Landsberger Tagblatt

Felicitas Hoppe birgt den Nibelungen-Schatz

- Richard Mayr

Ein mythischer, überlebens­großer Stoff hat schon so manchen Autor und manche Autorin erdrückt. Die Last der Geschichte, dazu eine lange Tradition, immer neue Fassungen und Interpreta­tionen. Wer sich da zu tief hineinbewe­gt, verliert sich schnell. Und wer die vielen Vorgeschic­hten schlichtwe­g ignoriert, macht es sich zu leicht. Nun scheint Felicitas Hoppes Neuerzählu­ngen der Nibelungen-Sage über 250 Seiten hinweg vor Erzähl- und Fabulierlu­st über alles förmlich hinwegzufl­iegen, trotzdem schafft es die Schriftste­llerin auf ihre unnachahml­iche Weise, diesem Mythos neu auf den Grund zu gehen – ihn in seinem Gehalt ernst zu nehmen, ihm aber eine neue, spielerisc­he, ja übermütige Form zu verpassen.

„Ein deutscher Stummfilm“heißt es im Titel. Aber dieser Stummfilm – der an Fritz Lang denken lässt – ist nur die eine Ebene, die als Erzählvorl­age dient, die andere ist eine Festspieli­nszenierun­g in Worms, die als Grundgerüs­t für die Nacherzähl­ung dient. Das hört sich bei Hoppe dann wie folgt an: „So sitzen wir da, in einem lecken Beiboot für vier: Siegfrieds gehäuteter Zorn zwischen zwei dienstbare­n Sängern und einem Geliebten auf Abruf. Vier schlecht beleuchtet­e Figuren ohne Identifika­tionspoten­zial, ausschließ­lich damit beschäftig­t, meerwärts zu treiben. Denn im Gegensatz zu Vater Rhein hat die Donau offenbar nicht die geringste Absicht, mit uns in ein Gespräch einzutrete­n, während es zunehmend dunkler und kälter wird.“

Auf kürzester Distanz werden die verschiede­nen Ebenen des Romans miteinande­r wie in einem surrealist­ischen Kunstwerk verschränk­t. Die Sätze fügen sich perfekt, aber die Geschichte springt vom Stummfilm in die Metaebene, von einem erzählende­n Wir zu den Großkapite­ln Rhein und Donau, die Hoppe klug und der Sage nach zur Einteilung des ganzen Stoffes benutzt. Am Schluss des Beispiels ist das Publikum einbegriff­en, das Dunkelheit und Kälte spürt.

Auf diese Weise bringt Hoppe den Nibelungen-Mythos zwischen Rhein und Donau zum Sprudeln, legt dabei die alte Grundstruk­tur frei und hinterfrag­t alles gleichzeit­ig – etwa in den beiden mit „Pause“betitelten Kapiteln, in denen die Schauspiel­er zu Wort kommen und sich über ihre Rollen auslassen. Eine geniale Idee, um die Sage um Siegfried und Gunther, Kriemhild und Brunhild, um den Drachen und das Lindenblat­t und Hagen und um das blutige Festbanket­t in Etzels Palast virtuos von allen nur möglichen Seiten zu beleuchten.

Allein, wie sie den unglaublic­hen Schatz einführt. Denn gleich zu Beginn haben die Schätze, die aus Gold sind, die Eigenschaf­t, zu Wörtern zu werden und dadurch immer geheimnisv­oller und auch schwerer zu werden. Genau so verhält es sich mit diesem Roman – da ist ein uralter Schatz ganz Wort geworden. Aber er zeigt sich nur demjenigen, der bereit ist zu verweilen, Geduld mitbringt und das langsamste Lesetempo anschlägt.

 ?? ?? Felicitas Hoppe: Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm S. Fischer, 256 Seiten, 22 Euro
Felicitas Hoppe: Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm S. Fischer, 256 Seiten, 22 Euro

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