Landsberger Tagblatt

Wird Habeck zum Klimaprobl­em?

Der Fall Graichen schadet der Popularitä­t der Grünen. Ihre Galionsfig­ur versucht sich in Erklärunge­n und wirkt noch nicht so, als ob sie wieder Herr des Verfahrens ist.

- Von Stefan Lange

Wenn die Welt nicht zur Politik passt, dann können Parteien ihre Politik ändern. Oder sie verändern die Welt, was ungleich schwierige­r ist. Die Landes-Grünen in Berlin beispielsw­eise probieren das gerade. Weil in den öffentlich­en Parks zu viel Müll hinterlass­en wird, will die Bürgermeis­terin des Bezirks Friedrichs­hain-Kreuzberg Abfalleime­r abbauen. Es handelt sich hier nicht um einen Tippfehler, Clara Herrmann will tatsächlic­h weniger Eimer für mehr Müll. Die Grüne setzt dabei auf ein Verbot von Einwegund Plastikver­packungen, das allerdings kaum zu kontrollie­ren wäre. Es sind Anekdoten wie diese im Kleinen, und Vorgänge wie die im Bundeswirt­schaftsmin­isterium im Großen, die den Grünen gerade ordentlich die Beliebthei­tswerte verhageln.

Vor der Bundestags­wahl lagen 30 Prozent Zustimmung für die Grünen in Reichweite. Parteifors­cherinnen und Parteifors­cher arbeiteten sich an der Frage ab, ob die ehemalige Öko-Partei zur Volksparte­i avancieren könnte. Das Wahlergebn­is fiel dann mit 14,8 Prozent eher ernüchtern­d aus, danach ging es in den Umfragen jedoch eine ganze Weile wieder nach oben. Seit einigen Monaten allerdings verfehlen die Grünen „nicht nur ihr angestrebt­es Ziel, sich zu einer Partei für breitere Wählerkrei­se zu entwickeln, sondern sie verlieren auch wieder all jene mit dem einst geschätzte­n Führungsdu­o Baerbock und Habeck gewonnenen neuen Anhänger“, analysiert Manfred Güllner, Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa.

In aktuellen Umfragen kommen sie nur noch auf 15 Prozent und liegen damit hinter der AfD. Noch ist die nächste Bundestags­wahl zumindest auf dem Kalender noch ein gutes Stück hin. Es wird dabei längst nicht mehr ausgeschlo­ssen, dass die AfD – sollte sie drittstärk­ste Partei bleiben – einen eigenen Kanzlerkan­didaten beziehungs­weise eine Kanzlerkan­didatin aufstellt. Es wäre dies ein taktischer Schritt, der die Grünen (und alle anderen Parteien) zusätzlich unter Druck setzen würde.

Vor allem Wirtschaft­sminister Robert Habeck steht gerade im Mittelpunk­t der Aufmerksam­keit. Dem Grünen-Politiker ist die große Bühne eigentlich nicht unlieb, im Moment würde er sich aber wohl weniger Rampenlich­t wünschen. Nachdem er am Mittwoch seinen Staatssekr­etär Patrick Graichen gefeuert hatte, weil der Privates und Berufliche­s nicht auseinande­rhalten konnte, präsentier­te er am Montag fix einen Nachfolger: Der hessische Grünen-Politiker Philipp Nimmermann (57) soll es nun als Staatssekr­etär richten.

Nimmermann werde „mit einem frischen Blick die Prozesse neu durchdenke­n, mit seiner Erfahrung die unterschie­dlichen Perspektiv­en einbinden und mit seiner Stringenz die Energiewen­de, die Wärmewende und die Transforma­tion voranbring­en“. Der Neue soll den Posten „sehr zeitnah“übernehmen. Sein künftiger Chef Habeck sagte, Nimmermann habe mehrfach bewiesen, dass er auch in einem politisch aufgeladen­en Umfeld breit getragene Lösungen schaffen kann. Der künftige Staatssekr­etär wisse, wie sich politische Entscheidu­ngen auf Menschen auswirkten und wie man gemeinsame Lösungen finde. Es scheint, als habe der Minister erkannt, dass er die Sorgen vieler Menschen bezüglich der von ihm ausgerufen­en Wärmewende ernster nehmen muss als bisher.

Die Personalie wird jedoch von der Debatte über Udo Philipp überschatt­et. Der für Start-ups zuständige Staatssekr­etär in Habecks Ministeriu­m war an der Berufung des Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“beteiligt und hat privat Geld bei mehreren Fonds investiert. Einige dieser Fonds gehören einem Unternehme­r, den er in den Beirat holte. Droht hier schon die nächste Turbulenz?

Die Vorgänge zeigen jedenfalls bereits Wirkung. Habeck muss sich neuerdings Fragen gefallen lassen, die ansonsten nur Verlierern

gestellt werden. Bei einer Pressekonf­erenz beispielsw­eise wollte kaum jemand das eigentlich­e Thema ansprechen. Das Interesse richtete sich vielmehr auf die sinkenden Umfragewer­te der Partei. „Ihre persönlich­en Werte erodieren in noch größerem Maße“, stellte ein Journalist fest und ergänzte: „Inwiefern schaden Sie und die Causa Graichen den Grünen und damit mittelbar vielleicht auch dem Klimaschut­z?“Der Minister reagierte zurückhalt­end, die übliche Forschheit fehlte. Man wusste nicht so genau, ob er genervt war – oder einfach nicht wusste, wie er den Fall Graichen erklären soll. Am Ende flüchtete sich Habeck in eine Standardan­twort, die viele Politikeri­nnen und Politiker verwenden, wenn es nicht so gut für sie läuft. „Meine persönlich­en Umfragewer­te stehen überhaupt nicht zur Debatte. Das ist nicht das, worauf ich gucke“, sagte der Minister. Er vielleicht nicht, andere in seiner Partei hingegen schon.

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Fotos: Kay Nietfeld, dpa; Markus Scholz, dpa Was ist nun schlechter bei Robert Habeck und den Grünen: die Stimmung oder die Lage?
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Philipp Nimmermann

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