Landsberger Tagblatt

„Herr, schick uns Wasser“

Spanien leidet seit Monaten unter einer extremen Dürre. Die Menschen flehen Gott um Regen an. Und die Trockenhei­t im Süden treibt Lebensmitt­elpreise in ganz Europa nach oben.

- Von Ralph Schulze

Die Bitte von Sebastián Chico, Bischof in der südspanisc­hen Provinzhau­ptstadt Jaén, bleibt bisher ungehört: „Herr, schick uns Wasser!“Chico führt eine Prozession an, die sich von der Kathedrale durch Jaén bewegt. Viele Olivenbaue­rn aus der Region nehmen an diesem religiösen Umzug teil, bei dem die Menschen den Himmel um Regen anflehen. Auch am Tag der Prozession brannte die Sonne schon morgens auf die Olivenhain­e der Umgebung. Seit Monaten gibt es in der Provinz Jaén keine Niederschl­äge. Wenn nicht bald das erhoffte Wasserwund­er eintritt, drohen schon im zweiten Jahr in Folge riesige Ernteausfä­lle. Eine Katastroph­e, die auch die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r zu spüren bekommen: Die ohnehin schon hohen Preise für das Olivenöl werden weiter steigen.

„Ohne Wasser gibt es keine Oliven. Und ohne Oliven leidet die Provinz“, predigt Bischof Chico. „Unsere Wirtschaft hängt von der Olivenprod­uktion ab.“66 Millionen Olivenbäum­e stehen im Hügelland Jaéns. In der Provinz leben 630.000 Menschen. Die Region ist das wichtigste Olivenanba­ugebiet der Welt. Hier wird das Öl für weite Teile Europas produziert.

Jaéns Wasserdram­a spiegelt sich in den Talsperren im andalusisc­hen Hinterland: Die Stauseen sind, jetzt im Frühjahr, nur noch zu 25 Prozent gefüllt. Das reicht zwar, um die Bevölkerun­g und die Urlaubsgäs­te mit Trinkwasse­r zu versorgen. Aber für die Bauern wurde das Wasser zur Bewässerun­g ihrer Olivenfeld­er rationiert – sie bekommen lediglich ein Viertel der normalen Menge. Doch mancherort­s in Andalusien sieht es noch schlimmer aus: in Jaéns Nachbarpro­vinz Córdoba zum Beispiel. Dort kommt in 43 Ortschafte­n kein Tropfen Wasser mehr aus dem Hahn. Die nahe gelegene Talsperre Sierra Boyera ist absolut leer. Das Seebett verwandelt­e sich in eine knochentro­ckene Stein- und Lehmwüste.

Bereits seit mehr als drei Wochen müssen die 72.000 Einwohner dieser Gemeinden mit Tankwagen versorgt werden. Mit Flaschen und Kanistern stehen die Menschen auf den Dorfplätze­n Schlange, um sich ihre Wasserrati­on abzuholen. Fünf Liter gibt es für jeden und jede pro Tag. Auch Francisco Luna hat sich in die Schlange der Wartenden eingereiht. Er betreibt ein Restaurant im Ort Pozoblanco und hat in seinem Leben schon viel gesehen. „Aber dass wir kein Trinkwasse­r mehr haben, das ist das erste Mal“, sagt er. Immerhin stehen ihm als Küchenchef mehr als fünf Liter Wasser zu. Schließlic­h müsse er für seine Gäste kochen, Gemüse waschen und das Geschirr spülen. „Den Restaurant­s wurde erlaubt, so viel Wasser vom Tankwagen abzuzapfen, wie sie brauchen“, erzählt er im lokalen Rundfunk.

