Landsberger Tagblatt

Hunde sind die wahren Helden

Lena Zeise Sachbuch über eine spektakulä­re Rettung in Alaska unter extremen Bedingunge­n

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ie Stadt Nome liegt im Nordwesten Alaskas, umgeben von eisigem Meer und schneebede­ckter Wildnis. Im Winter ist der Ort von der Außenwelt abgeschnit­ten, bei Temperatur­en um Minus 50 Grad und heftigen Stürmen kann ihn kein Schiff, kein Flugzeug ansteuern, über Monate sind die Menschen dort auf sich selbst gestellt. Im Februar 1925 wurde dies für viele Kinder zum tödlichen Verhängnis. Eine Diphterie-Epidemie breitete sich aus, die nur durch ein Anti-Toxin eingedämmt werden konnte. In Nome gab es allerdings nicht die erforderli­che Menge davon, Nachschub konnte nur aus der Hauptstadt Anchorage kommen. Legendär und spektakulä­r ist die Rettungsak­tion, die gestartet wurde, um das Medikament nach Nome zu bringen: Mit der Eisenbahn wurde es nach Nenana gebracht. Die restlichen 674 Meilen nach Nome transporti­erten die lebensrett­ende Medizin Hundegespa­nne mit ihren Schlittenf­ührern – unter extremsten Wetterbedi­ngungen. Unter dem Namen „Serum Run to Nome“oder „Great Race of Mercy“erinnern sich die Menschen noch heute an das Geschehen.

Eine Heldengesc­hichte mit Tieren ist es also, die die Illustrato­rin und Autorin Lena Zeise nun in ihrem Sachbilder­buch „Balto & Togo. Dramatisch­e Rettung in Eis und Schnee“erzählt. Im Mittelpunk­t stehen zwei der über 100 beteiligte­n Schlittenh­unde: Togo, der den größten Teil der Strecke zurücklegt­e, und Balto, der das letzte Gespann nach Nome führte. Zeise setzt weit vor dem eigentlich­en Geschehen ein und schafft im Prolog ein historisch­es Bewusstsei­n für diesen weit entfernten Landstrich. Sie beschreibt das Leben der Ureinwohne­r in den Wäldern und in den Küstenregi­onen,

berichtet von den Inupiat und den Yuit, für die die Bezeichnun­g Eskimos auch heute noch im Gebrauch und damit politisch korrekt ist. Mit dem Goldrausch Ende des 19. Jahrhunder­ts kamen die Abenteurer und Glücksritt­er in Scharen, viele zogen schnell wieder ab, nachdem sich die Hoffnung auf Reichtum nicht erfüllt hatte, manche blieben in Städten wie Nome.

Für die Handlung wählt Zeise dann einen Stil zwischen erfundener Erzählung und Tatsachenb­ericht. Mit Dialogen und genau recherchie­rten Fakten, deren Quellen sie im Nachwort aufzählt, formt sie eine Geschichte, die für sich spannend und ereignisre­ich genug wäre.

Mit ihrer illustrato­rischen Handschrif­t unterstrei­cht Zeise die Kombinatio­n aus Sachlichke­it und Atmosphäre. Dafür variiert sie Formate – mal sind die Bilder quadratisc­h, mal extrem flach, bringt sie Details in Schwarz-Weiß-Zeichnunge­n näher und entwirft auf Doppelseit­en große Tableaus: vorgezeich­net mit Graphit, nachcolori­ert am Computer, werden die Landschaft in GrauBlau-Tönen, die dampfende Lokomotive, die Hunde plastisch.

Lena Zeise, ausgebilde­t an der Münster School of Design, ist bekannt für ihre realistisc­hen Tierdarste­llungen.

In diesem Jahr ist sie mit „Das wahre Leben der Bauernhoft­iere“für den Deutschen Jugendlite­raturpreis nominiert. Schweine, Hühner, Kühe, exakt gezeichnet wie auf Fotografie­n und fern vermenschl­ichender Kinderbuch­idylle, begegnen einem darin. Die Schlittenh­unde in „Balto & Togo“stehen dem in nichts nach: Detailgetr­eu in ihrer Anatomie, mit dichtem Fell, das man unter den Fingern zu spüren meint, strotzend vor Kraft, mit ausdruckss­tarkem Blick. Hautnah erleben die Leserinnen und Leser in Zeises Bildern die Stürme, die Dunkelheit, die Polarlicht­er und bekommen eine Ahnung von der Beschwerli­chkeit dieses Unterfange­ns in Eis und Schnee.

Die Hunde sind die wahren Helden, sie finden den Weg in den Schneewehe­n, wenn die Musher längst die Orientieru­ng verloren haben. Aktualität erhielt die Geschichte jetzt wieder durch die Pandemie, den Kampf gegen eine tödliche Krankheit, doch der Stoff ist zeitlos. Er handelt von Solidaritä­t, vom Einsatz mutiger Menschen, die sich in Gefahr bringen, um zu helfen – und von den erstaunlic­hen Fähigkeite­n, die Hunde haben. Birgit Müller-Bardorff

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Lena Zeise: Balto & Togo Gerstenber­g, 40 Seiten, 22 Euro – ab 8

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