Warum im Handel keine WM-Stimmung aufkommen will
Großveranstaltungen wie eine Fußball-Weltmeisterschaft sind auch für die Wirtschaft Umsatztreiber. Doch das gilt bei der Ausgabe in Katar wohl nicht. Beim Panini-Verlag ahnte man das schon länger.
Augsburg In weniger als zwei Wochen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. Doch verglichen mit dem Marketingaufwand, der in der Vergangenheit rund um die Veranstaltung getrieben wurde, die immerhin zu den größten Sportereignissen der Welt zählt, geht es im öffentlichen Raum, in Kneipen und Geschäften derzeit geradezu unwirklich fußballfrei zu. Im Dezember 2010 hat die Fifa das Turnier an das Wüstenemirat Katar vergeben. Die Entscheidung hat nicht nur Fußballfans vor den Kopf gestoßen. Ärger und Empörung haben sich über die Jahre nicht gelegt. Und so wird kurz vor Beginn der WM mehr über Boykottaufrufe statt über mögliche Aufstellungen der Nationalmannschaft bei ihrem ersten Turnierspiel am 23. November diskutiert.
Die deutlich gedämpfte Vorfreude spiegelt sich auch im Handel wider, der in der Vergangenheit stark auf die Zugkraft ähnlicher Großveranstaltungen gesetzt hat. Aldi Süd erklärt auf Anfrage, dass man überhaupt keine Aktionen zur diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft plane. „Es wird lediglich ein kleines, sehr ausgewähltes Sortiment mit Fußballmotiven geben“, schreibt das Unternehmen. Lidl, Rewe und Edeka Südbayern reagieren auf Anfragen zu ihren Erwartungen an die WM allesamt nicht. Lidl hat aber immerhin jüngst mehrere Seiten in seinem wöchentlichen Prospekt Bier, Knabbereien und Fanartikeln im Deutschland-Look gewidmet.
Wie groß der Effekt eines WMTurniers für den Handel ist, lässt sich nicht genau beziffern. Ein Sprecher des Handelsverband Deutschland (HDE) sagte unserer Redaktion dazu: „Eine FußballWM sorgt erfahrungsgemäß für Impulse bei Fanartikeln, Trikots und in ausgewählten Lebensmittelbereichen. Der Effekt ist jedoch nicht zu vergleichen mit Sportgroßereignissen im eigenen Land.“Erschwerend für den Handel kommt hinzu, dass gemeinsames Fußballschauen im Dezember wohl anders laufen dürfte als bei früheren Turnieren im Sommer: „Beispielsweise wurde oft gemeinsam gegrillt, viele Fans deckten sich mit Trikots und Schals für Public Viewings ein. Umsatzimpulse könnten hier bei einem Winterturnier
geringer ausfallen.“Für den Einzelhandel wäre es sicher einfacher gewesen, das Turnier in bewährter Manier zum Sommertermin durchzuführen, sagte der HDE-Sprecher. Und sicher sei die
Situation mit dem Austragungsort Katar eine besondere. Den Umgang damit entscheide jedes Unternehmen für sich.
Die Antwort, die viele für sich gefunden haben, dürfte lauten: Sicherheit zuerst. Davon geht auch Colin Fernando aus. Er ist Partner
bei der Nürnberger Markenberatung Brand Trust und erklärt die Zurückhaltung auch mit den Sorgen vieler Menschen wegen der Inflation und dem entsprechend schlechten Konsumklima: „Diese WM findet nicht wie gewohnt im Sommer statt, sondern quasi mitten im Weihnachtsstress. Das ist ein Risiko für die Händler, die sich entscheiden müssen: Auf welches Trägerthema setze ich, um die Leute in die Läden zu bekommen?“, erklärt der Markenexperte. Bewährtes heißt für den Handel in dieser Jahreszeit: Black Friday und Weihnachten. „Gewohnheiten sind starke Treiber für uns Menschen, und die Fußball-WM zur ungewohnten Zeit irritiert uns. Die Händler wollen aber diesen wertvollen Moment im Jahr nicht herschenken und lassen die WM im Zweifelsfall links liegen“, erklärt Fernando.
Es gebe zwar durchaus einige Marken, die weiterhin auf Fußball setzten, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Aber auch für sie gelte: „Der Bezug zur WM in Katar wird eher vermieden“, beobachtet Fernando. „Es bleibt abzuwarten, was die Boykott-Aktivitäten tatsächlich bewegen werden“, betont er. Heikel bleibt die Frage nach dem richtigen Umgang mit der WM dennoch. „Es gibt für Marken hier Risiken, gerade was die Kommunikation im Internet angeht“, schätzt Fernando. Da die Konsumentinnen und Konsumenten ihr Geld derzeit ohnehin eher zusammenhalten müssten, wolle keine Marke sich zu sehr exponieren. Kein Vergleich zu vergangenen Turnieren, bei denen die Fifa auch schon vor Gericht gezogen ist, wenn Marken sich zu eng an die große WM-Marketingmaschine angelehnt haben, ohne dafür zu zahlen.
Für Lieferdienste, Brauereien oder Fastfood- und Snackhersteller sei der Fußball aber weiter wichtig, sagt Fernando. „Die Leute werden wohl eher zu Hause die Spiele verfolgen. Alles, was da nebenbei konsumiert wird, kann von der Aufmerksamkeit profitieren“, schätzt der Markenprofi. Einen generellen Trend zu weniger Aufmerksamkeit für große Turniere sieht Fernando nicht. „Die Fifa rechnet mit fünf Milliarden Zuschauern weltweit, das wäre ein neuer Rekord“, sagt Fernando. Auch die Werbeplätze seien gut gebucht. Die nächste Europameisterschaft finde zudem in Deutschland statt. „Das wird die Aufregung um dieses Turnier wieder ein Stück weit vergessen machen“, schätzt Fernando.
So etwas wie ein Gradmesser für die WM-Begeisterung sind auch die Sticker aus dem Panini-Verlag, die schon Generationen von Fußballfans begleitet haben. Dort ahnte man bereits Schlechtes. Hermann Paul, Geschäftsführer des Verlags mit Zuständigkeit für Deutschland und Österreich, sagte unserer Redaktion: „Wir wussten bereits im Vorweg, dass die diesjährige WM im Spätherbst stattfindet, zu einer hierzulande recht ungemütlichen Jahreszeit. Also ohne Grillfeste, ohne ,gemütliches´ Public Viewing. Und dann finden in diesem engen zeitlichen Umfeld ja auch noch weitere Wettbewerbe wie Bundesliga oder Champions League statt. Das heißt, wir haben unsere Verkaufserwartungen gegenüber den vorherigen WM-Turnieren schon im Vorfeld nach unten angepasst.“
Doch selbst diese niedrigen Erwartungen könnten noch enttäuscht werden. Im Handel sind die Sticker schon jetzt, in der sonst heißen Tausch- und Klebephase, mit deutlichem Rabatt zu haben. Dazu sagt der Verlagsmanager: „Der Einzelhandel kann die Verkaufspreise unserer WM-StickerKollektion frei festlegen. Es ist nicht unüblich, dass die Verkaufspreise auch schon zum Verkaufsstart rabattiert werden. Hier treffen sich Angebot und Nachfrage.“
Kein Public Viewing und gemeinsames Grillen im Dezember