Ich habe mich irgendwann entschiede­n, mich globaler aufzustell­en. Das ist nicht jedermanns Sache, ich habe es genossen. Ich bin jetzt im vollprofes­sionellen Bereich seit 1994 unterwegs und war, wenn es hochkommt, ein oder zwei Monate in dieser Zeit nicht unter Vertrag. Auch das muss man erst einmal irgendwie hinkriegen.

Was hat ihre Familie die Zeit erlebt? Middendorp: Für dieses Leben bezahlt man. Meine erste Ehe ist geschieden. Der Lebensmitt­elpunkt meiner ersten Ehefrau und meiner erwachsene­n Tochter war immer Rheine. Ich habe meine eigene Philosophi­e. Für mich ist das kein Job, sondern Lifestyle. Ich bin jetzt in zweiter Ehe hier in Südafrika seit November 2010 verheirate­t. Wir haben keine Kinder. Da organisier­t man hier in Südafrika alles, schließt die Türe ab und dann geht es halt mal zwei Jahre nach Bangkok als technische­r Direktor. Das ist kein Problem.

Ihr erster Verein in Afrika war Asante Kotoko Kumasi in Ghana. Von dort hat sie 2002 Walther Seinsch zum FCA geholt, zu einem Regionalli­gaAufsteig­er in Bayern.

Middendorp: Ich habe ihn damals gefragt: ,Warum rufen Sie mich an und inspiriere­n mich, nach Augsburg zu kommen?’ Er hat geantworte­t: ,Wenn in der Wirtschaft oder im Profisport ein leitender Angestellt­er zurückgeho­lt wird, und das war bei mir und Arminia Bielefeld der Fall, ist das aus meiner Sicht heraus die größte Wertschätz­ung. Da hat ein Trainer vieles richtig gemacht.’ Er wusste, dass ich 1994 Bielefeld trotz Widerständ­e aus der Oberliga in die Bundesliga geführt hatte. Das alles hat mir imponiert.

Und diesen Auftrag hatte er auch in Augsburg für Sie?

Middendorp: Ich sollte den FCA aus der Regionalli­ga nach oben führen. Er hat gesagt, das ist nicht so einfach, da gibt es viel zu boxen und zu verändern, auch in Bezug auf die Infrastruk­tur. Ich kannte die Gegebenhei­ten nicht, aber er hat mich in diesen Gesprächen gepackt.

Wie waren ihre ersten Eindrücke? Middendorp: Der FCA wollte damals Audi fahren und war in einem Trabi unterwegs in Bezug auf Trainingsg­elände, Stadion und Mannschaft. Ich war aber nicht enttäuscht. Ich wusste, da wartet kein Paradies.

Sie haben sich prominente Verstärkun­g aus Bielefelde­r Tagen geholt wie Jörg Reeb, Jörg Bode oder Zdenko Miletic. Aber mit dem Aufstieg hat es nicht geklappt.

Middendorp: Wenn man nur drei oder vier Spieler aus der letzten Mannschaft gebrauchen kann, ist das eine Riesenaufg­abe. Das ist eine harte Nummer, wenn man aufsteigt und gleich wieder aufsteigen will. Das braucht Monate, bis die Mannschaft so weit ist.

Man sagt, diese Zeit hat Herrn Seinsch sehr viel Geld gekostet. Middendorp: Ich weiß nicht, ob er später weniger investiert hat, um

letztendli­ch in die 2. Liga aufzusteig­en. Für mich kann ich sagen, ich hatte meine Vorstellun­gen, und wir sind uns einig geworden. Die Entscheidu­ng, wie viel investiert werden kann, muss das Management treffen. Du kannst es kontinuier­lich machen, über die Jahre mit eigenen Spielern. Aber gab es damals in Augsburg ein Nachwuchsl­eistungsze­ntrum? Man hat einen anderen Weg gewählt.

Ihre Zeit beim FCA war in der zweiten Regionalli­ga-Saison schon im September vorbei. Ihr Nachfolger war Armin Veh. Wurden Sie davon überrascht? Middendorp: (lacht) Das war doch nur eine Frage Zeit. Wir hatten damals vor der Saison ein Trainingsl­ager in der Nähe von Leipzig, und wenn man da ein wenig die Ohren aufgesperr­t hat, hat man gehört, dass man sich schon mit Veh getroffen hat. Der wollte von Rostock weg. Besonders Peter Bircks hatte nichts anderes im Kopf, als seinen Kumpel zu installier­en. Man hat nach meiner Entlassung noch 14 Tage gewartet und dann war Veh da.

Elf Jahre ununterbro­chen in der Bundesliga. Hätten Sie die Entwicklun­g des FCA so erwartet?

Middendorp: Das war zu erwarten, wenn ein Business-Mann wie Seinsch die Dinge verfolgt. Er ist der Vater dieser elf Jahre Bundesliga, da gibt es kein Vertun. Wenn Seinsch damals nach vier oder fünf Jahren gesagt hätte, ,Sorry, das war es’, wäre man heute nicht in der Bundesliga mit all ihren Möglichkei­ten. Und wenn man weiter ein gutes Auge für die kontinuier­liche Entwicklun­g der Mannschaft hat, dann ist so eine Leistung möglich.

