„Wir müssen Frauen zur Seite stehen“
Der evangelische Landesbischof Christian Kopp kennt die Nöte von ungewollt Schwangeren und von Paaren, die sich sehnlichst ein Kind wünschen. Das denkt er über eine Neuregelung bei Abtreibungen.
Herr Kopp, fürchten Sie einen neuen „Kulturkampf “beim Thema Schwangerschaftsabbruch?
Christian Kopp: Wir befinden uns in einer Zeit, in der viele schwierige Themen die Menschen beschäftigen. Das wird auch die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch belasten. Der Kompromiss beim Schwangerschaftsabbruch wurde einst mühsam errungen, das hat damals schon sehr viel Energie gekostet. Und bei einer Neuregelung wird das wieder nötig sein.
Es liegt nun ein Bericht einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission vor. Diese empfiehlt, dass ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen erlaubt sein sollte.
Kopp: Wir haben es mit einer Dilemma-Situation zu tun: Auf der einen Seite steht das Selbstbestimmungsrecht der Frau, auf der anderen der Schutz des ungeborenen Lebens …
… und bislang regelte der Strafrechtsparagraf 218: Ein Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich rechtswidrig, wird aber unter bestimmten Bedingungen nicht bestraft. Überdies muss sich eine Schwangere beraten lassen.
Kopp: Beratung ist das Zentrale. Auch und gerade für uns als Kirche. Denn die Beratungen bieten ja die Möglichkeit, die Frauen in ihrer Dilemma-Situation zu unterstützen und über Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch nachzudenken.
Minister der Ampelregierung mahnten eine sachliche, keinesfalls ideologische Diskussion an.
Kopp: Es wäre schön, wenn wir versuchen würden, einander gut zuzuhören. Positiv in dem Bericht ist auf jeden Fall, dem Selbstbestimmungsrecht der Frau einen großen Stellenwert zu geben. Aus christlicher Sicht muss aber auch das Recht des ungeborenen Lebens eine große Rolle spielen.
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erklärte im Oktober: Man trete dafür ein, Regulierungen „für bestimmte Konstellationen auch außerhalb des Strafrechts zu formulieren“. Wie ist Ihre Position?
Kopp: Ich fand gut an der Diskussion um dieses Ratspapier, dass der Schutz des Lebens immer an erster Stelle kam. Aus dem Papier selbst ging das aus meiner Sicht nicht so deutlich hervor. Ich halte es auch für schwierig, wenn wir uns als evangelische Kirche dazu äußern, wie viele Wochen lang ein Schwangerschaftsabbruch nun durchgeführt werden können soll oder darf. Unsere Aufgabe ist es doch, darauf hinzuweisen, dass die beiden Rechtsgüter – das Selbstbestimmungsrecht der Frau und der Schutz des ungeborenen Lebens – in eine Balance kommen müssen. Und dass wir Frauen und Paaren beratend zur Seite stehen.
Sind Sie denn dafür, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafrecht herauszuholen?
Kopp: Darüber müssen wir jedenfalls reden. Ob das Strafrecht wirklich dazu geeignet ist, die Balance, von der ich eben sprach, herzustellen – daran habe ich meine Zweifel. Aus der Beratungspraxis im Schwangerschaftskonflikt wissen wir, dass viele Frauen das als demütigend empfinden. Zudem müssen wir über die Situation der Ärztinnen und Ärzte diskutieren. Sie stehen auch in Bayern den Schwangeren im Konflikt bei – das ist auch eine ärztliche DilemmaSituation. Die strafrechtliche Regelung führt zu Unsicherheiten. Es gibt zu wenig Ärztinnen und Ärzte, die Frauen in dieser Dilemma-Situation helfen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach wies darauf hin, dass es im Süden Deutschlands für ungewollt Schwangere schwierig sei; es bestehe Handlungsbedarf bei der Versorgung mit Kliniken, die eine Abtreibung vornehmen.
Kopp: Zunächst einmal halte ich eine Beratungspflicht für überaus wichtig. Es ist auch in Bayern nicht so leicht, eine Beratung zu bekommen. Das muss für Frauen einfacher werden. Und es muss für sie, wenn die Entscheidung getroffen wurde, wohnortnahe Möglichkeiten geben, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.
Die katholische Kirche warnt vehement vor einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.
Kopp: Was den Schutz des ungeborenen Lebens angeht, stimme ich den katholischen Bischöfen im Grundsatz zu. Aber der Schwangerschaftskonflikt ist ein ethischer Grenzfall. Aus meiner Sicht ist das Selbstbestimmungsrecht der Frau stärker zu betonen.
Kürzlich demonstrierten Christen beim „Marsch fürs Leben“in München für den „Lebensschutz“.
Kopp: Ich habe so einen „Marsch fürs Leben“erst einmal miterlebt. Den Aussagen auf Plakaten, die ich dabei sah, konnte ich größtenteils nicht zustimmen. Es ging hier nicht um den Schutz des Lebens, sondern um die Ächtung derer, die Abtreibungen vorgenommen haben – und zwar in einer DilemmaSituation und gewissermaßen in letzter Konsequenz. Ein solcher Umgang mit dem Thema, wie ich ihn auf diesem Marsch beobachten konnte, ist unangemessen.
Die Expertenkommission kann sich auch vorstellen, dass Eizellspenden und Leihmutterschaft zugelassen werden könnten. Sind das Tabubrüche?
Kopp: Man muss ja nur in unser Nachbarland Frankreich schauen, um zu sehen, wohin eine Liberalisierung in diesem Bereich führen kann. In Frankreich steht das Recht auf Schwangerschaftsabbruch seit Kurzem in der Verfassung, die Eizellspende ist legal. Was die Leihmutterschaft angeht: Sie muss aus christlich-ethischer Sicht sehr sorgfältig reflektiert werden. Wenn die finanzielle Abhängigkeit
einer Leihmutter ausgenutzt wird, halte ich eine Zulassung für grundsätzlich ausgeschlossen. Gleichzeitig gibt es Grenzsituationen – und diesen müssen wir uns stellen. Eine Arbeitsgruppe der evangelischen Kirche widmet sich gerade diesen Situationen. Was ist zum Beispiel, wenn ein ungewollt kinderloses Paar ein Kind haben will? In jedem Fall brauchen wir klare Kriterien für diese schwierige Abwägung.
Sprechen Sie mit Paaren, die sich ihren Kinderwunsch mithilfe der Reproduktionsmedizin, möglicherweise im Ausland, erfüllten?
Kopp: Ich führe Gespräche. Wichtig ist mir, in diesen zu sagen: Macht das zum Thema. Sprecht über die möglichen Folgen. Ansonsten kann das 20 oder 30 Jahre später ein Kind psychisch regelrecht umwerfen. Hier ist eine verantwortliche Auseinandersetzung und eine aufrichtige Debatte erforderlich.