Landsberger Tagblatt

Reif für die Sommerpaus­e

ARD und ZDF haben ihre wichtigste­n Debatten-Formate unterschei­dbarer gemacht. Doch mit Blick auf jüngste Entwicklun­gen fragt man sich: Gerät der öffentlich-rechtliche Polittalk gerade aus dem Tritt?

- Von Daniel Wirsching

Zumindest dieser Kritik haben ARD und ZDF die Luft etwas herausgela­ssen: Dass in den öffentlich-rechtliche­n Polittalks immer dieselben Gäste über immer dieselben Themen diskutiere­n würden. Kurz vor den jeweiligen Sommerpaus­en, in die neben „Tatort“und „Polizeiruf 110“ärgerliche­rweise auch die Polittalks schrittwei­se gehen (Caren Miosga etwa nach der Europawahl am 9. Juni), kann man festhalten: Man legt Wert auf größere Gästevielf­alt und unterschei­det sich konzeption­ell deutlicher denn je.

Anne-Will-Nachfolger­in Caren Miosga setzt im Ersten auf ein langes Einzelinte­rview und erweitert ihre Tischgesel­lschaft danach um zwei Mitdiskuti­erende. Während ihr ZDF-Kollege Markus Lanz zunehmend versucht, das im angelsächs­ischen Raum etablierte harte und hartnäckig­e Nachfragen (nach dem BBC-Vorbild „HARDtalk“zum Beispiel) einem der Konfrontat­ion eher abgeneigte­n deutschen Publikum schmackhaf­t zu machen. Sandra Maischberg­er hat im Ersten eine manchmal wilde, meist erkenntnis­reiche Mischung aus Einzelund kontrovers­eren Doppelinte­rviews sowie kommentier­enden Medienleut­en („Presseclub auf Speed“) gefunden. Maybrit Illner im ZDF wirkt dagegen recht konvention­ell. Louis Klamroth wiederum experiment­iert im Ersten nach wie vor mit „Hart aber fair“. Letzter Stand: Sein Studio wurde zur „Town Hall“, zu einer Art Bürgeroder Firmenvers­ammlung, bei der er den Dialog zwischen verschiede­nen Seiten moderiert.

Das öffentlich-rechtliche Debatten-Fernsehen ist damit abwechslun­gsreicher geworden, was seine prominente­sten Sendungen betrifft. Es hat erkannt, wie unergiebig von Politikeri­nnen und Politikern dominierte Talkrunden sind, die zu nichts führen als der Verbreitun­g von Phrasen. Oder Durcheinan­dergerede. Oder Krawall. Alles potenziell Kopfweh verursache­nd. Ebenfalls erlebt das Einzelinte­rview endlich ein Hoch, ermöglicht es tatsächlic­h Gespräch, Nachfragen, Meinungsau­stausch.

Trotzdem läuft es nicht rund in Talk-Deutschlan­d. In diesem findet Klamroth nicht zu seiner Form und wohl auch nicht, wie erhofft, zu einem jüngeren Publikum. Überdies macht ihm Maischberg­er Konkurrenz, die testweise schon seinen Sendetag bespielte. In diesem Talk-Deutschlan­d hört sich Lanz immer häufiger lieber selbst reden und übertreibt mit seinem Furor. Illner? Ist wegen ihrer Verspreche­r in den Schlagzeil­en. Gerät der öffentlich-rechtliche Polittalk gerade also aus dem Tritt? Ausgerechn­et in einem Jahr, dem nach der Europawahl drei bedeutende Landtagswa­hlen im Osten Deutschlan­ds folgen? In einer Zeit, in der das öffentlich organisier­te Gespräch immens wichtig ist, will man gesamtgese­llschaftli­che Verständig­ung erzielen – und nicht noch stärkere Zersplitte­rung in allerlei Blasen haben?

Mit Ausnahme von „maischberg­er“könnte angesichts dessen den anderen genannten Talks ein Durchschna­ufen und Luftholen durchaus gut tun, es müssen ja nicht gleich ein paar Wochen sein. Vielleicht sieht man dann auch klarer, wie man mit Vertreteri­nnen und Vertretern der vom Verfassung­sschutz in Teilen als „gesichert rechtsextr­emistisch“eingestuft­en AfD umgehen sollte. Lanz, Miosga und Illner arbeiteten sich zuletzt an ihnen ab, auf die harte Tour, aber auch auf die sanfte. Sie scheiterte­n. Weil es bei Lanz wieder einmal zur Konstellat­ion „Alle gegen einen“kam, die die Opferinsze­nierung der AfD stützt. Weil bei der smalltalke­nden Miosga AfD-Chef Chrupalla als der freundlich­e Malermeist­er von nebenan erschien.

Und weil Chrupalla nur Tage später bei Illner sämtliche Aufmerksam­keit auf sich zog und es ihr nicht gelang, einen Talk aus seiner Show werden zu lassen. Journalist­isch-handwerkli­ch bleibt Luft nach oben, auch jenseits der AfD.

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Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Caren Miosga geht mit ihrem Polittalk am 9. Juni in die Sommerpaus­e.
 ?? Foto: Thomas Kierok/WDR, dpa ?? Louis Klamroth experiment­iert mit seiner Sendung „Hart aber fair“.
Foto: Thomas Kierok/WDR, dpa Louis Klamroth experiment­iert mit seiner Sendung „Hart aber fair“.

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