Zurück zu Arminia Bielefeld. Dort machten sie insgesamt dreimal Station. Middendorp: Als ich 1988 in Bielefeld erstmals als Trainer begann, ich war daneben noch als Wirtschaft­slehrer tätig, war die Arminia nicht mehr existenzfä­hig. Es gab kein Geld. Ich habe damals gesagt, ich kann nicht den Aufstieg garantiere­n, aber eine klare Spielphilo­sophie. Dann habe ich Jörg Bode, der eine Ausbildung zum Schlosser gemacht hat, oder Yves Eigenrauch, der in der Jugend mit Fußball aufhören wollte, geholt. Ich habe eine Mannschaft aus Spielern aus einem Um

kreis von 30, 40 Kilometern zusammenge­stellt. Wir sind zwar nicht aufgestieg­en, aber das Stadion war voll, der Verein nach zwei Jahren gesund. Nur hat man mir nicht mitgeteilt, dass der Vorstand aufhört und Spieler nach Freiburg oder Hamburg gehen. Da musste ich von vorne anfangen und wurde 1990 entlassen.

1994 holte man sie in der Regionalli­ga zurück. Die Voraussetz­ungen waren andere, Arminia hatte Geld investiert. Middendorp: Ich habe am vierten Spieltag Wolfgang Sidka abgelöst, wir sind von der Regionalli­ga in die Bundesliga durchmarsc­hiert und haben die Liga gehalten. Es gab aber kein NLZ, es gab keine ScoutingAb­teilung. Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen, ich war in Australien und Iran, um Spieler zu finden.

1998 stiegen Sie ab. Stimmt es, dass Sie nach einer 0:2-Niederlage beim HSV den Bus auf der Rückfahrt auf einem Autobahn-Rastplatz anhalten ließen, um mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Weil Sie Stefan Kuntz nicht mehr sehen wollten, der in einem Fernsehint­erview gesagt hatte, er hätte mit der Niederlage nichts zu tun. Middendorp: Stimmt. Ich war nie der Vorzeigetr­ainer, das habe ich nie für mich in Anspruch genommen. Nichts gegen Stefan Kuntz, das hat damals zwischen uns nicht gepasst.

Sie haben ihn dann nicht mehr beim Namen genannt, sondern nur noch den Stürmer Nummer elf.

Middendorp: Das ist auch richtig.

Sie wurden nach dem Abstieg 1998 nach vier Spieltagen in der 2. Bundesliga entlassen. 2006 kehrten sie zurück, schafften den Bundesliga-Klassenerh­alt, wurden aber in der kommenden Saison wieder entlassen. Middendorp: Mehr Lob, als zum Jahrhunder­ttrainer gewählt zu werden, gibt es doch nicht. Trotz namhafter Konkurrenz wie Feldkamp, Rehhagel, Köppel oder Roggensack. Die Fans haben ein gutes Gespür, was von mir geleistet worden ist.

Wie sehen Sie Bielefeld heute?

Middendorp: Mir fehlt in der Mannschaft die Identifika­tion mit Verein und Region Ost-Westfalen. Man hat Ortega, Klos oder Pieper – aber das war’s. Das halte ich für gefährlich.

Für wen schlägt ihr Herz am Sonntag? Middendorp: Ich habe ja nicht den Ruf des Diplomaten und dem muss ich gerecht werden: Sorry Augsburger, aber ihr müsst euch die Punkte woanders holen. Ich hoffe, dass Bielefeld einen knappen Sieg einfährt.

Bleiben beide Mannschaft­en in der Bundesliga?

Middendorp: Davon bin ich überzeugt, weil beide Vereine mit Abstiegska­mpf umgehen können. Elf Jahre Bundesliga kommen nicht zustande, weil man träumt. Das ist in Bielefeld genauso. Der Klassenerh­alt bedeutet für beide so viel wie die Meistersch­aft für die Bayern.

Wird man Ernst Middendorp noch einmal im deutschen Fußball sehen? Middendorp: Ich würde mir das wünschen, ohne dass ich das forciere. Viele Leute denken, dass man mit 63 nicht mehr in der Lage ist, sich im modernen Fußball zu behaupten oder adäquat zu trainieren. Dem ist nicht so. Ich kann heute nicht mehr wie vor fünf Jahren trainieren. Es freut mich zu lesen, dass Julian Nagelsmann sich Anregungen im Basketball, American Football oder Eishockey holt. Ich mache das seit Jahrzehnte­n. Begriffe wie Zonendecku­ng, Viererkett­e oder Pressing kann man nicht einzelnen Personen zuordnen. Dass man die Viererkett­e Wolfgang Frank oder Ralf Rangnick zuschiebt, ist gut, doch ich habe damit in den 80er Jahren spielen lassen. Jeweils 20 Minuten zu Beginn des Spiels und nach der Halbzeit. Das war mein Geheimnis, und das kann man alles nachschaue­n.

 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? FCA‰Präsident Walther Seinsch (rechts) holte 2002 Ernst Middendorp aus Afrika zum damaligen Regionalli­ga‰Aufsteiger nach Augsburg.
Foto: Fred Schöllhorn FCA‰Präsident Walther Seinsch (rechts) holte 2002 Ernst Middendorp aus Afrika zum damaligen Regionalli­ga‰Aufsteiger nach Augsburg.

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