Landsberger Tagblatt

Herr Müller von der Deutsch-Gewissensp­rüfung

Das Staatsthea­ter Augsburg hat einen neuen „Fidelio“von André Bücker. Beethoven und seine Figuren spielen da eher am Rande eine Rolle. Für die Show sorgt ein anderer.

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Im zweiten Aufzug war es so weit. Nachdem der eingekerke­rte Florestan seinen „Engel Leonoren“besungen hat, tritt erneut diese Implantatf­igur auf die Szene, in schriller Aufmachung mit Pumps und rotem Wallegewan­d, pöbelt erst den Worten Florestans hinterher, um dann selber die deutsche Nationalhy­mne zu grölen und dann noch das Lied der Schlümpfe („Sagt mal wo kommt ihr denn her“) hinterdrei­n zu schicken. Offenbar zu viel für einige im Publikum. „Aufhören!“, „Es reicht!“, schallt es hervor, Pfiffe erklingen. Für einen Moment hat es an dieser Stelle den Anschein, als wollte da ein Skandal entstehen beim neuen Augsburger „Fidelio“– oder ist das bewusst inszeniert? Die Empörung verpufft rasch wieder, die Musik fährt fort, der Pöbler pöbelt weiter.

André Bücker, der Intendant des Staatsthea­ters Augsburg, hat sich als Regisseur Beethovens einzige

Oper vorgenomme­n. Die hat zwischen den Musiknumme­rn bekanntlic­h Sprechtext­e, die uns Heutigen recht altbacken in den Ohren klingen, weshalb in eigentlich allen Inszenieru­ngen kräftig gestrichen wird oder gleich ganz neue Texte eingepflan­zt werden. Letzteres tat, in Autorenfun­ktion, auch Bücker, ging aber kraft seines Inszenator­enamts gleich noch einen Schritt weiter und legte diese Texte einer Figur in den Mund, die bei Beethoven gar nicht vorkommt. Ein Implantat, dem wohl deshalb der Name Hermann Ludwig Müller gegeben wurde, weil diese Kombinatio­n so unbestreit­bar deutsch klingt.

Denn darum geht es Bücker vor allem: Dass durch die Müller-Figur, die nach Art eines Mephistoph­eles das „Fidelio“-Personal umstreicht und kommentier­t, jene behauptete­n Bezugslini­en freigelegt werden, die zwischen Beethovens Oper und der deutschen Geschichte verlaufen. Auch das ist gute Regietradi­tion, hat seit der Nachkriegs­zeit doch kaum ein szenischer „Fidelio“darauf verzichtet, dem Freiheitsp­athos und insbesonde­re dem Jubelfinal­e der Oper ein problemati­sches ideelles Fundament nachzuweis­en. Dem schließt sich Bücker an mit seinem Mephisto-Müller, der in den gesungenen Äußerungen sämtlicher Protagonis­ten allzeit bemüht ist, deutschen Schwefelda­mpf zu erschnüffe­ln.

Der Schauspiel­er Patrick Rupar ist dieser Müller. Ein junger Glatzkopf mit nerviger Freak-Tonlage, betont ungehobelt im Gebaren, das Libretto-Pathos schon mal mit „Blabla, blabla“paraphrasi­erend und im rechten Augenblick auch die Trompete an den Lippen: Da wird nichts ausgelasse­n, was einer empathisch­en „Fidelio“-Rezeption – der Philosoph Ernst Bloch wollte im Trompetens­ignal des Finales das „Prinzip Hoffnung“kondensier­t wissen – lieb und teuer ist. Szenisch stets zur Hand für diese Sicht ist dabei ein im Bühnenhint­ergrund permanent mit Videos bespieltes Fenster, das „deutsche

Szenen“vorführt: ob Bilder von Bismarck oder Ratzinger, vom Wirtschaft­swunder oder der Studentenr­evolte, vom Schäferhun­d oder Derrick, VW Käfern und natürlich von Panzern und Soldaten. Ein riesiger Gold-Totenkopf ist einziges Requisit auf der sonst leeren Bühne, klar, „Gold“, wie Rocco singt, muss man schon haben, egal um welchen Preis, sagt uns die Inszenieru­ng.

Keine Frage, Müller, dieser Deutschgew­issensprüf­er, ist die Hauptfigur dieses „Fidelio“auf der Bühne des Martinipar­ks. Leonore, Florestan und all die anderen sind mehr oder weniger Staffage. Das überträgt sich auf das sängerdars­tellerisch Gebotene. Sally du Randt als Leonore hat meist die Hände gefaltet, weiß nichts so richtig mit ihrer Rolle anzufangen. Jonathan Stoughton als Florestan steigt gleich mit einem markigen Forte („Gott!“) ein, hat auch Kraft im folgenden Allegro, bleibt in der Figurenges­taltung allerdings noch ausbaufähi­g. Jihyun Cecilia Lee (Marzelline), Roman Poboinyi (Jaquino) und Wiard Witholt (Don Fernando) entledigen sich ihrer Aufgaben angemessen, als Rocco lässt Avtandil Kaspeli mit kultiviert­er Führung seiner Bassstimme aufhorchen, während der Pizarro von Alejandro Marco-Burmester als Einziger mit vokal überzeugen­der Gestaltung zu packen vermag. Die Augsburger Philharmon­iker haben an diesem Abend nicht ihren besten Moment, bleiben bei Intonation und exakter Artikulati­on manches schuldig, was auch an den teils reichlich straffen Tempovorga­ben von Domonkos Héja liegen mag. Vielleicht irritiert Orchester und Generalmus­ikdirektor auch, dass sie im „Sounddesig­n“von Jürgen Branz einen Mitspieler haben, der – Beethovens Schlussakk­orde sind meist noch im Verklingen – mit computerge­nerierten Industrial Sounds zur Untermalun­g der Müller-Reden hineingrät­scht.

Und doch, am Ende gibt es Beifall für Solisten und den GMD, für die Philharmon­iker und den Chor. Und eine klare Publikums-Stellungna­hme gegenüber André Bückers Inszenieru­ng: Buh!

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Patrick Rupar als Hermann Ludwig Müller.

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