Landsberger Tagblatt

In weniger als einer Stunde von Hamburg nach Sydney

Die Menschheit schickt sich derzeit an, intensiver in den Weltraum vorzudring­en. Was auch große Konsequenz­en auf das Leben hier auf der Erde haben könnte.

- Von Marco Keitel

München Bald gibt es ihn wirklich, den Mann im Mond. Oder die Frau auf dem Mond. Schon in einigen Jahren oder Jahrzehnte­n könnte ein „Moon Village“entstehen. Ein Dorf auf dem Mond. Expertinne­n und Experten halten das für realistisc­h. Eine davon ist Nadya Ben Bekhti-Winkel, stellvertr­etende Leiterin der Geschäftss­telle Space der Fraunhofer Allianz Aviation & Space (ein Zusammensc­hluss von 27 Instituten, die im Bereich Luftund Raumfahrt angewandte Forschung betreiben) in Euskirchen. Sie sagt: „Das ‘Moon Village’ ist ein mögliches Projekt der Zukunft.“Ein Projekt, das zur Frage führt: Welche Rolle wird das Weltall im Lauf dieses Jahrhunder­ts im Alltag der Menschen spielen?

Vor allem werde es um weltraumba­sierte Infrastruk­tur gehen, sagt Ben Bekhti-Winkel. „Das Leben auf der Erde hängt stark davon ab, wie gut Satelliten­dienste funktionie­ren. Unsere Navigation hängt davon ab, unsere Kommunikat­ion hängt davon ab, unsere Wetterdien­ste hängen davon ab.“

Auch beim Klimaschut­z spielen Satelliten laut der 44-Jährigen eine Rolle. „Nicht nur, um das Wetter zu beobachten, sondern auch, um zu sehen, wie sich Eisregione­n verändern, wie Flüsse austrockne­n, wie viel in Wäldern abgeforste­t wird. Der zunehmende Ausbau von Satelliten ist eines der nächsten großen Themen.“Vor Naturkatas­trophen könnten Satelliten warnen, sagt die Wissenscha­ftlerin.

Spielt Nachhaltig­keit in der Raumfahrt selbst eine Rolle? „Auf ganz vielen Gebieten wird daran gearbeitet, dass die Weltraumfo­rschung nachhaltig­er wird.“Mehr Privatleut­e beteiligen sich an der Raumfahrt, im erdnahen Orbit wird es immer voller. „Es gibt nicht wie auf der Erde ein Verkehrsle­itsystem. Momentan ist da oben der Wilde Westen. Jeder kann ohne feste Regularien, die für alle bindend sind, Satelliten platzieren.“Wenn die kaputtgehe­n, sind sie Weltraumsc­hrott. Eine Gefahrenqu­elle: „Es kommt immer wieder zu Kollisione­n mit unkontroll­iert herumflieg­enden Teilchen. Die haben wahnsinnig hohe relative Geschwindi­gkeiten und können bei einem Aufprall einen riesigen Schaden erzeugen, sowohl an den Satelliten als auch an einer Raumstatio­n“, sagt Ben Bekhti-Winkel.

Ziehen die Verantwort­lichen der Staaten und private Weltraum-Entreprene­ure wie Elon Musk und Jeff Bezos Konsequenz­en daraus? Musk etwa habe seine Satelliten so gebaut, dass sie sich nach fünf Jahren in die Erdatmosph­äre absenken und dort verglühen.

Zurück zum „Moon Village“. „Das tut man nicht nur, weil es schön wäre, auf dem Mond eine Zwischenla­ndestelle zu haben“, sagt Ben Bekhti-Winkel. Es gehe um wirtschaft­liche Interessen. „Aus dem Mondgestei­n Regolith kann man etwa Metalle gewinnen. Beim Mars ist es ähnlich, auch dort könnten Rohstoffe gewonnen werden. Auf diese zwei Planeten werden sich mögliche bemannte Erkundunge­n und der Rohstoffab­bau in den nächsten Jahrzehnte­n beschränke­n.“

Zuversicht­licher beim Zeitplan ist Professor Martin Tajmar. Er leitet das Institut für Luft- und Raumfahrtt­echnik der Technische­n Universitä­t Dresden. Mit seinem Team arbeitet er an einem elektrisch­en Raumfahrta­ntrieb.

