Es eilt
Coronavirus: Leipziger Petition zur Rettung von Freiberuflern bereits rund 200 000 Mal unterzeichnet, Musikrat fordert bedingungsloses Grundeinkommen
Das ging schnell: Am Mittwoch der vergangenen Woche stellte David Erler, Jahrgang 1981, seine Petition online, gestern Mittag zählte er bereits knapp 200 000 Unterzeichner. Das zeigt: Der Hilferuf des Leipziger Countertenors in Zeiten der Coronavirus-pandemie geht viele an.
„Ich fordere von der Bundes- und den Landesregierungen“, heißt es darin, „sich bei den angedachten Finanzhilfen und Unterstützungen nicht nur auf Unternehmen und Firmen sowie deren Angestellte, also vor allem abhängig Beschäftigte zu konzentrieren, sondern vor allem auch die mitunter wesentlich prekärere Lage der Freiberufler/kunstschaffenden zu berücksichtigen, die Finanzhilfen mithin ausdrücklich auch auf diese auszuweiten und dies so unbürokratisch wie möglich.“
Es eilt. Denn die Absagen von Festivals und Konzerten, von Festakten, ja selbst von Familienfeiern treffen freiberufliche Musiker ohne Vorwarnung, mit voller Macht und zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: Die nachweihnachtliche Saure-gurken-zeit im Konzertbetrieb ist gerade erst vorüber, die Vorräte der Jahresend-saison sind weitgehend aufgebraucht, die nun ins Haus stehende Passionszeit mit ihren vielen Konzerten und Gottesdiensten müsste eigentlich das Fundament legen für den Rest des Jahres. Stattdessen sind Einnahmen der weitaus meisten freiberuflich Kulturschaffenden von einem Tag auf den anderen auf Null gefallen, die Ausgaben laufen weiter. Und ein Ende der Situation ist nicht in Sicht.
Sie betrifft Freiberufler aller Couleur, die Erler in seine Petition mit einbezogen hat. Und sie machen einen großen Teil der Unterzeichner aus. Dazu kommen Angehörige, aber auch potenzielles Publikum. Menschen, die zurecht fürchten, dass, ist das Virus wieder gegangen, es einen großen Teil unseres Kulturlebens mit sich gerissen haben wird.
Erler: „Bei meiner Petition ging es mir vor allem darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen, zu zeigen, wie groß der Kreis der Betroffenen ist, dass er so groß ist, die Auswirkungen so bedrohlich, dass man diese Probleme nicht ignorieren kann.“Das scheint gelungen. Von Vertretern unterschiedlicher Parteien hat Erler bereits vor Erreichen der 250 000er-petitionsgrenze Zuspruch erfahren und das Versprechen bekommen, sein Ansinnen am 25. März mit in die nächste Sitzung des Kulturausschusses des Bundestags zu tragen. „Das freut mich natürlich“, sagt der Sänger, „aber dann ist es zu spät“. Denn wenn Hilfe für Kulturschaffende und andere
Freiberufler erst in zwei Wochen ihren weiten Weg durch die Instanzen antreten sollte, wüssten viele längst nicht mehr, wovon sie ihre Miete zahlen sollen oder ihre Familie ernähren.
Unabhängig von der Frage nach der Geschwindigkeit stellt sich auch die, wie sie aussehen soll, die schnelle und unbürokratische Hilfe vom Bund und/oder vom Land. Erler macht in seiner Petition einen konkreten Vorschlag, der entwaffnend unkompliziert scheint: Im PS schreibt er: „Die aus meiner Sicht am schnellsten wirksame Maßnahme wäre eine (eventuell auch nur zeitlich begrenzte) Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens.“
In dieses Horn stößt auch der Deutsche Musikrat (DMR), dessen Generalsekretär Christian Höppner gestern verlautbarte: „Der DMR fordert ein auf sechs Monate befristetes Grundeinkommen in Höhe von 1000 Euro für alle freiberuflichen
David Erler,
Sänger und Petent
Kreativschaffenden. Die Einkommen der freiberuflichen Musikerinnen und Musiker, sei es im Veranstaltungsbereich wie in den musikpädagogischen Berufsfeldern, brechen mit dem bundesweiten Shutdown sofort weg, während die Kosten weiterlaufen.“
Die Forderung scheint angesichts der ohnehin prekären finanziellen Situation vieler Betroffner um so dringlicher: Bei einem „durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen freiberuflicher Musikerinnen und Musiker von 13 000 Euro ist kein Spielraum für Rücklagen gegeben. Das hat auch die erste Zwischenauswertung der noch bis zum 31. März laufenden Umfrage des Deutschen Musikrates zu den Auswirkungen der Coronakrise auf den Musikbereich ergeben“.
Auch die Veranstalteter meldeten sich gestern mit einem dramatischen Appell zu Wort: Die im Bundesverband der Konzert-veranstaltungswirtschaft (BDKV) zusammengeschlossenen rund 450 Unternehmen „begrüßen den von der Bundesregierung am 13. März 2020 veröffentlichten Maßnahmenkatalog zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Corona Virus“. Leider seien „insbesondere erleichterte Kreditvergaben sowie die Flexibilisierung des Kurzarbeitergeldes nicht geeignet, die durch mehrwöchigen Veranstaltungsausfall wegbrechenden Einnahmen sowie vor allem die bereits investierten Vorkosten von geplanten Konzerten und Tourneen zu kompensieren.“Darum regt der BDKV zusätzliche Maßnahmen an: Der Käufer einer Eintrittskarte solle „einen Anspruch auf Rückerstattung des Kartenpreises erst haben, sofern der Veranstalter die Nachholung der Veranstaltung nicht innerhalb von 365 Tagen gewährleisten kann“. Finde überdies „keine Nachholung der Veranstaltung statt und ist eine Rücknahme von Eintrittskarten unumgänglich, so sollte es dem Veranstalter vorbehalten bleiben, anstatt einer Barerstattung des Kartenpreises einen Gutschein in Höhe des Kartenpreises auszuhändigen“.
Unabhängig von solchen konkreten Vorschlägen stellte sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters bereits zum Wochenende hinter die von der Pandemie besonders hart getroffenen Kultureinrichtungen, Künstlerinnen und Künstler: „Mir ist bewusst, dass diese Situation eine große Belastung für die Kulturund Kreativwirtschaft bedeutet und insbesondere kleinere Einrichtungen und freie Künstlerinnen und Künstler in erhebliche Bedrängnis bringen kann.“Künstler und Kultureinrichtungen könnten sich auf Unterstützung verlassen. Mit einer Bruttowertschöpfung von mehr als 100 Milliarden Euro sei die Branche „einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland – noch vor der chemischen Industrie, Energieversorgern und Finanzdienstleistern“, und „was im Kultur- und Medienbereich an gewachsenen Strukturen einmal wegbricht, lässt sich so schnell nicht wiederaufbauen“. Darum will Grütters die Hilfsprogramme so umsetzen, dass sie auch und besonders den Kulturschaffenden zugutekommen. So solle beispielsweise bei vorzeitigem Abbruch oder bei Absage von öffentlich geförderten Kulturprojekten aufgrund des Coronavirus „auf die Rückforderung bereits zur Projektdurchführung verausgabter Fördermittel teilweise verzichtet“werden können.
„Ich lasse Sie nicht im Stich“, versprach vollmundig die Ministerin.
Die aus meiner Sicht am schnellsten wirksame Maßnahme wäre eine Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens.