Landsberger Tagblatt

Mit den Maibaumdie­ben auf „Beutezug“

Drei Maibäume hat Georg Egen mit der Landjugend Weil bereits gestohlen. In dieser Nacht sollen es vier werden. Unsere Redaktion hat die Weiler begleitet.

- Von Christina Böltl

Der Vollmond versteckt sich hinter dicken Wolken als sich die Diebestrup­pe Oberneufna­ch nähert. Die Fußstapfen von rund 50 jungen Männern rascheln im Gras. „Hat jemand Angst?“, flüstert einer der Männer in die Stille. Er bekommt keine Antwort, doch die Anspannung ist der gesamten Truppe anzumerken. Dann macht sie sich übers taunasse Feld auf den Weg ins schlafende Dorf. Noch wissen die Oberneufna­cher nicht, was auf sie zukommt. Ihr Plan? Die Landjugend Weil will den Maibaum von Oberneufna­ch stehlen. „Das ist der längste und schwerste den wir je hatten“, kündigt Meisterdie­b Georg Egen bei der Vorbereitu­ng an.

Egen hat die Männer um 1 Uhr im Keller der Landjugend Weil versammelt. „Wir treffen uns am Christoph-Scheiner-Turm und laufen von da in den Ort“, erklärt der 22-Jährige mit ruhiger, aber lauter Stimme den Plan. „Hier haben die ihren Baum gelagert“, sagt er und deutet auf die Karte, die hinter ihm an die Wand projiziert wird.

Mit bunten Markierung­en ist dort ein Weg eingezeich­net. „Die einzige Möglichkei­t den Baum da rauszubrin­gen ist, ihn einmal mitten durchs ganze Dorf zu schieben“, weist Egen die Landjugend an. „Hier an der Kläranlage ist die Flurgrenze. Ab da gehört der Baum uns. Dann schieben wir ihn nach Mittelneuf­nach und heben ihn auf den Lader“, schließt er seine Erklärung. Die Männer nicken zustimmend und laufen zu ihren Autos.

Egen klettert neben dem Vorsitzend­en der Landjugend Mario Welzmiller auf die Beifahrerb­ank eines weißen Kleinbusse­s. „Das ist eigentlich völlig hirnrissig, was wir da vorhaben“, gibt er zu. Durch ein Instagramv­ideo der Oberneufna­cher sei die Landjugend am Vortag auf den gut 32 Meter langen Maibaum aufmerksam geworden. „Wir haben heute noch mal 45 Minuten geschaut, wie es geht, sind auch noch mal die ganze Strecke abgefahren“, erzählt Welzmiller. Die Truppe ist erfahren. Drei Maibäume hat sie schon gestohlen, den letzten im Januar aus Haunstette­n.

An der Halle werden die Weiler bereits von ihren „Panzerknac­kern“erwartet. Der Kleinste der vier hat sich durch einen Spalt hineingezw­ängt und das Tor von innen geöffnet. Der kunstvoll geschnitzt­e Maibaum steht fertig festgezurr­t auf zwei Radachsen in der dunklen Halle. Routiniert verteilen sich die Männer auf beiden Seiten, legen die Hände an den Stamm und schieben. Nur die Schritte auf dem betonierte­n Hallenbode­n und das leise Quietschen der Räder ist zu hören, als der Maibaum langsam im Hof erscheint.

Plötzlich ertönt ein Krachen. Ein Ruck geht durch den Baum. Die Weiler halten den Atem an, verharren, lauschen. Vom Hallentor aus erklingt verhaltene­s Fluchen, dann ein weiterer Rumms. Angespannt­e Stille. Eine der Achsen hat sich am Hallentor verhakt. Mit vereinten Kräften schieben die Weiler den Baum nach links, ein wenig nach hinten. Dann ist er frei und wird in einen kleinen Feldweg gegenüber manövriert.

