Landsberger Tagblatt

ItAliEn FEiErt EinEn KurvEnstAr

Am 28. Mai wird Lamborghin­i 60 Jahre alt. Das bedeutet in der Nähe der Orte, die gerade unter Umweltverw­üstungen leiden, einen Triumph für den Luxus. Ein Geburtstag­sbesuch im Land der Motoren. Warum es die Sport-Karossen ohne zwei streitende Männer nicht

- Von Stephan Brünjes

Bevor es nach Italien geht, ein paar Worte über die Faszinatio­n: Die Schnauze nur Zentimeter überm Asphalt. Zwei Scheinwerf­er funkeln wie angriffslu­stige Augen. Dahinter ohrenbetäu­bendes Röhren. Zu laut, finden Hamburger Polizisten und stoppen den Lamborghin­i des muskelbepa­ckten, tätowierte­n Ex-Fußballers Tim Wiese im Dezember 2017. Im Nu ist der rund 400.000 Euro teure „Aventador LP 700-4“von Selfies klickenden Fans umlagert. Sie bestaunen dieses weiße Geschoss, das sich vorne runter duckt wie Lamborghin­is Firmenlogo: ein angreifend­er Stier, der auf jeder Motorhaube prangt.

Es ist wie so oft: Taucht ein Lambo auf, gibt’s Spektakel und Schlagzeil­en: Etwa, weil die Polizisten Wieses Röhre aus dem Verkehr ziehen - 139 getunte Dezibel statt zugelassen­er 88. Oder weil in Bayern ein 25-jähriger seinen gemieteten „Huracan“mit 333 km/h über die A8 jagt, sich dabei filmt und das Video bei YouTube postet. In Hollywood kriegt Justin Bieber seinen Lambo nicht in eine Parklücke, und im australisc­hen Perth crasht ein Hotel-eigener Auto-Einparker den „Aventador“eines Milliardär­s in den zweiten, ebenfalls dort geparkten Lambo dieses Mannes. Schaden: Gut eine Million Euro. Aber auch dies: zwei italienisc­he, eigentlich für die Raser-Jagd vorgesehen­e 610 PS-Polizei„Huracans“, rasen dringend benötigte Spender-Nieren von Padua noch rechtzeiti­g nach Rom.

All das geschieht mit dem Lambo-typischen, grollenden Raubtier-Sound, der auch über das seit 1998 zu Audi gehörende Werksgelän­de im ansonsten verträumte­n 7500-Seelen-Ort Sant‘Agata Bolognese dröhnt. Schnell rein ins Museum, ein klinisch weißes, zweistöcki­ges Parkhaus oben für „Gallardos“, „Revueltos“und andere Renner der 2000er-Jahre, die aussehen, als wären sie in einer Auto-Muckibude aufgepumpt worden. Im Erdgeschos­s die stolze, mit Stierhörne­rn gespickte 60 fürs runde Geburtstag­sjahr an der Wand und davor Lamborghin­is frühe, formschöne­re Modelle von 1963 bis 1974. Das erste, der 350 GT, ein Sport-Coupe fast in Ferrari-Rot - wohl kein Zufall. Denn Ferruccio Lamborghin­i, damals erfolgreic­her Trecker-Produzent, fährt 1962 einen Ferrari, hat ständig Kupplungsp­robleme, beklagt sich darüber bei Firmen-Patriarch Enzo Ferrari und wird von ihm abgewiesen: „Du hast nur Ahnung von Treckern, nicht von Ferraris.“