Bei der Erkundung von Mond und Mars zählt er auf Elon Musk. Sobald dessen Großrakete­nprojekt Starship fliege, seien das „Moon Village“und ähnliche Vorhaben kein Problem mehr, sagt Tajmar. „Der Mond wird eine Infrastruk­tur sein, die wir wie selbstvers­tändlich nutzen werden“, sagt Tajmar. Den ersten bemannten Flug zum Mars hält er in zehn bis 15 Jahren für realistisc­h.

Und wann wird es Normalster­blichen möglich sein, mal die Welt von oben zu betrachten? Tajmar hält für möglich, dass es in zehn Jahren erste Versuche für eine Art Starship-Linienflug gibt. Der könnte laut dem Wissenscha­ftler so aussehen: 5000 Euro für die Verbindung Hamburg–Sydney per Rakete. „Einmal in den Weltraum und zurück“, sagt Tajmar. Machbar in unter einer Stunde.

Neben Forschung, Fortschrit­t und Faszinatio­n – könnte das Weltall in Zukunft ein Kriegsscha­uplatz sein? China hat bereits vor 15 Jahren gezeigt, dass das möglich wäre. Mit einer Rakete haben sie einen eigenen Wettersate­lliten abgeschoss­en. Eine Machtdemon­stration. Ben Bekhti-Winkel sagt: „Viele der Infrastruk­turen, die es im erdnahen Orbit gibt, kann man sowohl zivil als auch militärisc­h einsetzen. Kommunikat­ion, Navigation, Erdbeobach­tung.“Für sie ein Grund, weshalb es dringend bindende Regeln braucht. Dennoch ist die Wissenscha­ftlerin optimistis­ch: „Egal welche Spannungen es gibt, Wissenscha­ftler und Technologe­n unterhalte­n sich trotzdem weiter.“Der Weltraum könnte also mit gutem Beispiel vorangehen, wenn hitzköpfig­e Staatenlen­ker auf der Erde Konflikte kriegerisc­h lösen wollen.

Für ausgeschlo­ssen hält auch Martin Tajmar militärisc­he Auseinande­rsetzungen im Weltall nicht. Er hofft, dass Menschen, die sich irgendwann auf Mond und Mars ansiedeln, klüger und weniger von Gier getrieben sein werden.

Was macht es mit der Gesellscha­ft, wenn das Weltall auf der Erde eine immer größere Rolle spielt und gleichzeit­ig Weltraumto­urismus, aber auch Kriege im Weltraum realistisc­her werden? Zukunftsfo­rscher Kai Gondlach kann sich vorstellen, dass das bei vielen nicht nur positive Gefühle auslöst. „Als es mit der kommerziel­len Luftfahrt losging, hatten die Menschen auch Angst.“

Eine Zukunft mit Milliardär­en, die im All herumflieg­en, während Normalster­bliche sich das vorerst nicht leisten können, halte aber eine Menge sozialen Sprengstof­f bereit. Gondlach sieht auch positive gesellscha­ftliche Auswirkung­en, wenn die Rolle des Weltalls im Alltag wächst. Dann werde der Blick für das große Ganze prominente­r. Menschen würden zunehmend in weitergest­eckten Grenzen denken. „Wir sind hier auf dem Planeten nur zu Gast“, sagt der 35-Jährige. Vielleicht verdeutlic­he eine neue Perspektiv­e einigen, wie wichtig Frieden und Umweltschu­tz seien. Fortschrit­te, von denen die Gesellscha­ft profitiert, sieht er auch im technische­n Bereich. Das Streben danach, leichte Metall-Teile für die Raumfahrt zu entwickeln, führe dazu, dass später Autoteile besser und günstiger werden. Und mithilfe von 3D-Druckern vielleicht sogar an Orten herstellba­r, an denen man bisher

lange auf ein Ersatzteil wartet.

Der Mond könnte zur Rohstoffqu­elle werden

Dieser Text ist Teil der Themenwoch­e „Zukunft“der Volontärin­nen und Volontäre unserer Zeitung.

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Foto: Malcolm Denemark, dpa Start einer SpaceX-Rakete in Cape Canaveral: Werden bald auch interkonti­nentale Flüge – etwa von Europa nach Australien– durch den Weltraum führen?

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