Mehr Gehirnwäsche als Rockkonzert
Die Tour von Roger Waters, Pink-Floyd-Legende und Israelkritiker, sorgte im Vorfeld für heftige Kritik. Nun spielte der 79-Jährige in München – und offenbarte ein simples Weltbild mit dumpfen Parolen.
Eigentlich sollte es um die Musik gehen. Um großartige Songs und das gute Gefühl, eine Rock-Legende live zu erleben. Doch bevor Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters einen Ton spielt, verkündet seine Stimme aus dem Off: „Gleich beginnt die Show. Solltest du zu den Leuten gehören, die Pink Floyds Musik lieben, aber Roger Waters politische Haltung nicht ertragen, verpiss dich an die Bar.“Alles klar, dann am besten direkt an die Bar. Gegen den Fluchtinstinkt hilft auch der Hinweis nicht, dass er kein Antisemit sei und ihm das per Gerichtsbeschluss attestiert worden sei – was nicht stimmt, da das Frankfurter Verwaltungsgericht lediglich festgestellt hatte, dass sein Auftritt NaziVerbrechen nicht verherrliche.
Der Auftritt des britischen Musikers stand wegen dessen Nähe zur antisemitischen Israel-Boykott-Bewegung BDS und Russland-Propaganda seit Monaten in der Kritik. Mehrere Städte wollten die Konzerte verhindern, doch Waters ging dagegen vor. So durfte er am Sonntagabend auch in der Münchner Olympiahalle spielen – und bewies, dass sich seine teils kruden Ansichten nicht von seiner Musik trennen lassen. Konzertbesucher verjagen, bevor man überhaupt die Bühne betritt? Ganz schön gewagt, verriet aber einiges über Waters Weltanschauung und über das, was folgte. Denn das hatte es in sich.
Zweieinhalb Stunden flackern politische Slogans, Bilder von zerbombten Städten und niedergeknüppelten Demonstranten über einen Leinwandkoloss, der kruzifixförmig über der ebenso geformten und mitten in die Arena geklotzten Bühne schwebt. Patronenhülsen, Insekten, geschlachtete Kühe, Coronaviren und Schafe wabern willkürlich durch den animierten Äther, während Waters mähend über die Bühne läuft und dazu aufruft, miteinzustimmen in den ironisch gemeinten Choral der Gleichschaltung. Und das Publikum folgt ihm hörig.
Ununterbrochen projiziert Waters sein dualistisches Weltbild auf den Bildschirm: Gut gegen Böse.
Wir, das Volk, gegen die da oben, die Regierenden, Oligarchen und Machthaber. Die US-Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte, von Reagan über Bush, Obama und Trump werden allesamt zu Kriegsverbrechern erklärt und geldgierigen Bankern Schweineköpfe aufgesetzt. Neben einem aufgeblasenen Schaf, das frei nach George Orwells „Animal Farm“die verblödete Masse repräsentieren soll, fliegt das obligatorische Gummischwein durch die Halle. Diesmal zwar ohne Davidstern, dafür aber bekritzelt mit den Namen mehrerer Rüstungskonzerne. Das Schwein als Symbol des Bösen – zu dem auch Israel gehört, wie Bilder von Soldaten und der Mauer entlang der Westbank zeigen sollen.
Falls damit noch nicht klar sein sollte, auf welcher Seite Waters steht, wickelt er sich zur Sicherheit
ein Palästinensertuch um, bevor er „Déjà Vu“klampft, „Free Julian Assange“ruft und die Leinwand mit viel „Fuck“für sich sprechen lässt. Bomben, Besatzung, Patriarchat – alles scheiße. Stattdessen mehr Rechte für Schwarze, Geflüchtete,
Indigene und Palästinenser. Für die hat das Publikum, dem Applaus nach zu urteilen, am meisten übrig. Beim Recht auf Abtreibung will niemand klatschen.
Die Musik wird immer wieder von Soundeffekten durchbrochen, von Schüssen, Geschrei oder Tonspuren von Soldaten, die Jagd auf
Zivilisten machen. Viel Lärm, viel Blut, viel Effekthascherei. Für differenzierte Meinungen ist kein Platz. Stattdessen werden große Begriffe und einfältige Sprüche platziert. Gegen Kapitalismus, Militarismus, Krieg, Faschismus, das große Ganze. Hauptsache dagegen.
Der Höhepunkt der Horrorshow: Nach der Pause betritt Waters in Ledermantel und mit roter Armbinde die Bühne. Zwei Soldaten drücken ihm ein Fake-Maschinengewehr in die Hand. „Are there any paranoids in the arena?“, brüllt Waters und ballert mit erschreckend echtem Knallgeräusch in die Menge, während die Band „Run like Hell“anstimmt. Spätestens da möchte man nur noch weglaufen vor diesem weißen, alten Mann, der auf unerträgliche Art den durchgeknallten Diktator mimt, um autoritäre Ideologien und blinde Gefolgschaft zu karikieren, sich dabei aber jener Strategien bedient, die er zu kritisieren versucht.
Holzschnittartig werden Parolen serviert, die selbst faschistoide Züge in sich tragen. Man muss sich nicht auf das antisemitische Narrativ versteifen, um von der Show genervt zu sein. Waters selbstgerechte Haltung reicht. Wie der große Weltversteher stapft er über die Bühne und verschafft seinen Anhängern das Gefühl von totaler Selbstbestätigung. Wir in der Arena haben es verstanden im Gegensatz zu denen da draußen.
Dort neben dem Eingang der Olympiahalle wehen Regenbogenfahnen und Israelflaggen. Polizeiaufgebot. Rund 80 Menschen demonstrieren gegen das Konzert. Der Verein „München ist bunt!“hatte dazu aufgerufen. Sie schwenken Israel-Fähnchen, UkraineFlaggen, halten Schilder hoch, auf denen „We don’t need your education“steht – in Anlehnung an die berühmte Pink-Floyd-Zeile.
Auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ist gekommen. In einer Ansprache bezeichnet sie Waters als „antisemitischen Brandstifter“und liefert sich ein Wortgefecht mit einem Fan, der mehrmals „Waters ist geil“brüllt. „Hör auf, geh’ halt rein, wenn Du ihn so liebst“, entgegnet Knobloch. Macht er auch. Aber spurlos scheinen die Debatten um Waters an den Fans nicht vorbeizugehen. Auch sie diskutieren. Man habe gehadert. Verurteile Waters Haltung gegenüber Putin und dem Ukraine-Krieg. Sei vor allem wegen der Musik da.
Lichtblicke finden sich in dem dystopischen Geplänkel nur selten, wie bei „Any Colour You Like“oder „Two Suns In the Sunset“. Tanzen und lachen da Menschen auf der Leinwand? Fährt ein Mann dem Sonnenuntergang entgegen? Ach nein, da explodiert schon die Atombombe. Apokalypse mit Ankündigung. Hat Waters doch vorher erzählt, dass die Weltuntergangsuhr auf kurz vor zwölf steht. So fühlt man sich am Ende wie ein Schaf, das zweieinhalb Stunden auf einen gigantischen Bildschirm geglotzt hat und mit plumpen Parolen zugeballert wurde und fragt sich: Was sollte das alles?
Vor der Halle wird demonstriert, drinnen fliegt das Gummischwein