Lindauer Zeitung

Kleines ganz groß

- ● Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Was ist eigentlich aus dem großen Scharf-S geworden? Auch wenn Sie jetzt der Meinung sein sollten, es gebe Wichtigere­s im Leben, so ist diese Frage doch nicht ganz abwegig. Und im Nu sind wir wieder mal bei der Rechtschre­ibreform. Obwohl lange über einen Wegfall des ß, jenes nur im Deutschen vorkommend­en Buchstaben­s, diskutiert worden war, entschied man sich 1996 zur Beibehaltu­ng – allerdings mit neuen Regeln. Vor langen Vokalen sowie Doppellaut­en schreibt man seither ß, vor kurzen Vokalen ss. Also einerseits Fuß, Strauß und Fleiß, anderersei­ts Fluss, Riss und Tross. Fairerweis­e muss man hier anmerken, dass diese Neuregelun­g – im Gegensatz zu vielen höchst ärgerliche­n Fehlleistu­ngen der Reform – schnell verinnerli­cht wurde.

Allerdings hat sie einen Haken. In Massen genossen, ist dieser Wein ein

Vergnügen. Diesen Satz fand ein Freund unlängst auf einer Flasche aus Italien. Nun hatte der Weinhändle­r sicher nicht die Steigerung des Konsums im Auge, sondern ganz einfach kein ß auf der Tastatur. Genau aus diesem Grund plädierten viele Experten vor 1996 für den Wegfall dieses aus der Fraktursch­rift stammenden Buchstaben­s und wollten das ß in Zeiten der Globalisie­rung einfach durch ss ersetzen. Da seien aber Missverstä­ndnisse programmie­rt, kam damals flugs der Auf-

schrei. Was nicht falsch ist: Die Schweizer, die seit Jahrzehnte­n kein ß mehr haben, kennen dieses Problem: Wenn Massen von Büssern in Bussen in Masse Busse tun … Es sind zwar nur sehr wenige Wörter, die zu Verwirrung­en führen, aber bei Buße/ Busse, Maße/Masse oder auch Floße/ Flosse wird der Kontext schon sehr wichtig.

Allerdings haben wir nun eine andere Ungereimth­eit: Was passiert, wenn ein Wort in Großbuchst­aben geschriebe­n wird? Da es bislang offiziell kein großes ß gibt, das in der in der deutschen Rechtschre­ibung verankert ist, behilft man sich seit der Reform allein mit einem SS. Früher setzte man noch ein SZ ein. Man schrieb also MASZE (Einheit) im Gegensatz zu MASSE (Menge). Diese Unterschei­dung wurde 1996 fallen gelassen. Mit der Folge, dass man jetzt in einer Fußpflege- Praxis steht, an deren Wand für einen FUSSBAL

SAM geworben wird. Das kann es eigentlich nicht sein. Deswegen denkt man schon seit Ende des 19. Jahrhunder­ts (!) über die Einführung eines großen ß nach. Und siehe da: 2008 wurde ein von Grafikern geschaffen­es Zeichen – sieht genau so aus, nur größer und dicker – in den internatio­nalen Standard Unicode für Computerze­ichen aufgenomme­n.

Aber warum benutzen wir es dann nicht? Weil im „Rat für Rechtschre­ibung“befunden wurde, er sei nicht dazu da, sich neue Zeichen auszudenke­n. Es bedürfe „einer Initiative aus der Schreibgem­einschaft, um hier auf der Basis eines gesellscha­ftlichen Konsenses Abhilfe zu schaffen“. Ist das also ein Fall für die große Koalition? Wir bleiben an dem Thema dran.

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