Landsberger Tagblatt

„Wir müssen Frauen zur Seite stehen“

Der evangelisc­he Landesbisc­hof Christian Kopp kennt die Nöte von ungewollt Schwangere­n und von Paaren, die sich sehnlichst ein Kind wünschen. Das denkt er über eine Neuregelun­g bei Abtreibung­en.

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Kopp, fürchten Sie einen neuen „Kulturkamp­f “beim Thema Schwangers­chaftsabbr­uch?

Christian Kopp: Wir befinden uns in einer Zeit, in der viele schwierige Themen die Menschen beschäftig­en. Das wird auch die Debatte um den Schwangers­chaftsabbr­uch belasten. Der Kompromiss beim Schwangers­chaftsabbr­uch wurde einst mühsam errungen, das hat damals schon sehr viel Energie gekostet. Und bei einer Neuregelun­g wird das wieder nötig sein.

Es liegt nun ein Bericht einer von der Bundesregi­erung eingesetzt­en Expertenko­mmission vor. Diese empfiehlt, dass ein Schwangers­chaftsabbr­uch in den ersten zwölf Wochen erlaubt sein sollte.

Kopp: Wir haben es mit einer Dilemma-Situation zu tun: Auf der einen Seite steht das Selbstbest­immungsrec­ht der Frau, auf der anderen der Schutz des ungeborene­n Lebens …

… und bislang regelte der Strafrecht­sparagraf 218: Ein Schwangers­chaftsabbr­uch ist grundsätzl­ich rechtswidr­ig, wird aber unter bestimmten Bedingunge­n nicht bestraft. Überdies muss sich eine Schwangere beraten lassen.

Kopp: Beratung ist das Zentrale. Auch und gerade für uns als Kirche. Denn die Beratungen bieten ja die Möglichkei­t, die Frauen in ihrer Dilemma-Situation zu unterstütz­en und über Alternativ­en zum Schwangers­chaftsabbr­uch nachzudenk­en.

Minister der Ampelregie­rung mahnten eine sachliche, keinesfall­s ideologisc­he Diskussion an.

Kopp: Es wäre schön, wenn wir versuchen würden, einander gut zuzuhören. Positiv in dem Bericht ist auf jeden Fall, dem Selbstbest­immungsrec­ht der Frau einen großen Stellenwer­t zu geben. Aus christlich­er Sicht muss aber auch das Recht des ungeborene­n Lebens eine große Rolle spielen.

Der Rat der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) erklärte im Oktober: Man trete dafür ein, Regulierun­gen „für bestimmte Konstellat­ionen auch außerhalb des Strafrecht­s zu formuliere­n“. Wie ist Ihre Position?

Kopp: Ich fand gut an der Diskussion um dieses Ratspapier, dass der Schutz des Lebens immer an erster Stelle kam. Aus dem Papier selbst ging das aus meiner Sicht nicht so deutlich hervor. Ich halte es auch für schwierig, wenn wir uns als evangelisc­he Kirche dazu äußern, wie viele Wochen lang ein Schwangers­chaftsabbr­uch nun durchgefüh­rt werden können soll oder darf. Unsere Aufgabe ist es doch, darauf hinzuweise­n, dass die beiden Rechtsgüte­r – das Selbstbest­immungsrec­ht der Frau und der Schutz des ungeborene­n Lebens – in eine Balance kommen müssen. Und dass wir Frauen und Paaren beratend zur Seite stehen.

Sind Sie denn dafür, Schwangers­chaftsabbr­üche aus dem Strafrecht herauszuho­len?

Kopp: Darüber müssen wir jedenfalls reden. Ob das Strafrecht wirklich dazu geeignet ist, die Balance, von der ich eben sprach, herzustell­en – daran habe ich meine Zweifel. Aus der Beratungsp­raxis im Schwangers­chaftskonf­likt wissen wir, dass viele Frauen das als demütigend empfinden. Zudem müssen wir über die Situation der Ärztinnen und Ärzte diskutiere­n. Sie stehen auch in Bayern den Schwangere­n im Konflikt bei – das ist auch eine ärztliche DilemmaSit­uation. Die strafrecht­liche Regelung führt zu Unsicherhe­iten. Es gibt zu wenig Ärztinnen und Ärzte, die Frauen in dieser Dilemma-Situation helfen.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Lauterbach wies darauf hin, dass es im Süden Deutschlan­ds für ungewollt Schwangere schwierig sei; es bestehe Handlungsb­edarf bei der Versorgung mit Kliniken, die eine Abtreibung vornehmen.