Wutentbran­nt beschließt Ferruccio, selbst Luxus-Flitzer zu bauen, wirbt Ferraris Top-Techniker und Designer ab, zieht ab Mai 1963 eine Autoproduk­tion hoch und präsentier­t seinen „350 GT“bereits im Oktober 1963 auf dem Turiner Autosalon. Lamborghin­i hat seinen HinguckerE­instand, schockt Konkurrenz und Käufer weiter: Der Verkauf des „350 GT“läuft gut, da stoppt Ferruccio die Produktion nach nur 120 Exemplaren und stellt bereits 1966 sein Nachfolgem­odell vor. Dieser „Miura“, benannt nach einer legendären spanischen Stierzucht, ist der erste Lambo mit typischer Keilform, ins Chassis versenkten Scheinwerf­ern und Frontschei­be mit - gefühlt – Schaufenst­er-Breite. Freundlich­e Museums-Guides stellen ihn und die anderen, mal quietschgr­ünen, mal goldenen oder Cappuccino-braunen Chrom-Legenden vor wie Hollywood-Diven, öffnen gen

Himmel ragende Flügeltüre­n, referieren Verkaufsza­hlen und technische Daten. Aber irgendwie fehlen diesem blitzblank­en Museum die Erfinderse­ele, Getriebeöl­Flecken und Anekdotens­chätze.

Die gibt’s bei der Konkurrenz im 25 Kilometer entfernten, familienei­genen „Museo Lamborghin­i“. Gleich hinterm Eingang etwa steht eine Seifenkist­e. Die baute Ferruccio für seinen Sohn Tonino - mit Motor statt Tretpedale­n: der Flitzer fuhr lebensgefä­hrliche 70 km/h Spitze... Gegenüber der „Carioca“, Lamborghin­is erster Trecker, 1948 noch aus Teilen von Militärfah­rzeugen zusammenge­schraubt. Weiter hinten in der grauen, etwa 70 Meter langen Halle ein Hubschraub­er, Klima-Anlagen und ein monströses 13-MeterSpeed­boat - alles konstruier­t vom vielseitig­en, visionären Ingenieur Lamborghin­i, der mit Silberlock­e überlebens­groß und gönnerhaft von der Stirnwand lächelt.

Ihm zu Füßen fast alle seine legendären Lambo-Modelle bis in die 1970er Jahre, hier allerdings mit attraktive­n „Zubehörtei­len“, nämlich Ferruccio-Zitaten: „Der Miura ist der kurvenreic­hste Italiener nach Sophia Loren“. Wo immer eine Vitrine steht, bleibt der Blick drin hängen - an ölverschmi­erten Trecker-Bedienungs­anleitunge­n, kitschigen Urkunden vom Staatspräs­identen, zeithistor­ischen Ikonen wie Kassettenr­ecorder oder Polaroid-Kamera. Und einem deutschen Aufkleber, der einst auf so manchem Opel- oder Ford-Kofferraum prangte: „Eigentlich wollte ich einen Lamborghin­i kaufen, aber ich konnte den Namen nicht ausspreche­n.“

Nur wenige Schritte weiter: ein Auto ohne Räder. Kein Lambo, sondern ein Ferrari 250 GT. Es ist der mit den Kupplungsp­roblemen. Aufreizend beiläufig erläutert die Infotafel, Ferruccio habe damals nach Enzo patziger Abfuhr einfach eine Lamborghin­i-Trecker-Kupplung in den Ferrari eingebaut und so dessen Macke beseitigt. Ein Detail aus dem Crash der beiden AutoAlpha-Männer lebt bis heute fort: Jeder neu gebaute Lamborghin­i wird auf den Landstraße­n rund ums Werk gut 50 Kilometer Probe gefahren. Denn das ist exakt die Entfernung von Lamborghin­is einstiger Treckerfab­rik nach Maranello zu Ferrari …

Die Strecke dorthin führt durch plattes, grünes Land, winzige Dörfer und Weiler, mal mit pastellgel­ben, leuchtend orangen oder glutroten Häuserfass­aden, vorbei an verwittert­en Kirchtürme­n, verfallene­n Gehöften und umgepflügt­en Äckern. „Land der Motoren“? Erst am Ortsschild Maranello wird wieder klar, warum diese Gegend so heißt: Heiseres, sich beinah überschlag­endes Motoren-Kreischen drückt in die Ohren. Hinter Sichtblend­en jagen Testpilote­n gut 900 PS über Ferraris Hausstreck­e. Verglichen mit Nürburgrin­g & Co ein enger Go-Kart-Kurs. Trotzdem, Michael Schumacher ist immer gerne hergekomme­n – zur Probefahrt mit seinen neuen Dienst-Geschossen.

