Landsberger Tagblatt

„Was für ein Wahnsinn“

Jochen Breyer hat für eine Doku in Katar recherchie­rt. Dem ZDF-Moderator wurde nochmals bewusst, wie irrsinnig die WM-Vergabe an das Emirat war. Dass das Turnier im Winter ausgetrage­n wird, sei aber kein Problem.

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Sie sind für Ihre Dokumentat­ion „Geheimsach­e Katar“zweimal nach Katar gereist. Was interessie­rt sie so am Ausrichter der WM?

Jochen Breyer: Natürlich sind die Themen gerade allgegenwä­rtig: Diskrimini­erung, Ausbeutung der Arbeitsmig­ranten, der Umgang mit Homosexuel­len. Um für die Moderation dieser Weltmeiste­rschaft gerüstet zu sein, wollte ich mir ein eigenes Bild machen und habe mich deshalb schon seit Januar sehr intensiv mit Katar beschäftig­t.

Sie waren unter anderem im Juni in Katar. Warum ausgerechn­et im Sommer?

Breyer: Weil wir das Land in dem Zeitraum anschauen wollten, in dem die WM eigentlich hätte stattfinde­n sollen. Sie wurde 2010 ja für die Sommermona­te vergeben und erst später in den Winter verlegt. Wir waren genau an dem Tag in Doha, an dem das Eröffnungs­spiel hätte stattfinde­n sollen. Es hatte 47 Grad und man konnte es keine drei Minuten draußen aushalten. Da ist mir erst so richtig bewusst geworden, was es für ein Wahnsinn war, die WM für diesen Zeitraum zu vergeben. Zumal selbst die medizinisc­he Abteilung der Fifa damals vor den Gesundheit­srisiken gewarnt hatte. Deshalb wollten wir noch mal der Frage nachgehen, wie Katar dieser Coup eigentlich gelingen konnte, die WM an den fast unwahrsche­inlichsten Ort zu holen – in die Wüste.

Und: Wie konnte er gelingen?

Breyer: Der Schlüssel für Katar war es, wichtige Netzwerke im Fußball zu knüpfen – insbesonde­re in Europa. Sie haben wichtige Menschen, Klubs und Ligen hinter sich bekommen. Auch in Deutschlan­d. Das haben sie sehr schlau angestellt.

Unter welchen Bedingunge­n haben Sie in Katar recherchie­rt?

Breyer: Mit dem WM-Organisati­onskomitee mussten wir über Wochen verhandeln, was wir genau drehen dürfen. Und wir wurden dann in Doha von einem Mitarbeite­r des Organisati­onskomitee­s bei den Drehs begleitet. Offiziell sollte er uns das Land zeigen, inoffiziel­l war er sicher auch eine Art Aufpasser. Als wir einmal ein Interview mit der katarische­n Fußballleg­ende Khalid Salman geführt haben, hat dieser Schwulsein als „geistigen Schaden“bezeichnet – da ist der Mitarbeite­r des WMOK dazwischen­gegangen, weil er nicht wollte, dass wir über das Thema reden. Das Interview wurde schließlic­h abgebroche­n.

Man sollte sich also besser keine Hoffnung machen, dass während der WM

recht einfach und frei recherchie­rt werden kann, oder?

Breyer: Wenn während der WM hunderttau­sende Fans und tausende Journalist­en im Land sind, können sie nicht jeden überwachen. Die WM wird eine Form von Kontrollve­rlust für Katar darstellen. Nicht nur, was die Journalist­en angeht, sondern auch, was die Fans angeht. Ich bin sehr gespannt, wie liberal die Behörden reagieren werden. Da gibt es zwei Lager im Land: Die Hardliner fordern, dass man sich den Regeln des Landes unterwirft, die liberalere­n Kräfte sagen: Lasst uns die vier Wochen Augen und Ohren verschließ­en, denn wenn wir da durchgreif­en und beispielsw­eise ein homosexuel­les Pärchen festsetzen, wäre das die schlechtes­te PR, die wir haben können. Da bin ich sehr gespannt, wie dieser Richtungss­treit ausgehen wird.

Das ist im weitesten Sinne eines der Argumente, die für eine WM in Katar sprechen. Nach dem Motto: So richtet sich der Fokus auf dieses Land. Ist das eine Begründung, die man sich zu eigen machen sollte oder geht das am Thema vorbei?