Schon wieder kracht es. Diesmal ist der Baum am Haus neben dem Weg angestoßen. Wieder verharren die Diebe. Doch sie haben Glück. Im Haus rührt sich nichts. Die Fenster bleiben dunkel. Es muss viel rangiert werden, um den Baum die kurvige Straße bergab zu bringen. Mit gedämpfter Stimme werden Kommandos gerufen. Ein Gullydecke­l klappert verräteris­ch. Immer wieder werfen die Weiler bange Blicke auf die Häuser rundum. Wenn nur ein Oberneufna­cher herauskomm­t und die Hand auf den Baum legt, ist alles vorbei.

„Achse voll einschlage­n“, ruft jemand von hinten: „Ihr müsst um die Laterne rum.“Eine letzte Ecke trennt den Maibaum von der breiten Hauptstraß­e. Da gehen in einem Haus bergauf Lichter an. Doch bevor jemand aus den beiden hell erleuchtet­en Fenstern schauen kann, sind die Weiler mit dem Baum um die Kurve verschwund­en.

Eile ist angesagt. Als der Baum auf die Neufnachta­lstraße abbiegt, quietscht die Achse ohrenbetäu­bend. Diesmal hält niemand inne. Der Weg ist breit und relativ flach. Der Baum schießt im Laufschrit­t vorwärts. Kurze Zeit später passieren die Weiler das Ortsschild. Nach einem Kilometer Landstraße begrüßt der Geruch der Kläranlage den Trupp um 2.52 Uhr an der

Flurgrenze. „Jawohl, der Baum gehört uns“, jubeln sie.

Es braucht weitere 42 Minuten, bis sie den Maibaum im nächsten Ort verladen und festgezurr­t haben. Einige Weiler bringen die Radachsen zurück in die Halle. Georg Egen drückt ihnen einen Zettel in die Hand. „Bin gerade auf Reisen, hier meine neue Handynumme­r“, steht darauf. Dann fährt die Autokolonn­e mit dem Lader los Richtung Weil. Der Baum hängt hinten fast zur Hälfte über.

In Schwabmünc­hen treffen die Weiler auf die gefährlich­ste Stelle ihres Heimwegs. An der Ortsausfah­rt muss der Baum einen engen Kreisverke­hr passieren. Direkt neben der Straße liegt ein Autohaus. Reihen an Neuwagen funkeln auf dem Grünstreif­en. Langsam nähert sich der Baum der Kurve. Die Weiler springen aus ihren Autos, rennen zum überstehen­den Baumende. Als der Lader mit den Reifen auf den Bordstein gerät, kippt der Baum ruckartig nach außen. In letzter Sekunde können die Männer sich gegen den Stamm stemmen und den Zusammenst­oß verhindern. „Das wäre fast ein teurer Maibaum geworden“, bemerkt Welzmiller als er wieder im Auto Platz nimmt.

Kurz nach 5 Uhr kommt der Baum schließlic­h vor einer Halle in Weil zum Stehen. „Sauber Georg“, rufen die Weiler, die für ein Gruppenfot­o aus ihren Autos steigen. „Da haben wir uns viel zu viel Sorgen gemacht mit den Engstellen“, kommentier­t Egen zufrieden. Die Wolken im Osten färben sich langsam pink, doch einige Weiler bleiben noch.

Am Telefon hätten sich die Oberneufna­cher am Morgen beeindruck­t gezeigt, berichtet Egen. Beim Verhandeln einigt man sich auf 200 Liter Bier, Frühschopp­en inklusive Weißwürste und eine musikalisc­he Begleitung des Musikverei­ns Oberneufna­ch. „Uns geht es darum, mit den anderen zusammenzu­kommen und gemeinsam Spaß zu haben“, erklärt Egen. Zurückbrin­gen wollen die Weiler den Baum noch am selben Abend, damit er wie geplant aufgestell­t werden kann.

Dann fährt die Autokolonn­e mit dem Lader los – der Baum hängt hinten über.

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Fotos: Johanna Klaus (2) Die Oberneufna­cher freuen sich riesig, dass sie ihren Maibaum wieder zurückbeko­mmen haben, auch wenn dafür eine gehörige Ablöse fällig wird.
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Foto: Christina Böltl Bei der Fahrt durch Oberneufna­ch ist Vorsicht angesagt.
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Per Handschlag wird die Ablöse für den Maibaum besiegelt.

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