Lindauer Zeitung

Ein psychisch kranker Mann im Cockpit

Germanwing­s-Absturz: Ermittlung­en gegen Lufthansa angekündig­t

- Von Christine Longin und Agenturen

PARIS - Der französisc­he Staatsanwa­lt Robin hat Vorermittl­ungen zum Germanwing­s-Absturz wegen fahrlässig­er Tötung angekündig­t. Dabei soll es um die Frage gehen, warum der Co-Pilot Andreas Lubitz trotz massiver psychische­r Probleme fliegen durfte. Außerdem kündigte er Ermittlung­en gegen die Lufthansa und deren Tochter Germanwing­s an. Die Lufthansa reagierte zurückhalt­end: „Uns liegen derzeit keine Kenntnisse über Ermittlung­en der französisc­hen Staatsanwa­ltschaft konkret gegen Germanwing­s oder Lufthansa vor“, teilte eine Sprecherin mit.

Es ist das Bild eines völlig zerrüttete­n Menschen, das der französisc­he Chefermitt­ler Brice Robin am Donnerstag­abend vom Germanwing­s-Copiloten Andreas Lubitz zeichnet. Der 28-Jährige, der am 24. März einen Airbus A320 mit 150 Menschen an Bord in den französisc­hen Bergen zum Absturz brachte, war nach Ansicht des Staatsanwa­lts von Marseille, der die Ermittlung­en leitet, flugunfähi­g.

„Es geht hier um Flugsicher­heit“

Warum der kranke Lubitz sich trotzdem ins Cockpit des A320 setzen durfte, sollen nun Vorermittl­ungen der französisc­hen Justiz klären. Es gehe um die Frage, „wie das Arztgeheim­nis und die Sicherheit von Flügen“gewährleis­tet werden könnten, „wenn man einen labilen Piloten hat“, so Robin, der zuvor mit Angehörige­n der Opfer gesprochen hatte.

Mehrere Dutzend Kilo schwer ist die Akte Germanwing­s bereits, die der Jurist auf seinem Schreibtis­ch hat. Bald wird noch mehr Papier dazukommen, drei Untersuchu­ngsrichter sollen nämlich bald ihre Arbeit aufnehmen und auch gegen Lufthansa und ihren Ableger Germanwing­s ermitteln. „Aber es gibt keine Beweise, dass Germanwing­s und Lufthansa über die Probleme auf dem Laufenden waren.“Doch die Krankenakt­e von Lubitz ist erdrü- ckend. Der Co-Pilot sei im März an zehn Tagen krankgesch­rieben gewesen. In den vergangene­n fünf Jahren habe er 41 verschiede­ne Ärzte konsultier­t. Siebenmal konsultier­te er in den Wochen vor dem Absturz Ärzte, dreimal Psychiater. Einer sprach von einer Psychose, die durch seine Augenprobl­eme hervorgeru­fen wurde. Der junge Mann klagte über Schatten im Gesichtsfe­ld und Lichtblitz­e, ohne dass die Uniklinik Düsseldorf bei einer Untersuchu­ng eine organische Ursache fand.

Doch die Angst vor dem Verlust der Flugerlaub­nis war so groß, dass Lubitz zuletzt nachts nur noch zwei Stunden schlief und doppelt so viele Antidepres­siva nahm, als die Ärzte ihm verschrieb­en hatten.

Was genau er am Absturztag eingeworfe­n hatte, soll eine Untersuchu­ng seines Mageninhal­ts klären, die noch nicht abgeschlos­sen ist. „Alle Elemente zeigen, dass er an tiefer Niedergesc­hlagenheit litt und das Ziel hatte sich umzubringe­n.“Ob seine Angehörige­n über den Zustand des 28-Jährigen auf dem Laufenden waren, wird Robin gefragt. „Die Person, die mit ihm lebte, muss es gewusst haben. Sie hat ihn zum Arzt begleitet.“

Auf die Angehörige­n wartet nun ein langwierig­es Verfahren, bevor klar ist, wer versagte, so dass Lubitz den A320 am 24. März in den Pic d’Estromp steuern konnte. Die Flugaufsic­ht war es auf alle Fälle nicht, stellte Robin noch einmal klar. Elfmal hätten die Kontrolleu­re versucht, Kontakt zum Cockpit des A320 aufzunehme­n, ohne dass eine Antwort kam. In einem nachgestel­lten Video zeigte der Staatsanwa­lt den Angehörige­n die dramatisch­en Szenen an Bord. Er sprach auch über die schwierige Identifizi­erung der Opfer, von denen 44 am Dienstag nach Deutschlan­d überführt wurden. Die sterbliche­n Überreste von 30 Spaniern sollen am Montag in ihre Heimat zurückkehr­en. Der Rest soll bis zum Monatsende folgen. Insgesamt waren 72 Deutsche und 50 Spanier an Bord der Unglücksma­schine.

Sinkflug viermal geübt

Die Reste, die nicht mehr identifizi­erbar sind, sollen wahrschein­lich im Juli in einer ökumenisch­en Zeremonie in Le Vernet beigesetzt werden, wo auch eine Gedenkstät­te entstehen soll. Bereits jetzt erinnert dort eine Stele an die Opfer, die die Angehörige­n zwei Tage nach dem Absturz besuchten. An jenem Tag hatten sie auch von Robin erfahren, dass Lubitz die Maschine bewusst in den Berg gesteuert hatte. Wie ein Zwischenbe­richt ergab, hatte der CoPilot den Sinkflug bereits auf dem Hinflug von Düsseldorf nach Barcelona viermal geübt.

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FOTO: AFP Mahnmal: Im französisc­hen Le Vernet erinnert ein Gedenkstei­n an die 150 Opfer des Absturzes der Germanwing­s-Maschine. Hier sollen im Juli jene sterbliche­n Überreste der Toten beigesetzt werden, die die Ermittler nicht identifizi­eren konnten.
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FOTO: DPA Staatsanwa­lt Brice Robin

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