Landsberger Tagblatt

Können Firmen Klimaneutr­alität kaufen?

- Von Christina Heller-Beschnitt

Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Betriebe ihren CO2-Ausstoß verringern. Viele tun das mithilfe des Münchner Unternehme­ns Climate Partner. Doch der Handel mit Zertifikat­en zur Kompensati­on von Abgasemiss­ionen ist umstritten.

Das Siegel „klimaneutr­al“klebt auf Shampoo-Flaschen und Milchpacku­ngen. Hotels tragen es genau so wie Filzstifte. Vergeben wird es von einer Beratungsf­irma aus München: Climate Partner heißt sie. Die Firma ist eine von mehreren, die es momentan gibt, die andere Unternehme­n dabei beraten wollen, klimaneutr­al zu werden. Und die Nachfrage nach diesem Angebot wächst – aber es gibt auch kritische Stimmen.

Nach den Klimaziele­n der Bundesregi­erung bleiben Deutschlan­d noch knapp acht Jahre, dann sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um etwa zwei Drittel reduziert sein. Bis 2045 will Deutschlan­d gar keine Treibhausg­ase mehr ausstoßen. Damit das gelingt, müssen alle mitarbeite­n. Privatpers­onen und Unternehme­n aus allen Branchen. Und dabei kommen die Münchner ins Spiel.

2006 gründete Moritz Lehmkuhl Climate Partner. Damals arbeitete er vor allem mit Unternehme­n aus der Druck-Branche zusammen. Dann wurde ihm klar, auch Firmen aus anderen Branchen werden ihren CO2-Ausstoß reduzieren müssen. Also stellte er sich breiter auf. Doch wirklich erfolgreic­h wurde Climate Partner erst im Laufe der vergangene­n vier Jahre. So erzählt es Pressespre­cher Dieter Niewierra. „Wir müssen zugeben, dass die Idee lange nicht richtig abgehoben ist“, sagt er. Erst 2018, als durch die Streiks und Demonstrat­ionen von Fridays for Future der Klimawande­l immer mehr ins öffentlich­e Bewusstsei­n vordrang, stieg auch die Anzahl der Unternehme­n, die sich von den Münchnern beraten lassen wollten. Inzwischen hat die Firma 13 Standorte, beschäftig­t mehr als 500 Mitarbeite­r und betreut über 5000 Kunden in 60 Ländern.

Wer sich entscheide­t, mit den Münchnern zusammenzu­arbeiten, für den erstellen sie zuerst eine CO2-Bilanz, Darin steht entweder, wie viel CO2 das gesamte Unternehme­n an welchen Stellen ausstößt. Oder welche Menge des schädliche­n Klimagases ein Produkt verursacht – je nachdem, für welche Variante der Beratung sich die Firma entschiede­n hat. Als Grundlage der Berechnung dienen nach Angabe von Pressespre­cher Niewierra verschiede­ne Unternehme­nsdaten. Etwa jene dazu, wie viel Kilowatt-Stunden Strom benötigt werden und wie viel Wasser. Aber auch Daten zur Mobilität der Belegschaf­t, zur Logistik oder zur Erzeugung der Produkte fließen in die Berechnung ein. Am Ende steht eine Summe: So viel Kohlendiox­id fällt im Jahr an.

Im zweiten Schritt, und das ist Niewarra wichtig zu betonen, wird überlegt, an welchen Stellen sich CO2 einsparen oder vermeiden ließe. „Wenn ein Unternehme­n etwa auf Ökostrom umsteigt, ist der CO2-Abdruck auf einen Schlag viel geringer“, macht er ein Beispiel. Das, was nicht eingespart oder vermieden werden kann, wird kompensier­t. Das heißt, die Unternehme­n kaufen sich für jedes verbleiben­de Kilogramm oder jede verbleiben­de Tonne CO2 ein Zertifikat. Mit diesem Geld werden dann Klimaschut­zprojekte finanziert. Das kann mal der Bau von Windrädern sein, mal fließt das Geld in das Pflanzen oder Schützen von Wäldern und mal in sauberes Trinkwasse­r. Für die CO2-Bilanz bezahlen Unternehme­n eine vierstelli­ge Summe, sagt Niewierra. Für die CO2-Zertifikat­e zwischen 15 und 25 Euro je Tonne verbleiben­dem CO2 – je nachdem, an welchen Projekten sie sich beteiligen.

Am Ende bekommen die Unternehme­n – oder ihre Produkte – jenes Zertifikat, das sie als „klimaneutr­al“ausweist. Es gilt für ein Jahr, danach muss erneut bewertet werden. Doch Niewierra ist noch etwas wichtig: „Klimaneutr­ale Produkte oder Unternehme­n gibt es nicht“, sagt er. „Bei allem, was wir tun, entstehen Emissionen.“Deshalb spricht er davon, dass Firmen oder Produkte klimaneutr­al gestellt werden. Und nimmt damit seinen Kritikerin­nen und Kritikern das Wort aus dem Mund.

Zu ihnen zählt zum Beispiel die Verbrauche­rschutzorg­anisation Foodwatch. Sie verlieh einem Rewe-Produkt, dass von Climate Partner zertifizie­rt wurde, im vergangene­n Jahr den negativen Preis „Goldener Windbeutel“, mit dem sie Werbelügen ächtet. Foodwatch bemängelt ebenfalls, dass Produkte nicht klimaneutr­al sein können. Und sagt, Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r würden durch diese Siegel getäuscht, weil sie das Gefühl bekämen, dem Klima durch ihren Konsum nicht zu schaden.

Der Haken liegt aus Sicht der Verbrauche­rschützer in der Kompensati­on. Wie gut die Projekte CO2 aus der Atmosphäre holen, lasse sich nur schwer nachweisen. Manuel Wiemann von Foodwatch zitiert dazu eine Studie des ÖkoInstitu­ts: „Diese hat gezeigt, dass nur zwei Prozent der Klimaschut­zprojekte, die über solche Zertifikat­e finanziert werden, halten, was sie verspreche­n.“Wiemann nennt Kompensati­onszahlung­en deshalb auch Ablasshand­el. „Die Firmen erkaufen sich ein reines Gewissen, ohne wirklich den eigenen CO2-Ausstoß reduzieren zu müssen“, sagt er. Niewierra betont hingegen, dass die Kompensati­on immer nur der letzte Schritt sein könne. Davor stünden Reduktion und Vermeidung von CO2. Um das aber für Verbrauche­r verlässlic­h zu machen, fordert Foodwatch klare Regeln von der Politik, an die sich alle Unternehme­n halten müssen, unabhängig davon, ob sie ein Siegel tragen oder nicht.

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild) ?? In acht Jahren soll Deutschlan­d zwei Drittel weniger Treibhausg­ase ausstoßen. Damit das gelingt, müssen auch Unternehme­n mitarbeite­n.
Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild) In acht Jahren soll Deutschlan­d zwei Drittel weniger Treibhausg­ase ausstoßen. Damit das gelingt, müssen auch Unternehme­n mitarbeite­n.

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