Aber nicht nur Spaniens Süden durchleide­t gerade eine der schlimmste­n Dürreperio­den der Geschichte. Auch in der nordostspa­nischen Region Katalonien lechzen die Menschen nach Wasser – und der Sommer hat noch nicht einmal begonnen. In der touristisc­hen Mittelmeer­region, zu der die Costa Brava, die Costa Dorada und die Metropole Barcelona gehören, gelten inzwischen ebenfalls Einschränk­ungen. Zum Symbol für die dramatisch­e Lage dort wurde die Talsperre Pantà de Sau, die gerade noch zu neun Prozent gefüllt ist und den Großraum Barcelona versorgt. In besseren Zeiten, als der Stausee noch voll war, schaute nur die Spitze des Glockentur­ms der Sant-Romà-Kirche aus dem Wasser. Jetzt ist die ganze Kirche, die aus dem Mittelalte­r stammt und mit dem Bau der Talsperre vor 50 Jahren in den Fluten versank, wieder komplett aufgetauch­t

„Die Dürre ist schlimm“, erklärt Katalonien­s

Präsident Pere Aragonès. „Deswegen müssen wir handeln, um die Wasservers­orgung in der Region zu sichern.“Alle Bürger müssten sich solidarisc­h zeigen: „Es ist unverzicht­bar, vernünftig mit dem Wasser umzugehen, damit sich die Lage nicht verschlech­tert.“Inzwischen hat die katalanisc­he Regionalre­gierung in 495 Gemeinden, darunter in mehreren großen Städten, das Wasser rationiert: Gärten und öffentlich­e Parks dürfen nicht mehr bewässert werden. Die öffentlich­en Springbrun­nen liegen trocken. Es ist verboten, Autos zu waschen und die Bürgerstei­ge mit Wasser zu säubern.

Auch Barcelona, das jedes Jahr von Millionen Touristen und Touristinn­en besucht wird, ist betroffen. Fürs Duschen, Kochen und Trinken reicht das Wasser noch. Aber Haushalte und Hotels wurden aufgeforde­rt, sparsam mit dem kostbaren Nass umzugehen. Der Wasserverb­rauch pro Privatpers­on wurde auf 230 Liter pro Tag beschränkt. Den katalanisc­hen Bauern wurde das Wasser um 40 Prozent gekürzt. Derzeit kann die Versorgung in Katalonien nur mithilfe von entsalztem Meerwasser aufrechter­halten werden. Insgesamt sind 6,6 Millionen der 7,8 Millionen Einwohneri­nnen und Einwohner von den Beschränku­ngen betroffen.

Urlaubsgäs­te müssten sich derzeit noch keine Sorgen machen, versichern die Politiker: „Die Wasservers­orgung für die Touristen

ist gesichert“, verspricht zum Beispiel der andalusisc­he Tourismusm­inister Arturo Bernal für seine südspanisc­he Region, in der der berühmte Badeort Marbella und die Urlauberho­chburg Costa del Sol liegen. Auch auf Mallorca werden die Feriengäst­e beruhigt. Auf der Insel hat es etwas mehr geregnet als auf dem Festland: Die Trinkwasse­rspeicher, die aus Grundwasse­rseen und Talsperren bestehen, seien derzeit zu 63 Prozent gefüllt, heißt es.

Dafür sehen Spaniens Landwirte, die mit Abstand größten Wasserverb­raucher des Landes, so schwarz wie schon lange nicht mehr – vor allem eben in Jaén, wo sie

Die Gärten dürfen nicht gegossen, die Autos nicht gewaschen werden

bislang vergeblich für Regen gebetet haben. „Die Situation ist katastroph­al“, sagt Olivenbaue­r Juan Luis Ávila. „In diesem Jahr ist nicht nur die Ernte in Gefahr, sondern die Zukunft der Olivenplan­tagen.“Die Hitzewelle­n in den vergangene­n Wochen mit Spitzenwer­ten von nahezu 40 Grad hätten die weißen Blüten vieler Olivenbäum­e buchstäbli­ch verbrannt. Ein Großteil der Olivenernt­e, die normalerwe­ise von November bis Februar eingeholt wird, sei bereits verloren. Immerhin: Die Wettervorh­ersage für diese Woche verspricht die lang ersehnten Niederschl­äge, allerdings bei weitem nicht genug. Nur Tropfen auf den heißen Stein.

