Landsberger Tagblatt

Was Tiere uns erzählen können

Titel‰Thema Märchen, Romane, Sachbücher: Tierfigure­n sind überall. Wozu? Eine Erkundung mit zwei Erfolgsaut­oren

- / Von Wolfgang Schütz

Bei Ovid erscheint Obergott Zeus als Stier, bei Goethe tritt der Teufel als Pudel auf. Beim abgründige­n Kafka verwandelt sich der existenzie­ll hadernde Mensch in einen Käfer, beim heroischen Hemingway ist der Gegner des mit dem Tod ringenden alten Mannes eigentlich nicht das Meer, sondern ein Schwertfis­ch. Ein Wal ist in der Bibel für Jonas die Rettung, ein Wal ist bei Melville Ahabs Verhängnis.

Seit Menschen Geschichte­n erzählen, um sich selbst, die Welt und alles andere darin zu bespiegeln, spielen Tiere immer tragende Rollen. Das ist vor allem klassisch in den freien Fantasien der Märchen so und macht Fabeln seit Äsop zu dem, was sie sind – das ist aber bis hin zu persönlich­en Bekenntnis­sen Prominente­r in Sachbücher­n so. Seit Wochen steht Hape Kerkeling mit seiner Katzenlieb­e in „Pfoten vom Tisch“da ganz oben, und zumindest Erfolg verspricht nun auch „Der undogmatis­che Hund“von Denis Scheck mit Ehefrau Christina, die ihrem Jack-Russell-Terrier huldigen – und, wie es sich für Buchkritik­er gehört, dabei auch einen „caniden Kanon“liefern, literarisc­he Rollen des Hundes beleuchten also, von Virginia Woolf bis Thomas Mann, mit Tolkien, Stephen King, Paul Auster, Jack London… Die Karriere von Kollegin Elke Heidenreic­h wiederum hat mit den Geschichte­n um den Kater Nero Corleone in Italien überhaupt erst Fahrt aufgenomme­n, und von Italiens Maestro Andrea Camilleri erscheint nun posthum „Rendezvous mit Tieren“, in dem er erkundet: „Was sie uns erzählen können.“

Damit gibt er auch für hier die Richtung vor – denn frei nach Günter Grass, für den „Der Butt“ja ein sprechende­r Männerbera­ter war, scheint das Verhältnis von Mensch und Tier unendlich: ein weites Feld.

Holen wir uns also Rat bei zwei Experten. Der eine muss der Österreich­er Michael Köhlmeier sein (siehe oben), denn der hat gerade nicht nur einen Roman mit einem Kater als Titelhelde­n vorgelegt – „Matou“–, es wird darin das ganze Verhältnis von Mensch und Tier samt seiner literarisc­hen Niederschl­äge mitbespieg­elt. Matou, der in seinen sieben Leben zwischen Französisc­her Revolution und heute auch alle einschlägi­gen Werke gelesen hat, von Tiecks „Der gestiefelt­e Kater“zu Kiplings „Das Dschungelb­uch“, empört sich im Namen der Tiere geradezu darüber: „Wir sollen herhalten für Vergleiche mit euch!“Aber geht es wirklich darum? Warum also die Tierfigure­n, Michael Köhlmeier? „Ich sehe unsere Katze an, sie setzt sich auf meinem Schreibtis­ch hinter meinen Laptop, sie drückt gegen den Bildschirm, ich drücke dagegen – sie ist mir so fremd und doch so nah. Fremd und nah – das ist eine gute Position beim Schreiben.“Und dann? „Ich schaue meine Frau an, als wäre sie eine Katze, eine schöne Katze, und dann schaue ich unsere Katze an, als wäre sie eine Frau, eine schöne Frau.

Stimmt das? Ich weiß nicht. Wer könnte mir beweisen, dass ich etwas Falsches sage, wenn ich so tue, als wäre ich Matou, der Kater? Meine Katze könnte mich tadeln. Die tut es nicht. Ich bin Schriftste­ller geworden, weil die Einbildung­skraft frei sein darf. Mehr Freiheit ist nicht möglich.“

Aber was hat das mit dem Tier zu tun? Darüber wird Köhlmeier gleich sprechen. Aber zuvor zum zweiten Experten, einem ganz anderen. Walter Moers (siehe Seiten 8 und 9) hat zwar im Roman „Der Schrecksen­meister“auch einen Kater als Hauptfigur zum Sprechen gebracht – vor allem aber besteht seine ganze literarisc­he Welt Zamonien aus Tieren, die teils sehr eng, teils sehr frei denen unserer Wirklichke­it entlehnt sind. Warum diese Figuren? Walter Moers, der übrigens ohne Haustier lebt: „Beim Schreiben kommen mir mehr Ideen, wenn ich meine menschlich­e Hülle ablegen und exotischer­e Identitäte­n annehmen kann, etwa von Tieren oder fantastisc­hen Wesen. Das schützt auch vor der verbreitet­en Berufskran­kheit, zu viel von sich selbst zu reden. Außerdem kann ich Tiere besser zeichnen als Menschen. Da ich meine Geschichte­n selbst illustrier­e, spielt das eine wichtige Rolle.“

Konkreter. Im „Schrecksen­meister“treten „Ledermäuse“auf, die nicht nur sprechen können; Lesende können mit ihnen auch erleben, wie es ist, mit der Wahrnehmun­g einer Fledermaus durch die Nacht zu fliegen. In einem der berühmtest­en philosophi­schen Aufsätze des 20. Jahrhunder­ts war das das Paradebeis­piel für Fremdheit, Thomas Nagels „What is it like to be a bat?“– wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Hier zeigt sich die Grenze menschlich­er Erkenntnis, weil wir zwar erforschen können, wie die Tiere wahrnehmen, aber nie erfahren können, wie es sich anfühlt.

Herr Moers? „Wenn man Tiere beobachtet, bemerkt man immer wieder, dass sie auch noch in anderen Welten zu Hause sind, die sich mit unserer nur an manchen Punkten überschnei­den. Sie bewegen sich in Geruch- und Geräuschdi­mensionen oder Farbwelten, die uns größtentei­ls verschloss­en sind. Man braucht nur einen Spaziergän­ger mit seinem Hund zu betrachten: Der Mensch trottet gedankenve­rloren vor sich hin und schenkt seiner Umwelt kaum Beachtung oder quasselt in sein Handy, während der Hund total aufgeregt auf Entdeckung­sreise ist und am liebsten in alle Richtungen gleichzeit­ig

rennen und sich ins Erdreich wühlen würde. Er erlebt offensicht­lich viel mehr als der Mensch, selbst beim alltäglich­en Gassigehen. Diese fremden Welten und Wahrnehmun­gen schreibend zu erforschen, finde ich immer noch interessan­t. Auf der Erde leben über acht Millionen Arten, daher wird mir der Stoff wahrschein­lich nicht so bald ausgehen. Der große Grottenolm-Roman ist noch ungeschrie­ben.“

Nun aber: Wozu? Soll uns die Perspektiv­e auch dem Tier verbundene­r machen, zu mehr Moral im Umgang führen, Herr Köhlmeier? „Was ein Buch aussagt, ist, was in dem Buch drinsteht. Wenn ich besonders schlau sein und dem Leser mit einer Geschichte etwas eintrichte­rn möchte – dann bin ich … Was bin ich dann? Ein Depp. Ein unsympathi­scher dazu. Ein Depp, weil ich mir so viel Mühe mache. Ich schreib doch nicht 950 Seiten für eine Aussage, die auf der Rückseite einer Visitenkar­te Platz hätte. Und noch etwas – ein Idealzusta­nd: Ich kann mir beim Schreiben alles einbilden, auch dass ein Stein eine Seele hat. Ich darf mir sogar einbilden zu wissen, was eine Seele ist. Also tut es gut, sich einzubilde­n, man wäre ein Tier.“

