Landsberger Tagblatt

Was Strauß damals sagte

- Seeg

Zum Leitartike­l von Peter Müller „Merz’ gefährlich­e Sonthofen-Strategie“vom 15. Februar:

Manche haben die Rede, die Franz Josef Strauß 1974 auf der Sonnenalp, nicht in Sonthofen, gehalten hat, weder vollständi­g gelesen noch verstanden. Mir liegt der Wortlaut vor, und ich war als Mitglied der CSU-Landesgrup­pe Zeuge dieser Veranstalt­ung. Die frei gehaltene Rede war für die Mitglieder der Landesgrup­pe, nicht für eine Veröffentl­ichung bestimmt. Das erklärt einige deftige Bemerkunge­n, auch über Personen im eigenen Beritt. Eine Blockade aller politische­n Anliegen der damaligen soziallibe­ralen Koalition hat nicht stattgefun­den. CDU und CSU haben die Ostverträg­e 1972 trotz großer Bedenken passieren lassen, um das außenpolit­ische Ansehen der Bundesrepu­blik nicht zu gefährden. 1976 haben die unionsgefü­hrten Regierunge­n im Bundesrat dem Abkommen über Polen zugestimmt. 2003 und 2004 haben die Unionspart­eien die Agenda 2010 von Bundeskanz­ler Gerhard Schröder nicht torpediert und dieser Reform zum Erfolg verholfen. Bei wichtigen Entscheidu­ngen kam es zu einer Einigung.

Wenn Strauß formuliert­e, das Bewusstsei­n der Öffentlich­keit sei noch nicht so weit, die Rezepte zur Heilung der Krise in Kauf zu nehmen, war das damals richtig und trifft auch heute zu. Wenn Strauß feststellt, noch heute leben die meisten über ihre Verhältnis­se und haben nicht begriffen, wie ernst die Situation ist, hat er nur die Wahrheit über die damalige Situation

ausgesproc­hen. Erst wenn aus der Krise ein heilsamer Schock erwächst und damit die Bereitscha­ft, die Konsequenz­en aus dieser Zeit auch auf sich zu nehmen und die Regierung den Mut hat, das zu sagen, kann Gesundung erfolgen.

Damit hat Strauß mitnichten einer Blockade oder Totaloppos­ition das Wort geredet. Er verlangte von der Bundesregi­erung eine ehrliche Analyse und realistisc­he Vorschläge gegen die damalige Inflation und Wachstumss­chwäche. Dies von der Regierung zu verlangen und danach an gemeinsame­n Lösungen mitzuwirke­n, war die berechtigt­e Forderung 1974. Das gilt auch für unsere Zeit.

Dr. Theo Waigel,

Newspapers in German

Newspapers from Germany