Sportliche Pläne
Fußball-WM, Formel 1, Tennis: Das Emirat sichert sich ein Großprojekt nach dem anderen – auch wenn es die Einheimischen kaum interessiert. Die Events haben trotzdem eine große Bedeutung für Katar.
Javi Martínez schleppt sich bei schwülen 35 Grad über den Platz. Noch vor der Halbzeit ist Schluss für den einstigen Weltstar. Nicht einmal 50 Zuschauer sehen, wie der spanische Welt- und Europameister, der 2020 mit dem FC Bayern München das Triple gewann, im Hamad-Bin-KhalifaStadion vom Platz gestellt wird. Rot, weil er sich dreht und dabei seinen Gegner mit dem Arm im Gesicht trifft.
Seit letzter Saison spielt der 34-Jährige für Qatar SC. Die unnatürliche Bewegung mit dem Arm ist seine dynamischste an diesem Abend. Das Spiel gegen Umm Salal SC geht 1:3 verloren. Auf der Haupttribüne sitzen eine Handvoll Zuschauer, überwiegend Männer, und lassen sich kalte Getränke servieren. Große Emotionen ruft die Partie nicht hervor. Der Qatari Stars Cup soll die Ersatzspieler in der Länderspielpause beschäftigen.
Muss man Katar aber deshalb gleich die Fußball-Kultur und die Begeisterung für den Sport absprechen? Auf jeden Fall wird sie hier anders gelebt als in Europa. In die Stadien zieht den Katarer allerdings wenig. Nicht einmal die ganz großen Namen. Deren Zeit soll im Emirat bald vorbei sein. Altstars, die noch etwas Geld mitnehmen und ab und an gegen den Ball treten, sollen der Vergangenheit angehören.
Mario Basler machte 2003 den Anfang. Als erster Bundesliga-Star ging er in die Wüste. Stefan Effenberg und andere folgten. In Zukunft, sagt Liga-Chef Ahmed Khalil Abbasi, wolle man eher auf junge Talente setzen. Ausgebildet werden die meisten an der Aspire Academy in Doha, einem Millionenprojekt, das Katar 2004 gründete. Knapp 300 Jungs im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren haben hier einen strengen Tagesablauf.
Mädchen gibt es hier nicht. Haben Eltern Vorbehalte, ihre Töchter in die Obhut einer Akademie zu geben? Oder fehlt einfach das Angebot? Die Qatar Foundation, von der Herrscherfamilie ins Leben gerufen, zuständig im Land für Bildung, Wissenschaft und Entwicklung, hat kürzlich angekündigt, bald auch ein ähnliches Programm für Mädchen schaffen zu wollen.
Katar will sportlich werden. „Das Land hat eine der höchsten Diabetes-Raten der Welt“, sagt Islamwissenschaftler Sebastian Sons. Kohlenhydrate und Zucker, kombiniert mit zu wenig Bewegung. Der Katarer liebt sein Auto und fährt gerne von Tür zu Tür. Um das Gesundheitssystem, das jedem der 300.000 Einheimischen kostenlos zur Verfügung steht, zu entlasten, hat die Herrscherfamilie die Förderung des Breitensports ausgerufen. Seit 2012 gibt es einen nationalen Sporttag.
Doch Katar geht es nicht allein darum, sein Volk zu bewegen, sich zu bewegen. Über 500 internationale Sportereignisse hat das Emirat in den letzten Jahren ausgerichtet und sich so auf die Karte der Sportgroßmächte gedrängt. Auf nicht einmal 12.000 Quadratkilometern gaben sich Weltstars die Klinke in die Hand.
Am Anfang dieser Idee sitzt Boris Becker in kurzer Hose und mit Tennissocken in den Sandalen auf einem Kamel und schaukelt bedenklich hin und her. Auf dem Platz macht der Deutsche eine bessere Figur. 1993 gewinnt er die Qatar Open, die erste Ausgabe des ATP-Turniers in Doha. Ganz nebenbei macht Becker noch Werbung für den Wüstenstaat für eine angeblich sechsstellige Summe. Seine Worte sind beinahe so unbeholfen wie der Ritt auf dem Höckertier: „Wir werden mit offenen Armen empfangen, sage ich mal. Ob das jetzt gestellt ist oder nicht, ist mir irgendwo auch egal. Es ist toll, es ist schön.“Er sei sich sicher, dass er und andere Spieler wiederkommen würden.
Die Tennisspieler waren die Ersten. Reiterinnen, Tischtennisspieler, Leichtathleten, Schwimmerinnen – sie alle tragen hier regelmäßig Rennen, Turniere und Meisterschaften aus. Im September 2021 fuhr erstmals die Formel 1 über den Losail International Circuit in Doha. Ab 2023 soll die Strecke für mindestens zehn Jahre Gastgeber sein. Angeblich 50 Millionen Euro pro Jahr soll Katar dafür zahlen.
Die Kosten für die Fußball-WM sind schwer zu beziffern. Laut dem Magazin Forbes gehen vorsichtige Schätzungen von 150 Milliarden Dollar aus. Geld, das zu großen Teilen in die Infrastruktur floss.
Und das soll nicht das Ende sein. Katar will die Olympischen Spiele. Das Museum hierfür haben sie schon einmal gebaut - es ist, nach dem in Lausanne, das zweitgrößte olympische Museum der Welt. Fackeln aller Spiele haben sie dort ausgestellt. 2036 soll eine aus dem eigenen Land dazukommen. Oder eben später.
2015 trug man die Handball-WM aus, vier Jahre später fand die LeichtathletikWM in Doha statt. Die Fußball-WM aber ist das umstrittenste Turnier aller Zeiten. Den Sport zu benutzen, um sein Image zu schönen, ist nicht immer einfach in diesen Tagen. Sportswashing ist ein bekannter Begriff und geht in der Außendarstellung auch schon mal nach hinten los, wie Katar gerade erfährt.
Doch dem Land geht es um mehr. Als kleinstes Emirat am Golf teilt es sich mit dem Iran das größte Gasfeld der Welt. Mit Saudi-Arabien liegt es im Dauerclinch. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten rief der mächtige Nachbar 2017 die Blockade gegen Katar aus, um den Nachbarn auf Kurs zu bringen. Durch geschickte Bündnispolitik, etwa mit der Türkei und dem Iran, umging Katar die Blockade und befreite sich aus dem Würgegriff. Das Trauma aber bleibt.
Der Sport ist längst zu einem Instrument der Sicherheitspolitik des Landes geworden. Während Katar vor einem Vierteljahrhundert noch sein Dasein als karger Wüstenstaat fristete und international kaum wahrgenommen wurde, befindet es sich auch durch sein Engagement im Sport im Fokus der Öffentlichkeit. Und wer erst einmal sichtbar ist, kann nicht mehr so einfach verschwinden. Auch nicht, wenn Menschenrechtler die Rote Karte zeigen.