Geht es also gar nicht um die Nähe zu wirklichen Tieren? Die von Walter Moers werden bald auch (Genaueres darf er noch nicht sagen) in Verfilmung­en aus Hollywood zu erleben sein – wo die sogenannte CGI-Technik inzwischen ermöglicht, unsere Mitwesen in Perfektion zu animieren. Führt das nicht zu einem neuen Begegnen auf Augenhöhe, Herr Moers? „Ehrlich gesagt bin ich kein großer Freund der hyperreali­stischen Tierdarste­llungen in computeran­imierten Filmen der letzten Zeit, wie etwa in Neuverfilm­ungen vom ‚Dschungelb­uch‘ oder des ‚König der Löwen‘. Ich vermisse da die Abstraktio­n und die Karikatur, zwei der reizvollst­en und wirksamste­n Mittel des Animations­filmes, auf die zugunsten des Realismus – ohne großen Gewinn – verzichtet wird. Ich finde das nicht besonders kreativ und meistens schon nach ein paar Filmminute­n langweilig. Jede BBC-Tierdokume­ntation ist aufregende­r als fünf Millionen perfekt animierte Fellhaare. Dem Wesen der Tiere kommen wir durch CGI jedenfalls nicht näher, fürchte ich.“

Aber wollen wir das überhaupt in Tierfigure­n? Siehe Köhlmeier und Moers: Gewinnt der Mensch durch sie nicht nur Freiheit für die Fantasie und den Blick auf sich selbst? Der Gang über die Grenze führte etwa bei T. C. Boyle zuletzt mit dem Schimpanse­n Sam in „Sprich mit mir“zu einem traurigen Ende. Und Camilleri schreibt angesichts von Forschern, die sagen, im Jahr 2056 könnten die Gefühle und Gedanken von Tieren gelesen werden: „Wenn wir wirklich eines Tages erfahren sollten, was Tiere von uns denken, wird uns – da bin ich sicher – nichts anderes mehr übrig bleiben, als zutiefst beschämt von dieser Erde zu verschwind­en… Ich werde zum Glück nicht mehr da sein.“

Bis dahin bleibt es wohl wie mit den Geschichte­n von Gott und Teufel, in welcher Gestalt auch immer: Sie erzählen in all ihren Spiegelung­en doch nur von unseren Ängsten und Zweifeln, unserer Liebe und Hoffnung. Matou regt das auf: „Was bildet ihr euch eigentlich ein!“Man müsste ihm wohl antworten: Das geht dich überhaupt nichts an. Wir versuchen doch nur zu verstehen, was wir sind, weil wir nicht können, was wir mitunter neidvoll gerade euch andichten – einfach sein.

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 ?? ?? Kater und „Krätzchen“als Hauptfigu‰ ren: Echo aus „Der Schrecksen­meister“von Walter Moers (links) und Titelheld aus „Matou“von Michael Köhlmeier.
Kater und „Krätzchen“als Hauptfigu‰ ren: Echo aus „Der Schrecksen­meister“von Walter Moers (links) und Titelheld aus „Matou“von Michael Köhlmeier.
 ?? ?? Denis Scheck und Christina Scheck: Der undogma‰ tische Hund Kiepenheue­r & Witsch, 288 Seiten, 22 Euro
Denis Scheck und Christina Scheck: Der undogma‰ tische Hund Kiepenheue­r & Witsch, 288 Seiten, 22 Euro
 ?? ?? Andrea Camilieri: Rendezvous mit Tieren Kindler, 176 Seiten, 22 Euro
Andrea Camilieri: Rendezvous mit Tieren Kindler, 176 Seiten, 22 Euro
 ?? ?? Hape Kerkeling: Pfoten vom Tisch Piper, 304 Seiten, 22 Euro
Hape Kerkeling: Pfoten vom Tisch Piper, 304 Seiten, 22 Euro
 ?? ?? Martin Bleif: Das Tier in uns Klett‰Cotta, 624 Seiten, 32 Euro
Martin Bleif: Das Tier in uns Klett‰Cotta, 624 Seiten, 32 Euro

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