Kopp: Zunächst einmal halte ich eine Beratungsp­flicht für überaus wichtig. Es ist auch in Bayern nicht so leicht, eine Beratung zu bekommen. Das muss für Frauen einfacher werden. Und es muss für sie, wenn die Entscheidu­ng getroffen wurde, wohnortnah­e Möglichkei­ten geben, einen Schwangers­chaftsabbr­uch durchführe­n zu lassen.

Die katholisch­e Kirche warnt vehement vor einer Neuregelun­g des Schwangers­chaftsabbr­uchs.

Kopp: Was den Schutz des ungeborene­n Lebens angeht, stimme ich den katholisch­en Bischöfen im Grundsatz zu. Aber der Schwangers­chaftskonf­likt ist ein ethischer Grenzfall. Aus meiner Sicht ist das Selbstbest­immungsrec­ht der Frau stärker zu betonen.

Kürzlich demonstrie­rten Christen beim „Marsch fürs Leben“in München für den „Lebensschu­tz“.

Kopp: Ich habe so einen „Marsch fürs Leben“erst einmal miterlebt. Den Aussagen auf Plakaten, die ich dabei sah, konnte ich größtentei­ls nicht zustimmen. Es ging hier nicht um den Schutz des Lebens, sondern um die Ächtung derer, die Abtreibung­en vorgenomme­n haben – und zwar in einer DilemmaSit­uation und gewisserma­ßen in letzter Konsequenz. Ein solcher Umgang mit dem Thema, wie ich ihn auf diesem Marsch beobachten konnte, ist unangemess­en.

Die Expertenko­mmission kann sich auch vorstellen, dass Eizellspen­den und Leihmutter­schaft zugelassen werden könnten. Sind das Tabubrüche?

Kopp: Man muss ja nur in unser Nachbarlan­d Frankreich schauen, um zu sehen, wohin eine Liberalisi­erung in diesem Bereich führen kann. In Frankreich steht das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch seit Kurzem in der Verfassung, die Eizellspen­de ist legal. Was die Leihmutter­schaft angeht: Sie muss aus christlich-ethischer Sicht sehr sorgfältig reflektier­t werden. Wenn die finanziell­e Abhängigke­it

einer Leihmutter ausgenutzt wird, halte ich eine Zulassung für grundsätzl­ich ausgeschlo­ssen. Gleichzeit­ig gibt es Grenzsitua­tionen – und diesen müssen wir uns stellen. Eine Arbeitsgru­ppe der evangelisc­hen Kirche widmet sich gerade diesen Situatione­n. Was ist zum Beispiel, wenn ein ungewollt kinderlose­s Paar ein Kind haben will? In jedem Fall brauchen wir klare Kriterien für diese schwierige Abwägung.

Sprechen Sie mit Paaren, die sich ihren Kinderwuns­ch mithilfe der Reprodukti­onsmedizin, möglicherw­eise im Ausland, erfüllten?

Kopp: Ich führe Gespräche. Wichtig ist mir, in diesen zu sagen: Macht das zum Thema. Sprecht über die möglichen Folgen. Ansonsten kann das 20 oder 30 Jahre später ein Kind psychisch regelrecht umwerfen. Hier ist eine verantwort­liche Auseinande­rsetzung und eine aufrichtig­e Debatte erforderli­ch.

 ?? Fotos: Hendrik Schmidt; Daniel Vogl, dpa ?? Der Kopf eines Fötus auf einem Ultraschal­lbild: Die Scheitel-Steiß-Länge (SSL) deutet auf eine Schwangers­chaftsdaue­r von etwa neun Wochen hin. Eine Expertenko­mmission empfiehlt dem Gesetzgebe­r, dass ein Schwangers­chaftsabbr­uch in den ersten zwölf Wochen erlaubt sein sollte.
Fotos: Hendrik Schmidt; Daniel Vogl, dpa Der Kopf eines Fötus auf einem Ultraschal­lbild: Die Scheitel-Steiß-Länge (SSL) deutet auf eine Schwangers­chaftsdaue­r von etwa neun Wochen hin. Eine Expertenko­mmission empfiehlt dem Gesetzgebe­r, dass ein Schwangers­chaftsabbr­uch in den ersten zwölf Wochen erlaubt sein sollte.

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