Ein Spagat für alle Beteiligten
Darf man sich auf diese Weltmeisterschaft überhaupt freuen? Die deutschen Spieler hat Oliver Bierhoff quasi dazu verpflichtet: „Wir müssen darauf achten, diesen Spagat zu finden, zwischen der Verantwortung und dem Bewusstsein, das wir als Menschen haben. Auf der anderen Seite gehen wir als deutsche Fußball-Nationalmannschaft rüber, wir vertreten unser Land, wir wollen erfolgreich Fußball spielen“, so der DFB-Direktor. Die „vielen Geräusche und auch Kritiken, die vorher kommen“, dürften „nicht dazu führen, dass wir keine Lust am Turnier haben. Sondern, dass wir uns auf eine Weltmeisterschaft freuen, auf das Messen mit den Besten der Welt.“
Diese Weltmeisterschaft wird ein Turnier, dessen sportliche Rahmenbedingungen noch nie so gut gewesen sein dürften. Statt am Ende einer kräftezehrenden Saison stehen sich die besten Spieler der Welt zu einem Zeitpunkt gegenüber, an dem sie sich in Topform befinden dürften. Die klimatischen Bedingungen im katarischen Winter sind herausragend geeignet für Top-Leistungen. Durch die geringe Größe des Emirats fallen strapaziöse Reisetage für Spieler und Fans aus. Alles super also? Natürlich nicht. Der Sport war schon immer mehr als Gewinnen oder Verlieren. Er ist von jeher politisch. Und das ist eine seiner wichtigsten Fähigkeiten: Dass er sich von der Politik nicht einverleiben lässt und stattdessen selbst ein- deutige Signale sendet.
Die Weltmeisterschaft in ein Land zu geben, dass Menschenrechte missachtet, war ein Sündenfall. Leider nicht der erste. Von den Sportlern kann verlangt werden, dass sie sich kritisch damit auseinandersetzen. Dass sie dort Stellung beziehen, wo es die Unterdrückten nicht können. Dass sie mit ihren Privilegien sorgsam umgehen.
Gleiches gilt auch für die Medien. Sie dürfen nicht zu den Erfüllungsgehilfen der Fifa werden, die in Person von Boss Gianni Infantino das Turnier schon vorab zur „besten WM aller Zeiten“gekürt hat. Sie müssen immer wieder auf die krassen Missstände hinweisen – und dürfen dabei nicht vergessen, dass es sich immer noch um eine Sportveranstaltung handelt. Dass es auch darum geht, zu informieren – und auch zu unterhalten. Das ist nun der Spagat, der dem Journalismus gelingen muss. Es ist eine Aufgabe, auf die man sich freuen sollte. Sie ist herausfordernd und spannend.
Für mich ist es das vierte Turnier, das ich als Reporter vor Ort verfolgen darf.
Sonderlich viel Glück habe ich der deutschen Mannschaft bislang nicht gebracht. Dem Halbfinal-Aus bei der EM 2016 in Frankreich folgte die missratene Russland-WM, ehe sich die Löw-Elf bei der paneuropäischen Corona-EM 2021 im Achtelfinale verabschiedete.
Für Reporterinnen und Reporter sind Turniere beinahe so große Höhepunkte wie für die Athletinnen und Athleten selbst. Sie sind gefordert, möglichst vorurteilsfrei zu berichten. Missstände sollen klar benannt werden, ohne dabei in einen pastoralen, vor Pathos triefenden Tonfall zu verfallen. Dazu soll über die Partien der weltbesten Spieler berichtet werden, über Abseitiges und auch Lächerliches. Das ist eine Herausforderung, die Spaß machen sollte. Wie ein Spagat aber nun mal so ist, kann es auch anstrengend und schmerzhaft werden. Ich freue mich darauf.