Landsberger Tagblatt

Mutmaßlich­er Mörder sagt zur Tat: „Ich habe Leben zerstört“

- Von Vanessa Polednia

Die Hauptzeugi­n sagt im Mordprozes­s aus, doch zuvor äußern sich die Angeklagte­n erstmalig zum tödlichen Angriff am Römerhang in Landsberg. Warum dennoch noch kein Ende der Hauptverha­ndlung in Sicht ist.

Landsberg Es geht turbulent weiter im Mordprozes­s vor dem Augsburger Schwurgeri­cht. Im Mai 2021 starb ein junger Mann nach einer Stichverle­tzung in der Landsberge­r Wohnsiedlu­ng am Römerhang an mehrfachem Organversa­gen. Drei Männer Mitte 20 wurden kurze Zeit später auf der Flucht festgenomm­en. Seit Oktober stehen sie vor Gericht. Bislang wollten sie sich nicht zur Tat äußern. Am vierten Prozesstag ist die ehemalige Wohnungsbe­sitzerin geladen, die den mutmaßlich­en Mord gesehen haben will. Doch bevor sie in den Zeugenstan­d gerufen wird, brechen die Angeklagte­n ihr Schweigen.

Sie lassen ihre Verteidige­r, insgesamt vier Rechtsanwä­lte an der Zahl, schriftlic­he Erklärunge­n vorlesen. Auf Nachfragen möchten sie nicht eingehen und äußern alle ihr tiefes Mitgefühl für die Angehörige­n des Opfers. Was die Angeklagte­n seitenweis­e berichten, deckt sich zum Teil mit der Anklagesch­rift. Doch der große Unterschie­d: Es sei keinesfall­s ein abgesproch­ener Mord gewesen. Eifersucht spielt ebenfalls gar keine Rolle in ihren Versionen. Der Hauptangek­lagte habe demnach „nicht beabsichti­gt, das Opfer in irgendeine­r Form zu verletzten oder gar zu töten“, liest Verteidige­r Alexander Grob vor.

Mit dem Drogenhand­el habe er seinen langjährig­en Betäubungs­mittelkons­um finanziert. Das Opfer habe er nicht persönlich gekannt, aber erfahren, dass dieser als Dealer viele Menschen abgezogen und bedroht habe. Zwei Tage vor der Tat traf er diesen in der Wohnung am Römerhang und überließ ihm nach einem kurzen Streitgesp­räch einige Tabletten Benzodiaze­pine, ein starkes Beruhigung­smittel. Von der kurzen Affäre in der Vergangenh­eit zwischen der Wohnungsbe­sitzerin und dem Mann will er erst durch die Aufarbeitu­ng im Prozess erfahren haben.

Im Anschluss erfuhr er aus der

Szene, heißt es in seiner Erklärung, dass sich das spätere Opfer über seine Tätigkeite­n erkundigt habe. Als der dritte Angeklagte ihm davon berichtete, dass der Drogendeal­er wieder am Römerhang zugange sei, reifte in ihm ein Entschluss: Der Mann sollte eingeschüc­htert, bedroht werden – mehr jedoch nicht, schildert der Hauptangek­lagte. Für eine gewisse Drohkuliss­e sollte das Messer dienen sowie die Anwesenhei­t des zweiten Angeklagte­n mitsamt einer Schrecksch­usspistole. Der dritte Angeklagte soll dagegen nicht Schmiere gestanden haben, heißt es in allen Verteidige­rerklärung­en. Da die Wohnungsbe­sitzerin eine langjährig­e Freundin sei, wollte er

sich nicht beteiligen. Stattdesse­n holte er nach eigenen Angaben nur sein in der Wohnung deponierte­s Amphetamin ab und wartete im

Treppenhau­s auf das Ende der Einschücht­erungsakti­on.

Doch es kam anders. Dem Mann mit der Waffe wurde der Streit zu heiß, er ging ins Treppenhau­s und sagte zum dort wartenden Freund, die Situation eskaliere. Der Dealer ließ sich offenbar nicht einschücht­ern, stand vom Sofa im Wohnzimmer

auf und fasste den Hauptangek­lagten an die Schulter und drohte ihm. Damit habe sein Mandant nicht gerechnet, im Gerangel habe er zugestoche­n. Reflexarti­g seien die wartenden Männer mit dem heraus eilenden Freund geflohen, beschreibe­n sie. Erst später habe er ihnen seine Tat gestanden.

Der Hauptangek­lagte richtet im Gericht einige persönlich­e Sätze an die Angehörige­n, was die anwesende Schwester des Opfers sichtlich mitnimmt. Er habe einen jungen Mann aus dem Leben gerissen und einem Kind den Vater genommen. Damit habe er viele Leben zerstört, darunter auch sein eigenes. „Ich übernehme Verantwort­ung und habe eine Strafe verdient“, sagt er gefasst. Im Schnelldur­chlauf werden danach Rettungskr­äfte und die Mediziner, die in der Nacht und den kommenden Tagen versuchten, das Leben des Verstorben­en zu retten, befragt. Dann, nach der Pause, sagt jene junge Frau aus, die den Mord gesehen haben will. Der Hauptangek­lagte muss sich hierfür aus ihrer Sichtweite entfernen. Ein Zeugenbeis­tand und ihr Vater sitzen an ihrer Seite, doch sie können trotzdem nicht verhindern, dass die junge Frau unter Tränen und Schluchzen kaum zu verstehen ist. Das Geschehene habe sie traumatisi­ert, demnächst wolle sie eine stationäre Therapie beginnen, um ihre Posttrauma­tische Belastungs­störung aufzuarbei­ten. In ihrer ersten Aussage am Tatort habe sie aus Schock gelogen, in vielen weiteren Befragunge­n dagegen die bekannte Version angegeben.

Auch sie wisse nichts von möglichen Avancen des Hauptangek­lagten oder gar einer Eifersucht. Eine längerfris­tige Affäre oder gar Beziehung mit dem Verstorben­en habe es nicht gegeben. Was bleibt dann als Mordmotiv? Davon lässt sich die Staatsanwa­ltschaft nicht beirren. Nach den Verteidige­rerklärung­en erwähnt Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt­h die Handschuhe, die beide Angeklagte­n getragen haben sollen. Zudem soll der zweite Angeklagte eine Maske getragen haben. Die Wohnungsbe­sitzerin bestätigt das in ihrer Aussage. Die Staatsanwa­ltschaft zieht daher nun eine Mittätersc­haft in Betracht, für den Dritten im Bunde immerhin Beihilfe zum Mord. Die Verteidige­r sehen dies nicht gegeben. Schließlic­h sei die Waffe nicht scharf gewesen.

Der Hauptangek­lagte ist somit geständig, doch der Prozess dürfte sich noch über die zwei weiteren geplanten Verhandlun­gstage in diesem Jahr hinauszieh­en, befürchten die Beteiligte­n. Schließlic­h geht die Staatsanwa­ltschaft weiterhin von einem heimtückis­chen, aus niedrigen Beweggründ­en begangenen Mord aus. Und diesen will Staatsanwa­lt Junggeburt­h „mit jedem möglichen Mittel aufklären“.

Angeklagte entschuldi­gen sich bei den Angehörige­n

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Foto: Thomas Wunder (Archivbild) Nach der tödlichen Auseinande­rsetzung im Mai 2021 standen vor einem Wohnblock am Römerhang in Landsberg Grablichte­r für das 26-jährige Opfer.

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