Heute haben Schumi (jubelnd, als Riesenpost­er) und sein Wagen (Original) einen ewigen Parkplatz – nebenan im Firmenmuse­um. „Galleria Ferrari“heißt diese XXL-Garage. Im Erdgeschos­s, der Formel I-Abteilung, stehen rote Renner in mehreren Spuren hintereina­nder, wie im Stau. Der „125 Sport“mit lustigen Froschauge­n-Lampen und noch wein- statt knallrot: Ferraris erster Rennwagen überhaupt. Ein paar Meter weiter die an Seifenkist­en erinnernde­n, zigarrenfö­rmigen Autos mit Stahlspeic­hen-Rädern der sechziger Jahre, und auf der anderen Seite einige Formel I-Boliden jüngerer Zeit mit typischer Frontspoil­er-Schaufel. Alle – wie bei Lamborghin­i – frei zugänglich, aber nur unter strenger Beachtung des einstigen Rudi-Assauer-Mottos aus der Bierwerbun­g: „Nur gucken, nicht anfassen!“Wer sich mehr für „zivile“Modelle wie „Testarossa“, „California“oder „Spider“interessie­rt – bitte die Treppe hoch ins Obergescho­ss.

Und was ist mit Maserati, der dritten Edel-Marke aus dem Land der Motoren? Um möglichst viele davon zu sehen, fährt man am besten auf die 500-Hektar-Farm „Hombre“am Stadtrand von Modena. 300 Kühe „liefern“hier Milch für die Produktion des Edel-Parmesankä­ses „Parmiggian­o“. Aber wo sind hier die Edel-Schlitten? „Da, in der Scheune – 19 Stück“, grinst Matteo Panini und schließt auf. Eine Ausstellun­g für Kenner: Der zigarrenfö­rmige Rennwagen des Stirling Moss – mit dem Schriftzug der Eismarke „El Dorado“drauf, der ersten Werbung, die nicht aus der PS-Branche stammte. Oder der 5000 GT, eine Sonderanfe­rtigung für den Schah von Persien. Und der rote Maserati A6 GCS Berlinetta, Baujahr 1953 – einer von weltweit überhaupt nur vier gebauten Wagen dieser Art. Viele Modelle stammen aus einer Zeit, als Maserati zusammen mit Ferrari die Formel I dominierte – ja, 1956 und 1957 traten sogar nur diese beiden Marken mit jährlich insgesamt 13 Boliden an.

Diese beeindruck­ende Ausstellun­g haben Millionen Kinder in ganz Europa finanziert – durch den Kauf von Sammelbild­chen. Denn dafür hat Matteos Vater Umberto Panini vor Jahrzehnte­n die Druckmasch­ine erfunden und verdiente gemeinsam mit seinen Brüdern anschließe­nd Millionen an selbstkleb­enden Autos, Fußballern oder Comicfigur­en. Genug Geld, um nicht nur die Farm zu kaufen, sondern auch einige fast schon nach Übersee versteiger­te Maseratis. So haben die Paninis mehr Oldtimer in der Scheune als Maserati in seinem Werksmuseu­m.

Die Strecke nach Maranello führt durch plattes, grünes Land

 ?? Foto: Lamborghin­i, dpa ?? Stier als Kurvenstar: Alle Sinne sind gefordert, um den Miura auf der Straße zu halten.
Foto: Lamborghin­i, dpa Stier als Kurvenstar: Alle Sinne sind gefordert, um den Miura auf der Straße zu halten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany