Belcanto in Freiberg
Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“in der Nikolaikirche
An Mut hat es dem Opernensemble des Mittelsächsischen Theaters selten gefehlt. Nicht selten wurde bei der Auswahl der Werke mit besonderen Anforderungen viel gewagt und letztlich auch viel gewonnen, nicht zuletzt das Publikum. So auch jetzt mit der Inszenierung dieser selten zu erlebenden Oper von Vincenzo Bellini nach Shakespeares Tragödie der Liebenden von Verona. Und weil der originale Titel dieses 1830 in Venedig uraufgeführten Werkes nicht unbedingt jedermann auf diese Vorlage verweisen mag, wird die Inszenierung von Ralf-peter Schulze in der Freiberger Nikolaikirche als „Romeo und Julia“angekündigt.
Bellinis Librettist Felice Romani hat für seine Fassung Shakespeares Handlung leicht verändert. Im Grunde geht es aber um die so unglückliche wie hoffnungslose Liebe der beiden jungen Menschen, die den verfeindeten Familien mit ihren Clans entstammen, Giulietta denen der Capuleti und Romeo denen der Montecchi.
Für die sich kriegerisch gegenüberstehenden Gruppen hat Bellini eindrucksvolle Chorszenen komponiert. Dazu gelingen dem Regisseur in angemessener Korrespondenz zu den architektonischen Vorgaben des Kirchenraumes beeindruckende Bilder. Auch wenn der Herrenchor des Theaters verstärkt ist, zwei Chöre sind nicht drin, so führt diese „Not“zu einer optisch wie inhaltlich und musikalisch überzeugenden Lösung. Die in korrekte Anzüge gekleideten Sänger verkörpern beide Parteien im tödlichen Gegenüber. Sie tragen Masken an ihren Hinterköpfen, haben so zwei Gesichter und setzen im aufs Nötigste reduzierten Spiel dramatische Akzente dieser scheinbar so zeitlosen wie aussichtslosen Tragik. Filmprojektionen, die an Szenen aus dem Ersten Weltkrieg erinnern, beziehen auch das Altarbild mit der Darstellung der Himmelfahrt Christi ein, um es dann aber immer wieder in meditativer Lichtregie wie ein fernes Zeichen der Hoffnung sichtbar werden zu lassen. Giulietta legt sich zum Schlaf des tragischen Missverständnisses auf den steinernen Altartisch, der so zum Sarkophag wird.
Nur fünf Sängerinnen und Sänger braucht Bellinis Opernfassung, um dem Geschehen seine unaufhaltsame Dynamik zu geben. Da ist Romeo als Spross der Montecchi, der den Bruder Julias aus der Familie der Capuleti getötet hat. Ihr Vater Capellio hat sie dem jungen Tebaldo, einem Anhänger seines Clans, als Braut versprochen. Zwischen den Fronten bewegt sich Capellios Vertrauter, der Arzt Lorenzo, dessen Versuch zu helfen und Julia in einen todesähnlichen Schlaf zu versetzen, um so die Flucht mit Romeo zu ermöglichen, fehlschlägt, da Romeo dies nicht erkennen kann, sich tötet und die erwachende Julia ihm in den Tod folgt.
Liebestode in der Oper: beste Anlässe für musikalische Höhepunkte, so auch hier, wenn die Stimmen noch einmal zusammengeführt werden. Lindsay Funchal ist die Freiberger Giulietta, jugendlich in der Erscheinung, authentisch im Spiel, betörend in der Klarheit ihres berührenden Gesanges mit den hellen Tönen schönster Hoffnung.
Bei Bellini ist Romeo für eine Mezzosopranistin komponiert, Barbora Fritscher wird diesem außerordentlichen Anspruch in ihrem natürlichen Spiel ohne aufgesetzte Männlichkeitsattitüden gerecht, vor allem durch die feinsinnig abgestimmten Facetten ihres dunkel grundierten Gesanges.
In einer besonderen Szene treffen die Rivalen Tebaldo und Romeo im Streit aufeinander und erfahren dabei von Giuliettas vermeintlichem Tod. Hier setzt der Komponist ein musikalisches Hoffnungszeichen, die klingende Vision einer möglichen Versöhnung, sowohl für Barbora Fritscher als auch für Derek Rue als Sänger des Tebaldo ein beeindruckender Moment. Der junge Tenor vermag mit schlanker und in allen Lagen sicher geführter Stimme bestens zu überzeugen.
Neu im Freiberger Ensemble und gesanglich vielversprechend ist der Bariton Elias Han als Lorenzo. Glaubwürdig in seiner Unerbittlichkeit gestaltet Sergio Raonic Lukovic als Capellio das Oberhaupt der Capuleti.
Das Orchester, die Mittelsächsische Philharmonie auf dem Podium, zwischen Altar und dem Spiel des Chores und der Solisten, fügt sich somit nicht nur optisch in das eindrückliche Geschehen. Juheon Han als Dirigent erweist sich als Meister der sensiblen Vermittlung zwischen Sängern und Orchester. Zudem setzt er mit den konzentriert folgenden Musikern fließende, klangschöne Momente, lässt der Dramatik Raum, vermeidet aber vordergründiges Auftrumpfen und fügt sich so mit seiner Interpretation dem eher nachdenklichen Konzept dieser behutsam in die Gegenwart geführten Inszenierung. Auch die Sänger, vor allem die der Titelpartien, vermeiden jedes Klischee überkommener Belcanto-missverständnisse, keine Demonstrationen stimmartistischer Kadenzen oder eitel ausgestellter Spitzentöne, dafür Sensibilität und glaubwürdige Emotion im Zusammenklang von Darstellung und Musikalität.
Und so am Ende doch eine Hommage an die Kunst des Belcanto, des schönen Gesanges, selbstverständlich in italienischer Sprache und mit sparsamen, aber dramaturgisch logisch durch die Handlung führenden deutschen Übertiteln, wofür das Freiberger Publikum sich mit begeistertem Beifall in der ausverkauften Nikolaikirche herzlich bedankt. nächste Aufführungen: 18., 20., 22., 28.12.; www.mittelsaechsisches-theater.de