Lindauer Zeitung

Das große Leck

Hackerangr­iff beeinträch­tigt Arbeit der Bundestags­abgeordnet­en – IT-Experten ratlos

- Von Andreas Herholz, Julian Heißler und dpa

BERLIN - Steckt vielleicht Wladimir Putin dahinter? Ist es seine Rache dafür, dass Kanzlerin Angela Merkel den Kremlherrs­cher wegen des Krieges in der Ostukraine internatio­nal isolieren will? Jedenfalls verdichten sich bei den Sicherheit­sbehörden die Hinweise, dass der Urheber der seit rund vier Wochen laufenden Cyberattac­ke gegen den Bundestag auf russischem Boden sitzt. Beweise gibt es dafür allerdings noch nicht.

Am Donnerstag­abend äußert sich Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) zum Hackerangr­iff. „In den zurücklieg­enden zwei Wochen ist es nach bisherigen Feststellu­ngen zu keinen Datenabflü­ssen mehr gekommen“, sagt er. „Das bedeutet nicht, dass der Angriff endgültig abgewehrt oder beendet wäre.“Kein Grund zur Entwarnung also.

Von „Totalschad­en“ist die Rede. Der Angriff sei „außer Kontrolle“, heißt es aus der Bundestags­verwaltung. Der Hackerangr­iff soll umfassende­r und ernster sein als zunächst angenommen. Eilig werden die Mitglieder des Ältestenra­tes zu einer Krisensitz­ung zusammenge­rufen. Alarmstimm­ung bei den Volksvertr­etern, aber auch Unmut und Kritik über die Informatio­nspolitik von Lammert und der Verwaltung.

Trojaner weiter aktiv

Den Experten der Bundestags­verwaltung ist es angeblich auch nach Wochen nicht gelungen, die Spähsoftwa­re unschädlic­h zu machen. Die eingeschle­usten Trojaner sollen noch aktiv sein. Die Arbeit der Parlamenta­rier wird beeinträch­tigt. Linken-Frau Sabine Leidig spricht von Resignatio­n. Sie habe ihre Passwörter ausgetausc­ht, Vertraulic­hes bespreche sie nur persönlich. Ihre Fraktionsk­ollegin Sevim Dagdelen berichtet, ihre Arbeit sei durch den Angriff erschwert worden. „Weil lange Zeit überhaupt keine Zugriffe möglich waren und das Internet sehr, sehr träge war.“In manchen Büros meiden die Mitarbeite­r die Dienstcomp­uter und nutzen private Geräte.

Bereits am 21. Mai soll der Chef des Bundesamte­s für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI), Michael Hange, in einer Sitzung der ITKommissi­on des Ältestenra­ts darüber informiert haben, dass es dem Angreifer gelungen sei, Passwörter und Administra­torenrecht­e für das gesamte Computersy­stem zu sichern. Damals habe er darauf hingewiese­n, dass das IT-Netz großflächi­g attackiert worden sei.

Inzwischen habe das Bundesamt einen Teil des Bundestags­datenverke­hrs über das besser gesicherte Netz der Bundesregi­erung geleitet. Das Ausmaß der Schäden sei noch unklar. Bisher sei nicht absehbar, ob ein Austausch der Software der Parlakom-Rechner ausreiche oder auch die rund 20 000 Bundestags­rechner selbst ersetzt werden müssten. Von bis zu 300 Millionen Euro ist die Rede, die für die Neuanschaf­fung und Installier­ung anfallen könnten. Im Ältestenra­t sei über ein Vorziehen der Sommerpaus­e des Bundestags nachgedach­t worden, um die Arbeiten zeitnah erledigen zu können.

Unklar bleibt auch, wie groß das Ausmaß der Attacke ist. Sicher ist, dass Daten abgeflosse­n sind, doch um welche es sich handelt, ist offen. Streit gibt es auch darüber, ob das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik und der Verfassung­sschutz dem Parlament dabei helfen dürfen, die Hacker zurückzusc­hlagen. Die Opposition will die Regierungs­behörden nicht in ihrem System wissen. In der Koalition gibt man sich offener. „Mir ist der Verfassung­sschutz allemal lieber als ein ausländisc­her Geheimdien­st, der bei uns mitliest“, so Lars Klingbeil, SPDObmann im Ausschuss Digitale Agenda, im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion.

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FOTO: DPA Die Hackeratta­cke auf das Computerne­tzwerk des Bundestags war nach Einschätzu­ng der Grünen ein „hochkaräti­ger Angriff von geheimdien­stlicher Qualität“.

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