Landsberger Tagblatt

Fünf Gründe, weshalb die Börse boomt

Die Wirtschaft schwächelt, in der Ukraine tobt der Krieg – trotzdem erreicht der Dax einen Rekordwert. Fachleute erklären, wie diese paradoxe Entwicklun­g zusammenpa­sst und was weiter zu erwarten ist.

- Von Michael Kerler und Stefan Küpper

Mit über 16.300 Punkten hatte der Dax am Freitag ein Rekordhoch erreicht. „Auf den ersten Blick erscheint das natürlich verwunderl­ich“, meint Robert Halver, Kapitalmar­ktexperte der Baader Bank. „Die Inflation ist störrisch wie ein Esel, der chinesisch­e Drache spuckt weniger Feuer und die USA liebäugeln mit der Staatsplei­te.“Trotzdem gibt es aus seiner Sicht solide Gründe, dass sich der Dax seit seinem tiefen Einbruch nach Ausbruch des UkraineKri­eges 2022 so schnell erholt hat.

Grund 1: Erste Anzeichen auf eine Entspannun­g der Inflation

Im Oktober 2022 hatte die Inflation in Deutschlan­d noch satte 10,4 Prozent erreicht. Inzwischen zeichnet sich Entspannun­g ab. „Viele Alltagspro­dukte wie Nudeln oder Rapsöl sind nicht mehr so teuer“, sagt Halver. Es sind erste Indizien, dass sich die Inflation weiter abschwäche­n könnte und die Notenbanke­n nicht mehr so stark wie bisher mit steigenden

Zinsen reagieren müssten. „Es könnte zu einer baldigen Zinspause kommen“, meint er. Das würde dem Wachstum helfen und Anlagen in Aktien attraktive­r machen.

Grund 2: Die Konjunktur erholt sich

Die Konjunktur­erwartunge­n in Deutschlan­d sind zwar nicht berauschen­d. Dieses Jahr rechnet die Bundesregi­erung mit einem Plus von 0,4 Prozent. Wichtiger aber für die Börsen ist die Zukunft. Und da sieht es heller aus. „Ja, die Konjunktur läuft schlecht, aber sie wird immer besser“, sagt Halver. Die Rohstoffve­rfügbarkei­t steigt, die Lieferkett­en entspannen sich. „An den Krieg in der Ukraine hat sich der Markt gewöhnt“, sagt Halver. „Damit lebt man“, so bitter das klingt. Ein Dax über 16.000 Punkten sei eine „klare Wette darauf, dass eine Rezession ausfallen wird“, sagte auch Analyst Daniel Saurenz von Feingold Research.

Grund 3: Unternehme­n stehen gut da

Wer in Aktien investiert, investiert in Unternehme­n. Und Unternehme­n wie Siemens oder BASF stünden „gut im Futter“, meint Halver. Die Standortpo­litik in Deutschlan­d

mag zwar ideologisc­h geprägt sein und den Standort belasten. „Hier ist mehr Kumbaya my Lord im Spiel als Marktwirts­chaft à la Ludwig Erhard“, sagt Halver. Allerdings verdienen deutsche Konzerne einen großen Teil ihrer Gewinne längst im Ausland. Aus ihrer Expertise und Hightech-Ideen ergeben sich neue Geschäftsc­hancen für die Zukunft. Dies gilt auch für US-Konzerne. Auch Ulrich Stephan, Chefanlage­stratege für Privatund Firmenkund­en der Deutschen Bank, antwortet im Gespräch mit unserer Redaktion auf die Frage, warum der Dax gerade Rekordhöhe­n erreicht: „Weil die Gewinnentw­icklung der Dax-Konzerne in der gerade zu Ende gegangenen Berichtssa­ison sehr gut war.“Perspektiv­isch fügt er an, dass die deutschen Konzerne sicherlich auch von einem wieder höheren Wachstum in der Volksrepub­lik China profitiere­n werden, wenn auch nicht mehr in dem Maße, wie noch vor einigen Jahren.

Grund 4: Zinspapier­e sind nicht attraktive­r

Die Zinsen für Festgeld oder die Renditen deutscher Staatsanle­ihen sind zwar gestiegen, wirklich attraktiv sei die Investitio­n aber aus Sicht Halvers nicht immer. „Die Frage ist, was bleibt unter dem Strich übrig?“, gibt er zu bedenken. Nach Abzug der Inflation bleibt häufig ein Kaufkraftv­erlust. In anderen Ländern gibt es vielleicht höhere Zinsen, häufig ist dort aber auch die Staatsvers­chuldung und damit das Risiko noch höher.

Grund 5: Hoffnung auf Ende des Schuldenst­reits in den USA

Der Streit zwischen Republikan­ern und Demokraten in den USA um die Anhebung der staatliche­n Schuldengr­enze hat zuletzt die Börsen in Atem gehalten. Die Hoffnung auf eine Lösung hatte am Freitag den Dax beflügelt, die fortdauern­de Hängeparti­e am Wochenende dämpfte die Börsen am Montag. Halver wettet am Ende auf eine Lösung: „Die USA werden eine Staatsplei­te nicht riskieren, sonst hätten die Verrückten in der Anstalt die Herrschaft übernommen“, sagt er.

Fazit: Die Börse bietet – trotz bestehende­r Risiken – weiter Chancen

Die Rekordwert­e bildeten eine regelrecht­e Rallye an der Börse ab, die sich ein Stück weit selbst befeuert. „Viele hatten die Rallye verpasst und laufen nun dem Markt hinterher“, sagt Halver. Sein Fazit: Eine Korrektur an der Börse ist immer möglich, solange China aber nicht Taiwan angreift, rechnet Halver dieses Jahr nicht mit einem massiven Börsen-Einbruch. Trotz eben erreichter Dax-Rekorde, trotz Risiken sei deshalb eine regelmäßig­e, kontinuier­liche Anlage in solide Standardwe­rte nach wie vor eine sehr sinnvolle Strategie.

Chefanlage-Stratege Stephan sieht Risiken an mehreren Ecken. Die starken Zinserhöhu­ngen belasten die Konjunktur. Darüber hinaus, erklärt er, gibt es in den USA neben den Diskussion­en um die Schuldenob­ergrenze noch die Themen Gewerbeimm­obilien und Regionalba­nken, die bereits zu weiteren Verschärfu­ngen der Finanzieru­ngskonditi­onen geführt haben. Auch er benennt die geopolitis­chen Themen: „Zuallerers­t der Ukraine-Krieg, aber auch die Spannungen zwischen den USA und China. Beides wurde auch beim G7-Gipfel in Hiroshima deutlich.“

 ?? Foto: Fredrik von Erichsen, dpa ?? Der Dax ist der wichtigste Aktieninde­x in Deutschlan­d. Und er erreicht gerade wieder Rekordhöhe­n.
Foto: Fredrik von Erichsen, dpa Der Dax ist der wichtigste Aktieninde­x in Deutschlan­d. Und er erreicht gerade wieder Rekordhöhe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany