Kann das Organspende-Tattoo Leben retten?
In Dießen nimmt ein Tattoostudio an einer deutschlandweiten Kampagne zum Thema Organspende teil. Im Selbstversuch klären sich wichtige Fragen.
Und? Welche Bedeutung hat das Tattoo?“Eine Frage, die ich nicht selten höre. Dass ich die Tinte, die unter meiner Haut durchschimmert, mittlerweile einfach als einen Teil von mir betrachte und ich nicht immer eine tiefgehende Erläuterung parat habe, stört mich nicht – allerdings bin ich auch nie böse drum gewesen, wenn es erst gar nicht zur Sprache kommt. Die Einstellung hat sich mit meinem neuen Tattoo verändert – einem Tattoo, das vielleicht Leben retten kann.
Rund 10.000 Menschen warten in Deutschland auf eine Organtransplantation, schätzt der Verein Junge Helden, der allen voran Jugendliche und junge Erwachsene über Organspende aufklärt. Ihre ehrenamtliche Arbeit findet allen voran an Schulen, Universitäten, in Unternehmen und auf Sportveranstaltungen statt. Anfang dieses Jahres haben die Jungen Helden eine neue Kampagne ins Leben gerufen: Opt.Ink. Mit einem Tattoo zum Organspender werden.
Vom Design her ist das Tattoo immer gleich. Ein Kreis und darunter zwei versetzt Halbkreise. Der Kreis steht für Organ und der erste Halbkreis für Donor (englisch für Organspender). Die zwei Hälften symbolisieren aber auch die Spende und wie ein Leben damit vervollständigt wird. Die Tätowierung ersetze kein unterschriebenes Dokument, solle aber wie eine Willenserklärung funktionieren, schreiben die Jungen Helden. Tattoo-Studios, die an der Aktion teilnehmen möchten, werden in eine Liste aufgenommen, auf der wiederum Interessierte sehen, an wen sie sich wenden können.
Aus dem Landkreis Landsberg sind zwei Adressen dabei. Einmal das „ Professional be-you-ty“-Studio in Kaufering und das Atelier Fuchsbau-Tattoo in Dießen. Bei Letzterem habe ich mich dann gemeldet. Auf Instagram hatte die Inhaberin Verena Nena Dobbins für das Tattoo geworben. Der Termin war verhältnismäßig schnell vereinbart, und dann saß ich nach einer Woche auf der Liege in dem weißen Gewölbekeller in der Herrenstraße.
Nena habe sich vor ungefähr drei Wochen dafür entschieden, erzählt sie mir. „Freunde haben mich auf die Aktion aufmerksam gemacht, und ich war direkt begeistert“, sagt die 36-Jährige. Sie war mal ehrenamtlich im Rettungsdienst aktiv. „Dann habe ich es zeitlich aber nicht mehr geschafft. Das Tattoo anbieten zu können, ist meine neue Form von Ehrenamt.“Sie spendet ihre Arbeitszeit und ihr Material.
Allen voran ginge es natürlich darum, ins Gespräch zu kommen – mit Angehörigen, die im Zweifelsfall entscheiden müssen, ob Organe
gespendet werden sollen – aber auch mit Freunden. „Es ist auch großartig zu sehen, dass das Thema Organspende so jetzt überall präsent ist“, sagt Nena. Auf einer ihrer Ablagen liegen Infoblätter und Organspendeausweise bereit. „So kann ich bei den Terminen fragen, ob sie nicht auch einen Organspendeausweis mitnehmen möchten.“Sie selbst hat einen Organspendeausweis. „Aber noch kein Tattoo“, sagt sie mit einem Lachen. Sie hätte es gerne an der Hand und dort könnte sie sich selbst nicht tätowieren. „Ich muss warten, bis ich mal bei meinem Kollegen einen Termin machen kann.“
Kundinnen und Kunden empfiehlt sie, dass Tattoo nicht zu versteckt zu platzieren, dann wird es im Zweifelsfall vielleicht übersehen. Ich entscheide mich für eine Stelle oberhalb der Ellenbeuge. Nena lässt mich noch eine Größe aussuchen. Verzierungen möchte ich keine. „Kann es losgehen?“, fragt Nena noch einmal. Ich nicke. Nach weniger als 15 Minuten ist sie fertig.
Ob das Organspende-Tattoo bereits in Notaufnahmen und Krankenhäusern hilft, ist nach den ersten fünf Monaten schwierig einzuschätzen. Meine Anfrage im Klinikum Landsberg beantwortet der ärztliche Leiter der Zentralen Notaufnahme Stefan Kozlik: „Die Aktion der Organspende-Tattoos halte ich prinzipiell für eine gute Publicity-Aktion, um diese Thematik in die Gesellschaft zu streuen.“
Allerdings sei das Kernproblem im Klinikum die „belastende“Recherche Arbeit in den Einzelfällen, die in der Akutsituation eines Hirntodes die Familien und die behandelnden Ärzte in eine Extremsituation
führe. In Landsberg gäbe es bestenfalls ein bis maximal zwei Fälle einer möglichen Organspende auf Intensivstation. „Das Tattoo ist nice to have, bringt mir als Erstbehandelnder keinen Mehrwert“, sagt Kozlik.
Trotzdem würde er sich freuen, wenn diese Aktion eine gesellschaftliche Diskussion anstößt, insbesondere als Gespräche in den Familien oder zwischen Lebenspartnern. Häufig gäbe es Differenzen in den Familien, ob des Organspendewunsches oder der zu entnehmenden Organe. Schriftliche Verlautbarungen gibt es in der Praxis fast nie. „Wichtig ist für mich der unterschriebene Organspendeausweis und der kommunizierte Wunsch der Spendebereitschaft den nächsten Angehörigen gegenüber.“
Mittlerweile ist mein eigenes Organspende-Tattoo verheilt. Ich hab mit Freunden und Familie darüber gesprochen. Einen Spenderausweis hab ich seit acht Jahren, aber der ist versteckt in meinem Geldbeutel und regt dementsprechend selten das Gesprächsthema Organspende an. Deshalb fragt ruhig: „Und? Welche Bedeutung hat das Tattoo?“
Das Tattoo soll nicht zu sehr versteckt sein