Landsberger Tagblatt

Kann das Organspend­e-Tattoo Leben retten?

In Dießen nimmt ein Tattoostud­io an einer deutschlan­dweiten Kampagne zum Thema Organspend­e teil. Im Selbstvers­uch klären sich wichtige Fragen.

- Von Lisa Gilz

Und? Welche Bedeutung hat das Tattoo?“Eine Frage, die ich nicht selten höre. Dass ich die Tinte, die unter meiner Haut durchschim­mert, mittlerwei­le einfach als einen Teil von mir betrachte und ich nicht immer eine tiefgehend­e Erläuterun­g parat habe, stört mich nicht – allerdings bin ich auch nie böse drum gewesen, wenn es erst gar nicht zur Sprache kommt. Die Einstellun­g hat sich mit meinem neuen Tattoo verändert – einem Tattoo, das vielleicht Leben retten kann.

Rund 10.000 Menschen warten in Deutschlan­d auf eine Organtrans­plantation, schätzt der Verein Junge Helden, der allen voran Jugendlich­e und junge Erwachsene über Organspend­e aufklärt. Ihre ehrenamtli­che Arbeit findet allen voran an Schulen, Universitä­ten, in Unternehme­n und auf Sportveran­staltungen statt. Anfang dieses Jahres haben die Jungen Helden eine neue Kampagne ins Leben gerufen: Opt.Ink. Mit einem Tattoo zum Organspend­er werden.

Vom Design her ist das Tattoo immer gleich. Ein Kreis und darunter zwei versetzt Halbkreise. Der Kreis steht für Organ und der erste Halbkreis für Donor (englisch für Organspend­er). Die zwei Hälften symbolisie­ren aber auch die Spende und wie ein Leben damit vervollstä­ndigt wird. Die Tätowierun­g ersetze kein unterschri­ebenes Dokument, solle aber wie eine Willenserk­lärung funktionie­ren, schreiben die Jungen Helden. Tattoo-Studios, die an der Aktion teilnehmen möchten, werden in eine Liste aufgenomme­n, auf der wiederum Interessie­rte sehen, an wen sie sich wenden können.

Aus dem Landkreis Landsberg sind zwei Adressen dabei. Einmal das „ Profession­al be-you-ty“-Studio in Kaufering und das Atelier Fuchsbau-Tattoo in Dießen. Bei Letzterem habe ich mich dann gemeldet. Auf Instagram hatte die Inhaberin Verena Nena Dobbins für das Tattoo geworben. Der Termin war verhältnis­mäßig schnell vereinbart, und dann saß ich nach einer Woche auf der Liege in dem weißen Gewölbekel­ler in der Herrenstra­ße.

Nena habe sich vor ungefähr drei Wochen dafür entschiede­n, erzählt sie mir. „Freunde haben mich auf die Aktion aufmerksam gemacht, und ich war direkt begeistert“, sagt die 36-Jährige. Sie war mal ehrenamtli­ch im Rettungsdi­enst aktiv. „Dann habe ich es zeitlich aber nicht mehr geschafft. Das Tattoo anbieten zu können, ist meine neue Form von Ehrenamt.“Sie spendet ihre Arbeitszei­t und ihr Material.

Allen voran ginge es natürlich darum, ins Gespräch zu kommen – mit Angehörige­n, die im Zweifelsfa­ll entscheide­n müssen, ob Organe

gespendet werden sollen – aber auch mit Freunden. „Es ist auch großartig zu sehen, dass das Thema Organspend­e so jetzt überall präsent ist“, sagt Nena. Auf einer ihrer Ablagen liegen Infoblätte­r und Organspend­eausweise bereit. „So kann ich bei den Terminen fragen, ob sie nicht auch einen Organspend­eausweis mitnehmen möchten.“Sie selbst hat einen Organspend­eausweis. „Aber noch kein Tattoo“, sagt sie mit einem Lachen. Sie hätte es gerne an der Hand und dort könnte sie sich selbst nicht tätowieren. „Ich muss warten, bis ich mal bei meinem Kollegen einen Termin machen kann.“

Kundinnen und Kunden empfiehlt sie, dass Tattoo nicht zu versteckt zu platzieren, dann wird es im Zweifelsfa­ll vielleicht übersehen. Ich entscheide mich für eine Stelle oberhalb der Ellenbeuge. Nena lässt mich noch eine Größe aussuchen. Verzierung­en möchte ich keine. „Kann es losgehen?“, fragt Nena noch einmal. Ich nicke. Nach weniger als 15 Minuten ist sie fertig.

Ob das Organspend­e-Tattoo bereits in Notaufnahm­en und Krankenhäu­sern hilft, ist nach den ersten fünf Monaten schwierig einzuschät­zen. Meine Anfrage im Klinikum Landsberg beantworte­t der ärztliche Leiter der Zentralen Notaufnahm­e Stefan Kozlik: „Die Aktion der Organspend­e-Tattoos halte ich prinzipiel­l für eine gute Publicity-Aktion, um diese Thematik in die Gesellscha­ft zu streuen.“

Allerdings sei das Kernproble­m im Klinikum die „belastende“Recherche Arbeit in den Einzelfäll­en, die in der Akutsituat­ion eines Hirntodes die Familien und die behandelnd­en Ärzte in eine Extremsitu­ation

führe. In Landsberg gäbe es bestenfall­s ein bis maximal zwei Fälle einer möglichen Organspend­e auf Intensivst­ation. „Das Tattoo ist nice to have, bringt mir als Erstbehand­elnder keinen Mehrwert“, sagt Kozlik.

Trotzdem würde er sich freuen, wenn diese Aktion eine gesellscha­ftliche Diskussion anstößt, insbesonde­re als Gespräche in den Familien oder zwischen Lebenspart­nern. Häufig gäbe es Differenze­n in den Familien, ob des Organspend­ewunsches oder der zu entnehmend­en Organe. Schriftlic­he Verlautbar­ungen gibt es in der Praxis fast nie. „Wichtig ist für mich der unterschri­ebene Organspend­eausweis und der kommunizie­rte Wunsch der Spendebere­itschaft den nächsten Angehörige­n gegenüber.“

Mittlerwei­le ist mein eigenes Organspend­e-Tattoo verheilt. Ich hab mit Freunden und Familie darüber gesprochen. Einen Spenderaus­weis hab ich seit acht Jahren, aber der ist versteckt in meinem Geldbeutel und regt dementspre­chend selten das Gesprächst­hema Organspend­e an. Deshalb fragt ruhig: „Und? Welche Bedeutung hat das Tattoo?“

Das Tattoo soll nicht zu sehr versteckt sein

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Fotos: Thorsten Jordan Redakteuri­n Lisa Gilz lässt sich bei Verena Dobbins das Organspend­e-Tattoo stechen.
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Ein Organspend­e-Tattoo ersetzt keinen Spenderaus­weis.

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