Mia san nimma mia
Nach dem 1:3 gegen RB Leipzig bemühen sich Spieler und Verantwortliche des FC Bayern München im Meisterschaftskampf um Optimismus. Es fällt ihnen aber sichtlich schwer. Dortmund ist klar im Vorteil.
Allein diese eine Szene dokumentierte, wie es um den FC Bayern München bestellt ist. Nicht nur in diesem Spiel gegen RB Leipzig (1:3), auch in der gesamten Saison. Wundersame Dinge passieren, die man den Über-Bayern niemals zugetraut hätte. Weder Trainer Julian Nagelsmann noch Nachfolger Thomas Tuchel brachten die Spieler dazu, als Mannschaft zu funktionieren.
Eine Stunde war gespielt, die Münchner führten durch Serge Gnabrys Treffer 1:0, befanden sich auf Meisterkurs. Dann dies: Nach eigenem Eckball laufen plötzlich vier Leipziger Richtung Münchner Tor, das lediglich noch von Torhüter Yann Sommer und Abwehrspieler Joao Cancelo bewacht wurde. Letztlich traf der mögliche Bald-Bayer Konrad Laimer für Leipzig zum 1:1, donnerte den Ball unters Gebälk.
Als Oliver Kahn, der Vorstandvorsitzende des FC Bayern, diese Szene später kommentierte, wirkte er geschockt. Kahn hat als Spieler etliches erlebt, doch diese Kontersituation bei eigener Führung im eigenen Stadion war für ihn dann doch schwer zu verdauen. So etwas habe er selten gesehen, merkte der 53-Jährige an. Ein wahrhaftes Problem hatte Kahn mit der Reaktion der Mannschaft auf diesen Ausgleich. Denn statt zurück in die Spur zu finden, entglitt die Partie vollends. Es folgten Gegentreffer zwei und drei, jeweils nach Strafstößen von Christopher Nkunku und Dominik Szoboszlai. Teenager werden es nur vom Hörensagen kennen, aber womöglich wird diesmal nicht der FC Bayern Meister.
Kahn wirkte ratlos. Der Ausgleich raubte den in der Vergangenheit so breitschultrigen MiaSan-Mia-Münchnern das Selbstbewusstsein,
Führungen garantieren längst keine Siege mehr. „Alles bricht zusammen, wenn die Situation schwierig wird, wenn Widerstand entsteht“, sagte Kahn. „Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass wir nach dem 1:1 noch groß etwas entgegenzusetzen hatten.“
Tuchel hatte während des Spiels permanent an der Seitenlinie gestikuliert, Anweisungen gegeben, Wechsel vorgenommen. Doch den Abwärtstrend nach einer knappen halben Stunde, in der die Münchner ansprechend kombiniert hatten, vermochte er nicht zu stoppen. Tuchel sprach nach der Niederlage
von einer Form von „Ohnmacht“. „Wenn wir aufhören, nach unseren Prinzipien zu spielen, wird es ein Würfelspiel. Dann haben wir es nicht mehr selbst in der Hand, das Spiel in eine Richtung zu drücken.“
Die Niederlage warf Fragen auf. Sportchef Hasan Salihamidzic verteidigte nochmals den Trainerwechsel. „Wir haben es uns längere Zeit angeschaut und waren der Meinung, dass es sein muss“, sagte er. Unter dem Strich könne man vielleicht sagen, dass es nichts gebracht habe, Tuchel brauche mit der Mannschaft die Vorbereitung. „Dann wird alles besser laufen“,
fügte Salihamidzic hinzu. Ob er selbst dann noch die sportliche Verantwortung trägt? Jedenfalls könnten ihm und Kahn die besten Argumente für eine Weiterbeschäftigung fehlen: Titel. Am 30. Mai tagt der Aufsichtsrat.
Verantwortliche und Spieler bemühten sich am Samstagabend, Zweckoptimismus zu verbreiten. Joshua Kimmich, der „Wut“und „Enttäuschung“verspürte, sprach davon, Dortmund müsse zwei Spiele gewinnen. Thomas Müller hatte noch die Führung vorbereitet, ausufernde Analysen, warum das Spiel so gelaufen war, wie es gelaufen war, blockte er ab. Im Bauch der Arena wollte er sich nicht auf Ursachenforschung begeben. „Hanebüchen“sei die Situation vor dem Ausgleich gewesen, „kurios“, wie man das Spiel aus der Hand gegeben hätte. Dann richtete der Angreifer sogleich den Blick nach vorne. Dass man in der zweiten Hälfte nicht existiert habe, sei völlig egal, so Müller. „Ich sehe deutlich, dass wir für nächste Woche alles bündeln und drei Punkte holen müssen.“
Noch hat Müller die Meisterschaft nicht abgeschrieben. „Ich will Dortmund erst mal zweimal siegen sehen. Wenn sie das tun, sage ich: Hut ab! Dann haben sie es verdient nach der Rückrunde.“Wer am Ende oben stünde, habe die Schale verdient, meinte Müller. „Dass wir dann trotzdem unter den Ansprüchen geblieben sind, das ist vielleicht so. Aber das wäre mir vollkommen egal.“
Auf die Niederlage am Samstag folgte am Sonntag gefühlt eine weitere. Weil Dortmund den FC Augsburg 3:0 besiegte, zog die Borussia in der Tabelle an den Bayern vorbei. Mit einem Erfolg zu Hause gegen den Mainz kann der BVB am letzten Spieltag den Titelgewinn perfekt machen. Spielt er unentschieden, könnten die Bayern bei eigenem Sieg in Köln aufgrund der bedeutend besseren Tordifferenz am Ende noch Meister werden. München Sommer – Mazraoui (86. Mané), Pavard, de Ligt, Cancelo (86. Upamecano) – Goretzka (70. Gravenberch), Kimmich – Gnabry (70. Sané), Musiala, Coman (77. Tel) – Müller
Leipzig Blaswich – Simakan (46. Henrichs), Orban (87. Diallo), Gvardiol, Halstenberg – Laimer, Haidara (70. Kampl) – Szoboszlai, Olmo – Nkunku, Silva (70. Forsberg)
Tore 1:0 Gnabry (25.), 1:1 Laimer (64.), 1:2 Nkunku (76./FE), 1:3 Szoboszlai (85./HE) Schiedsrichter Aytekin (Oberasbach) Zuschauer 75.000 (ausverkauft)