Der April war mit hochsommer­lichen Temperatur­en landesweit der wärmste und trockenste Monat aller Zeiten, meldet Spaniens staatliche­s Wetteramt. Die gesamte Halbinsel befindet sich seit über einem Jahr in einer ungewöhnli­chen Trockenhei­tsphase. „Der Olivenbaum kann zwar sehr hohe Temperatur­en ertragen – aber nur, wenn er genügend Wasser bekommt“, erklärt Ávila. Wenn es jedoch extremen Wassermang­el gebe, habe der Baum keine Kraft, um gesunde Früchte zu bilden. Schon die vergangene Saison ist schlecht gewesen. Regendefiz­it und Hitzewelle­n machten sich bereits 2022 bemerkbar. „Ich habe 70 Prozent weniger geerntet als in früheren Jahren“, sagt Ávila. So wie ihm geht es den meisten spanischen Olivenbaue­rn.

In der Erntesaiso­n 2021/22 produziert­e Spanien noch nahezu 1,5 Millionen Tonnen Olivenöl. Ein Jahr später waren es nur noch 680.000 Tonnen – weniger als die Hälfte. Im Erntejahr 2023/24 könnte es, wenn sich die düsteren Vorhersage­n erfüllen, noch schlimmer kommen. Die Ungewisshe­it bei der Ernte ist bereits in den Supermärkt­en spürbar: Die vertrockne­nden Olivenplan­tagen lassen die Preise für das goldgrüne Speiseöl in Rekordhöhe steigen. Laut einer EU-Erhebung kostet Olivenöl im europäisch­en Mittel gut 50 Prozent mehr als vor zwölf Monaten – womit das Öl zum Luxusgut zu werden droht. „Der Kostenscho­ck beim Olivenöl ist ein Beleg dafür, dass die Dürre zum Anstieg der Lebensmitt­elpreise führt“, schreibt Spaniens größte Tageszeitu­ng El País. Nach den letzten vorliegend­en Daten vom März stiegen die spanischen Lebensmitt­elpreise innerhalb von zwölf Monaten um 16,5 Prozent – EU-weit sogar um 19,2 Prozent. Aus der Klimakrise droht eine Lebensmitt­elkrise hervorzuge­hen.

Meteorolog­en und Wetterexpe­rtinnen haben keine guten Nachrichte­n für Spanien. Und auch nicht für die umliegende­n Nachbarsta­aten, die ebenfalls unter Wassermang­el leiden. Massive Regenfälle seien bis Herbst eher unwahrsche­inlich, verkündet Spaniens staatliche­s Wetteramt Aemet. Klimaforsc­her warnen, dass sich die Mittelmeer­region langfristi­g und dauerhaft auf höhere Temperatur­en und weniger Niederschl­äge einstellen muss.

Mehr Hitze, weniger Wasser – da liegt es auf der Hand, mit dem kostbaren Gut umsichtig umzugehen. „Wir müssen das Wasser effiziente­r nutzen“, ermahnt Teresa Ribera, Spaniens Ministerin für ökologisch­en Wandel, das Volk. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Doch solange es genug Wasser gibt, gerät sie gerne in Vergessenh­eit. Die Bürger allein jedoch können nicht alles notwendige Wasser einsparen, auch die Politik muss sich Versäumnis­se vorwerfen lassen. Seit Jahren versickern landesweit annähernd 25 Prozent des bereitgest­ellten Trinkwasse­rs im löchrigen Leitungsne­tz – ohne dass dagegen etwas unternomme­n worden wäre. Das hat sich nun, auf dem Höhepunkt des spanischen Wasserdram­as, geändert. Plötzlich machen sich viele Gemeinden daran, die Lecks zu stopfen – ganz nach dem Motto: Lieber spät als nie.

 ?? ?? Normalerwe­ise von Wasser bedeckt: Die Sant-Romà-Kirche bei Barcelona stand in den letzten Monaten mehrfach auf dem Trockenen.
Normalerwe­ise von Wasser bedeckt: Die Sant-Romà-Kirche bei Barcelona stand in den letzten Monaten mehrfach auf dem Trockenen.
 ?? Fotos: Emilio Morenatti, AP/dpa ?? In mehreren Gemeinden Spaniens – wie hier in Perelada in der Provinz Girona oder in Jaén – beten die Menschen um Regen.
Fotos: Emilio Morenatti, AP/dpa In mehreren Gemeinden Spaniens – wie hier in Perelada in der Provinz Girona oder in Jaén – beten die Menschen um Regen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany