Das Baustellenunglück und die Erinnerung daran
Jahrestag Am 16. Oktober 2020 sterben in Denklingen beim Einsturz einer Betondecke vier Arbeiter. Das Unglück trifft den Ort schwer. Noch heute sind die Ereignisse dieses Tages bei vielen Menschen präsent
Denklingen Trauriger Jahrestag in Denklingen: Vor einem Jahr starben vier Arbeiter beim Einsturz einer Betondecke auf dem Gelände einer örtlichen Baufirma. Heute findet ab 14 Uhr an der Creszentiakapelle bei Dienhausen eine Gedenkfeier statt. Wie schwer hat das Schicksal den Ort damals getroffen? Wie gehen Betroffene mit den Geschehnissen von damals um? Wie wirkt die Tragödie nach? Drei Männer erzählen, wie sie den 16. Oktober 2020 erlebt haben und wie er sich ihnen ins Gedächtnis eingebrannt hat. »Seite 3
Der Lärm der Feuerwehrsirenen ist immer noch präsent in den Ohren von Bürgermeister Andreas Brauneg ger, wenn er an den 16. Oktober 2020 zurückdenkt. Er ging kurz nach dem Alarm nach Hause zum Mittagessen – ohne zu wissen, welches Unglück sich auf der Baustelle Am Egart abgespielt hatte. „Ich wurde dann von meinem Sohn, der auch bei der Feuerwehr ist, informiert, dass ich zur Unfallstelle kommen soll.“Auf dem Weg dorthin traf der Bürgermeister auf die Eltern zweier Opfer. Die Eindrücke, die er vom Unglücksort zurück mit ins Rathaus genommen hat, beschäftigen ihn noch heute, wie im Gespräch deutlich wird. „Im ersten Moment kann man es gar nicht begreifen. Man funktioniert einfach.“
Das Rathaus wurde zur Anlaufstelle für einige Angehörige, denen Andreas Braunegger versuchte Trost zu spenden, da anfangs noch kein Seelsorger da war. Auch Dekan Oliver Grimm erinnert sich als Erstes an die Sirenen, die an jenem Freitagvormittag nicht nur in Denklingen zu hören waren. Grimm hatte gerade ein Erstkommunion-Gespräch mit einer Mutter in Leeder. „Ich dachte mir gleich, da ist etwas Schlimmes passiert.“Am späten Nachmittag habe er dann von dem schrecklichen Unglück erfahren. Oliver Grimm ist in der Pfarreiengemeinschaft Fuchstal für die Pfarreien in Asch, Denklingen, Leeder, Oberdießen und Unterdießen zuständig. Weil vor einem Jahr am Wochenende die wegen der CoronaPandemie verspäteten Erstkommunionfeiern stattfanden, sei er stark
eingebunden gewesen. Die Erstbetreuung der Angehörigen und Hilfskräfte habe ein Feuerwehrseelsorger übernommen. Grimm kam erst später mit Angehörigen in Kontakt, weil er einen 37-jährigen Verunglückten aus Denklingen und einen 16-Jährigen aus Leeder beerdigt hat. Wegen der Obduktion der Lei
chen habe es bis zu den Beisetzungen etwas länger gedauert als üblich. „Die Angehörigen hatten da die erste Schockphase schon überwunden“, sagt Grimm. Er habe auch den Eindruck gehabt, dass die Frau des 37-Jährigen von Familie und Freundeskreis gut aufgefangen worden sei. Den 16-Jährigen aus Leeder
kannte der Dekan seit dessen Erstkommunion. Bei seiner Beerdigung, die Andacht fand wegen der Corona-Pandemie im Freien statt, seien viele junge Menschen da gewesen.
Christian Gleich, der Kommandant der Denklinger Feuerwehr, war einer der Ersten am Unfallort. Den Zimmerermeister erreichte der
Alarm bei der Arbeit in Reichling. Das Chaos auf der Unglücksstelle ist ihm in Erinnerung geblieben: überall Trümmer und zerlaufener Beton. Zunächst hätten die Helfer mit bloßen Händen und Schaufeln versucht, zu den Verschütteten vorzudringen. „Es war schnell klar, dass wir schweres Gerät benötigen“, sagt der 26-Jährige, der die Verunglückten kannte. Erst als es dunkel war, trafen sich er und seine Kollegen zu einer Brotzeit im Feuerwehrhaus. Richtig aufgearbeitet habe man das Unglück bei einem Treffen mit dem Feuerwehrseelsorger und dem Kriseninterventionsteam einige Tage später. Gleichs zweites Dienstjahr hat dennoch Spuren hinterlassen. 2020 starben auf Denklinger Gemeindegebiet elf Menschen bei Unfällen – neben den vier Opfern des Baustellenunglücks unter anderem Anfang Juni eine Frau und drei Mädchen auf der B 17.
Dass das Unglück mit vier Toten, die allesamt aus dem Landkreis Landsberg und der näheren Umgebung stammten, Wunden in der Dorfgemeinschaft hinterlassen habe, daraus macht der Bürgermeister
„Im ersten Moment kann man es gar nicht begreifen.“
Relativ schnell entschlossen, eine Stiftung einzurichten
keinen Hehl. „Es gibt Momente, da sieht man es heute noch. Das Gespräch kommt immer wieder darauf zurück“, sagt Andreas Braunegger. Immerhin konnte die politische Gemeinde schnell für Hilfe sorgen. Die Bürgerstiftung Denklingen-EpfachDienhausen wurde wenige Wochen später ins Leben gerufen. „Herbert Negele, der langjährige Feuerwehrkommandant, hatte die Idee schon lange vor dem Unglück“, so Braunegger. Nach dem 16. Oktober habe man sich relativ schnell entschlossen, die Stiftung einzurichten. Binnen weniger Wochen kam ein sechsstelliger Spendenbetrag zusammen. „Das war eine Summe, mit der die Familien etwas anfangen konnten“, so Braunegger, der zugleich Stiftungsratsvorsitzender ist.
Wann das Baustellenunglück juristisch aufgearbeitet wird, ist noch offen. Derzeit wartet die Staatsanwaltschaft Augsburg noch auf ein Gutachten. Denklingens Bürgermeister Andreas Braunegger sagt dazu: „Ein Gericht wird mal versuchen, eine Gerechtigkeit zu finden – wenn es die gibt. Wichtig ist, dass es keine Vorverurteilung gibt.“