Das Triple ist greifbar
Bayer Leverkusen hat erst verloren, wenn der Schiedsrichter abpfeift. Auch gegen die AS Rom war das wieder der Fall. Den Last-Minute-Wahnsinn kann noch nicht mal Trainer Xabi Alonso erklären.
Leverkusen Das war selbst für Allesgewinner Xabi Alonso fast ein bisschen zu viel des Guten. Als der Trainer von Bayer Leverkusen nach dem nächsten Last-MinuteWahnsinn und dem Final-Einzug in der Europa League erst nach Mitternacht zur Pressekonferenz aufs Podium kam, rang der eloquente Weltmann zwischenzeitlich nach Worten. „Unglaublich. Ich bin irgendwie ein bisschen sprachlos“, sagte der Spanier nach dem 2:2 gegen die AS Rom und nach da schon anderthalb Stunden Feierlichkeiten und TV-Interviews. Und irgendwie müsse er ja doch „immer das Gleiche“erzählen.
Doch die Leverkusener lieben in dieser so einzigartigen Saison das Drama. Und es ist tatsächlich längst ein Déjà-vu, wenn sie in der Nachspielzeit eines verloren geglaubten Spiels treffen und ihre unglaubliche Serie doch noch mal verlängern. Der Ausgleich von Josip Stanisic in der 90.+7. Minute am Donnerstag war das 15. Pflichtspiel-Tor nach der 90. Minute. „Das ist schwer zu erklären. Unglaublich, dass es immer und immer wieder passiert“, sagte Alonso: „Normalerweise gibt es auf so einem langen Weg irgendwann eine Niederlage“. Aber bei seinem Team ist in dieser Saison nichts normal.
Als Spieler hat Alonso alles gewonnen. 18 Titel holte er, war Weltmeister und je zweimal Europameister und Champions-LeagueSieger. Aber den Erfolg vom Donnerstag feierte er mit einem Jubellauf, ein paar aufgeregten Hüpfern und einem Tanz vor der Nordkurve ungewohnt emotional und ausgelassen. Denn eine solche Serie von nun 49 Pflichtspielen ohne Niederlage hat auch er noch nicht erlebt. Natürlich nicht. Weil es im europäischen Fußball noch nie so eine Serie gab. Benfica Lissabon hat von Dezember 1963 bis Februar 1965 mal 48 Spiele wettbewerbsübergreifend ohne Niederlage geschafft
und hielt nach Angaben der Bundesliga bisher Rekord. Nun gehört auch dieser Leverkusen, das im Verlauf dieser Saison fast unzählbare kleinere und größere Bestmarken eingesammelt hat.
Das Triple ist für Bayer angesichts der feststehenden Meisterschaft und zwei Endspielen nun endgültig greifbar. Doch die Mannschaft zieht auch einen unglaublichen Antrieb aus der Jagd nach der Serie. Nach dem 2:0 in Rom hätte das 1:2 am Donnerstag nach zwei Elfmetern gegen Bayer und einem Eigentor der Römer Leverkusen zum Final-Einzug gereicht. Sein Team sei nach dem eigentlich erlösenden Anschlusstor aber „in der Nachspielzeit nicht immer zu Boden gegangen und hat so getan, als wären wir verletzt“, sagte Mittelfeld-Stratege Granit Xhaka mit einer Spitze gegen die Römer und deren Verhalten nach dem 2:0: „Wir wären brutal enttäuscht gewesen, wenn wir weitergekommen wären und verloren hätten. Weil wir das auf keinen Fall verdient gehabt hätten.“Es ist eben diese „unfassbare Mentalität“, die Leverkusen auszeichnet.
Doch weil diesem Denken bei einem ausreichenden Ergebnis in einem Europacup-Halbfinale ein gewisses Risiko innewohnt, verfolgte
Alonso das mit gemischten Gefühlen. „Um ehrlich zu sein: Ich hatte in diesem Moment keinen Einfluss mehr auf meine Mannschaft“, gab er zu: „Es war eine komische Situation. Das 1:2 war genug, aber die Spieler wollten mehr. Ich konnte sie nicht mehr kontrollieren.“Seine Einwechslung in der 90. Minute sei „sicher eher defensiv gedacht“gewesen, sagte Stanisic. Doch er stürmte nach vorne und traf mit purem Willen. Immerhin hätte sein Team „ein gutes Gefühl und eine gute Kontrolle“gehabt, sagte Alonso. Schließlich war er selbst auch ein Risiko eingegangen. Denn Juwel Florian Wirtz hätte wegen Oberschenkelbeschwerden eigentlich gar nicht spielen sollen. „Er konnte nicht richtig laufen. Ist gehumpelt“, erzählte sein Trainer. Doch Wirtz habe der Mannschaft „unbedingt helfen“wollen. Alonso brachte ihn beim Stand von 0:2 in der 81. Minute mit dem drohenden Aus vor Augen. (dpa)