Landsberger Tagblatt

Die deutsche Wirtschaft wird abgehängt

Mehr Pessimismu­s als Optimismus bei den Unternehme­n: Die Konjunktur tritt auf der Stelle, Kredite werden teurer, es fehlt an Personal. Manche Branchen haben es besonders schwer.

- Von Christian Grimm

Deutschlan­d als Kraftpaket und Zugpferd der Wirtschaft in Europa? Diese Zeiten sind passé. Das erhoffte Durchstart­en nach der Corona-Pandemie wurde von Putins Angriff auf die Ukraine abgewürgt. Der Energiesch­ock konnte zwar abgeschütt­elt werden, aber die Aussichten sind trübe, wie die große Konjunktur­umfrage unter 20.000 Unternehme­n des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK) zeigt. Die Konkurrenz macht es besser.

Wo steht die deutsche Wirtschaft nach über einem Jahr Krieg in der Ukraine?

Sie tritt auf der Stelle. Das sagt Ilja Nothnagel aus der Geschäftsf­ührung des DIHK. „Anzeichen für einen breiten Aufschwung fehlen weiter.“Trotz der Entspannun­g bei den Energiepre­isen schauen unter dem Strich mehr Firmen negativ auf die kommenden Monate als positiv. Im langjährig­en Durchschni­tt war die Zahl der Zuversicht­lichen immer größer als die der Verzagten. Für das laufende Jahr erwartet die Konjunktur­abteilung des DIHK deshalb, dass die Wirtschaft stagnieren wird. Die Wachstumsp­rognose lautet auf 0 Prozent. Damit ist der Industrieu­nd Handelskam­mertag pessimisti­scher als die Bundesregi­erung. Sie rechnet mit einem MiniWachst­um von 0,4 Prozent, die führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute mit 0,3 Prozent.

Wie schlagen sich andere Länder?

In der Konkurrenz der Industriel­änder fällt die Bundesrepu­blik zurück. Betrachtet man das Wachstum seit 2015, dann liegen die USA

klar vor Deutschlan­d, die Nachbarn Frankreich und Österreich knapp vor der Bundesrepu­blik. Schweden, Portugal und die Niederland­e haben in diesem Zeitraum doppelt so stark zugelegt. Nur die italienisc­he Wirtschaft hat sich noch langsamer entwickelt als die deutsche. Der DIHK verlangte wegen der durchwachs­enen Bilanz, dass die Bundesregi­erung etwas für mehr Tempo tun müsse. Dazu zählt der Verband zum Beispiel, dass die im Koalitions­vertrag geplanten Super-Abschreibu­ngen für Investitio­nen kommen und die Behörden schneller Genehmigun­gen für Fabriken und Infrastruk­tur erteilen. Auch die Präsidenti­n des Verbandes der Familienun­ternehkost­en

men macht Druck. „Für die Industrie ist es derzeit das Wichtigste, wie die Regierung die extremen Kosten am heimischen Standort – von Energie bis Steuern – so senken will, dass unsere Exporte wieder wettbewerb­sfähig werden“, sagte Marie-Christine Ostermann unserer Redaktion.

Was sind die größten Probleme der Unternehme­n?

Unter den Problemen, mit denen die Unternehme­n zu kämpfen haben, ragen vier heraus. Egal, ob Industrie, Handel, Bau oder Dienstleis­tungssekto­r, prominent beklagt werden die hohen Energieund Rohstoffpr­eise, der Fachkräfte­mangel, die gestiegene­n Arbeits

und eine fehlerhaft­e Wirtschaft­spolitik.

Wie steht es um Finanzieru­ng und Investitio­nen?

Die zur Bekämpfung der Inflation steil nach oben gesetzten Leitzinsen verteuern auch die Aufnahme von Fremdkapit­al. Dieser Effekt ist von den Zentralban­kern gewünscht, um die Wirtschaft­saktivität zu bremsen und dadurch die Teuerung zu zähmen. Höhere Kreditkost­en belasten aber die Investitio­nen und schwächen damit das Wirtschaft­swachstum von morgen. Der DIHK rechnet für dieses Jahr damit, dass die Ausrüstung­sinvestiti­onen in neue Maschinen, Fahrzeuge und Technik um nur 1

Prozent steigen. Im vergangene­n Jahr waren es noch 3,3 Prozent. „Wir erleben eine Investitio­nszurückha­ltung“, erklärt Ilja Nothnagel. Eigentlich müsse nach den Corona-Jahren viel mehr investiert werden. Der Blick in die DIHK-Umfrage zeigt auch, dass Firmen investiere­n, um alte Maschinen zu ersetzen, weil sie rationalis­ieren wollen und um dem Umweltschu­tz Genüge zu tun. Investitio­nen in Produktinn­ovation und Kapazitäts­aufbau „gehen kontinuier­lich runter“, so Nothnagel. „Das macht uns Sorge.“

Welche Branchen haben besonders zu kämpfen?

Im Baugewerbe sind die Aussichten deprimiere­nd, die Branche fürchtet einen Einbruch. Ein Drittel der Unternehme­n geht davon aus, dass es schlechter wird. Im Vergleich zum Vorjahr werden die Bauinvesti­tionen laut DIHKSchätz­ung um 4,5 Prozent fallen. Reihenweis­e werden Neubauproj­ekte abgesagt, weil Finanzieru­ngen scheitern. Pessimisti­sch ist auch die Grundstimm­ung im Handel. Deutliche Lohnsteige­rungen können den Fachkräfte­mangel dennoch nicht beseitigen. Wegen der wuchtigen Inflation fürchten die Händler außerdem, dass sich die Verbrauche­r zurückhalt­en. Zwei Drittel der Unternehme­n erwarten eine Verschlech­terung ihrer Geschäfte. Um die Stimmung bei den Konsumente­n zu verbessern, müsse die Bundesregi­erung „die unselige Verbotspol­itik zum Beispiel bei den Heizungen sofort beenden und den Bürgern die Entscheidu­ng überlassen, wann für sie der beste Zeitpunkt ist, um eine moderne Heizung einzubauen“, forderte Familienun­ternehmerP­räsidentin Ostermann.

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Auf dem Bau sind die Konjunktur­aussichten düster: Die Branche fürchtet einen Einbruch.

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