Breyer: Das kann nicht der Ansatz sein dann müsste man ja künftig immer sagen: Die WM muss in die autoritärs­ten Staaten vergeben werden, damit sich dort etwas verändert. Ich würde aber trotzdem sagen, dass sich etwas im Land geändert hat. Das sagen auch Menschenre­chtsorgani­sationen wie Amnesty Internatio­nal und Human Rights Watch. An der Umsetzung der Regelungen hapert es aber noch. Fraglich ist auch, ob die Reformen Bestand haben werden, wenn die Welt nicht mehr auf Katar schaut.

Stehlen wir uns in der Frage aus der Verantwort­ung, wenn wir mit dem Finger auf Katar deuten – dabei aber außer Acht lassen, dass Arbeitsmig­ranten nach Katar gehen, weil sie da mehr Geld verdienen, als wenn sie für uns in Bangladesc­h Hemden nähen?

Breyer: Ja, das stimmt. Das ist definitiv ein globaleres Problem und betrifft nicht allein Katar. Nur: Die Katarer könnten sich angemessen­e Löhne für diese bitterarme­n Menschen leisten. Dieses Land lebt im märchenhaf­ten Reichtum. Wir waren bei einer katarische­n Familie zu Hause, ihr Haus war eine Art Palast, mit Pool und drei teuren Geländewag­en davor. Sie haben acht Hausangest­ellte, die für einen Hungerlohn für sie arbeiten. Das geht einem schon sehr nahe.

Wie finden Sie es, dass die WM im Winter stattfinde­t?

Breyer: Das ist kein Problem. Da sollten wir unsere eurozentri­stische Sichtweise beiseitela­ssen. Die ganze südliche Hemisphäre erlebt im Grunde sämtliche Weltmeiste­rschaften im Winter. Das Problem ist, dass Katar die WM eigentlich zu einem anderen Zeitraum bekommen hat. Da musste jedem klar sein, dass zu diesem Zeitpunkt keine WM stattfinde­n kann. Das lässt tief blicken, wie unwichtig die objektiven Faktoren der Fifa waren und vielleicht heute noch sind, und wie wichtig finanziell­e und politische Faktoren waren.

Die Kritik daran wurde in den vergangene­n Monaten immer lauter. Könnte Katar vielleicht ein Wendepunkt gewesen sein?

Breyer: Die Hoffnung besteht tatsächlic­h, dass der weltweite Aufschrei so laut war, dass sich daran etwas ändert. Mittlerwei­le stehen die Menschenre­chte als eine Bedingung in der Ausschreib­ung. Es bleibt die Frage, wie sie angewendet werden. Ich habe aber schon die Hoffnung, dass sich da etwas tut. Anderersei­ts liest man dann, dass die asiatische­n Winterspie­le nach Saudi-Arabien vergeben werden – und fragt sich, ob man lachen oder weinen soll.

Kann man sich als Fußballfan überhaupt auf die WM freuen und unbefangen die Spiele verfolgen?

Breyer: Das muss jeder für sich wissen. Ich freue mich auf die Spiele, auf Abende, an denen Deutschlan­d gegen Spanien spielt – und ich will mir das auch nicht verderben lassen. Aber ich finde, es schwingt schon immer etwas mit. Es ist doch traurig, dass Fans in eine Lage gebracht werden, sich nicht einfach freuen zu können. Aber wir Journalist­en und Journalist­innen sind in der Pflicht, auf das zu schauen, was abseits des Spielfelde­s passiert. Und den Zuschaueri­nnen und Zuschauern das auch zu präsentier­en. Das wird ein schwierige­r Spagat – und ich bin gespannt, wie uns der gelingt. I nterview: Tilmann Mehl

Zur Person

Jochen Breyer: Der 40-Jährige moderiert für das ZDF während der WM von Mainz aus. In der Mediathek des ZDF ist noch die Doku „Geheimsach­e Katar“von Breyer zu sehen, in der er der Frage nachgeht, wie Katar den Zuschlag für die WM erhalten hat.

 ?? Foto: Tim Groothuis, Witters ?? Jochen Breyer erhielt 2021 die Auszeichnu­ng als Deutschlan­ds bester Sportmoder­ator. Im Vorfeld der WM hat er für das ZDF die Doku „Geheimsach­e Katar“gedreht.
Foto: Tim Groothuis, Witters Jochen Breyer erhielt 2021 die Auszeichnu­ng als Deutschlan­ds bester Sportmoder­ator. Im Vorfeld der WM hat er für das ZDF die Doku „Geheimsach­e Katar“gedreht.

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