Die Poesie einer anderen Lebenswelt
Gerade die erst im Kopf der Lesenden Gestalt annehmende Literatur kann das Tor zum Nachempfinden anderer Kulturen öffnen. Das ist auch in einem Land zu erleben, das seit Jahren in Pop (BTS), Film („Parasite“) und Serie („Squid Game“) für Furore sorgt: Korea. In ihrer Andersartig- und Eigenwilligkeit faszinierten bereits Bücher wie die Thriller „Die Plotter“(Kim UnSun) und „Aufzeichnungen eines Serienmörders“(Kim Young-Ha), aber auch Feinsinniges etwa von Han Kang („Die Vegetarierin“, „Weiß“). Zu ihr gesellt sich nun Bae Suah mit ihrem Romandebüt „Weiße Nächte“. Die 1965 in Seoul geborene und heute auch in Berlin lebende Autorin hat unter anderem Kafka und Christian Kracht ins Koreanische übersetzt – jetzt geht ihr eigenes Werk den umgekehrten Weg. Ihre Heimatstadt steht im Zentrum: „Der Name der Stadt lautet ‚Geheimnis‘.“Mit der jungen Schauspielerin Ayami, die den letzten Abend in einem „Hörtheater“arbeitet und dann als Assistentin einen deutschen Dichter („Wolfi“) begleitet, geht es durch eine Nacht, in der bei Windstille Flaggen wehen, und durch sengende Sommerhitze. Aber geht es dabei um Ayamis rätselhafte Herkunft, darum, wie in dieser Stadt verschiedenste Wirklichkeiten nebeneinander existieren? Vielleicht auch. Vor allem aber geht es um Poesie, die Wirkung von Sprache, die hier bildstark und eine ganz andere ist. Das ist nicht leicht zugänglich, nicht restlos überzeugend, aber sehr interessant.