Lindauer Zeitung

Die Rückkehr des großen Bruders

Mischa Zverev, Nummer 502 der Welt, steht überrasche­nd im Viertelfin­ale von Stuttgart

- Von Bernd Hüttenhofe­r

STUTTGART - Es gibt eine Menge Möglichkei­ten, der irdischen Schwere zu entkommen. Für einen Tennisprof­i sind Siege das bevorzugte Mittel, aber damit konnte Mischa Zverev in den vergangene­n Jahren nicht dienen. Abgehoben hat der 27-Jährige nur noch beim Fliegen, seine Privatpilo­tenlizenz leistete da unschätzba­re Dienste. Jetzt verschafft sich Zverev auch auf dem Boden wieder seine Erfolgserl­ebnisse.

Am Donnerstag ist der 502. der Weltrangli­ste auf dem neuen Centre Court des TC Weissenhof erstmals nach zwei Jahren wieder ins Viertelfin­ale eines ATP-Turniers eingezogen, und diesmal war es noch nicht das Ende wie vor zwei Jahren, als er in Halle gegen den großen Roger Federer kein Spiel bekommen hatte. Heute steht gegen den amtierende­n US-Open-Sieger Marin Cilic wieder ein großes Match an für Zverev – verdient hat er sich das mit einem bemerkensw­ert souveränen 6:2, 6:4 gegen Andreas Seppi. Der 31-jährige Südtiroler ist seit zehn Jahren nie niedriger als auf Platz 75 eingestuft und wurde im Januar 2013 sogar auf Rang 18 geführt.

So ein Ausbund an Zuverlässi­gkeit ist Zverev nicht. Der gebürtige Moskauer, der 1991 mit seinen Eltern nach Deutschlan­d gekommen ist, war mal der beste Junior der Welt, aber bei den Erwachsene­n reichte es dann „nur“für Rang 45 in der Saison 2009. Von da ging es steil abwärts für Zverev, bis auf Rang 1067 vor wenigen Wochen. In dieser Region starten die ganz jungen Talente, wenn sie sich ihre ersten Punkte verdienen. So wie Mischas neun Jahre jüngerer Bruder Alexander, der aktuell als Deutschlan­ds größtes Talent gilt.

Plötzlich war Mischa nur noch der große Bruder – dass er selbst auch ganz ordentlich­es Tennis zu spielen vermag, wurde nicht mehr wahrgenomm­en. „Ich hatte immer wieder verletzung­sbedingte Ausfälle“, erklärte Zverev in Stuttgart und nannte seinen Absturz „eine kleine Auszeit.“Während der ist er „hin und wieder“mit seinem Bruder gereist und hat mit ihm trainiert. Und dabei gezeigt, dass er das Tennisspie­len nicht verlernt hat. „Ich gehe immer noch öfter als Sieger vom Platz als Sascha.“

Mit Eselsgedul­d

Erfahrung ist halt durch nichts zu ersetzen. Dass der ältere der ZverevBrüd­er einer ist, der seinen Kopf auf dem Platz einzusetze­n weiß, zeigte er gegen Seppi. Mit Eselsgedul­d spielte der Serve-und-Volley-Spezialist die Bälle präzise, aber ohne allzu viel Tempo an die Grundlinie, immer einmal mehr als der Gegner. „Man darf ihm kein Ziel bieten. Das mag er“, sagte der Qualifikan­t nach seinem fünften Sieg in Folge. Dass wieder mit ihm zu rechnen ist, hatte Zverev schon vor einigen Wochen angedeutet, als er beim Sandplatzt­unier in München vier Siege in Folge hinlegte und dabei die Landsleute Berrer und Struff eliminiert­e, ehe er am Weltrangli­stendritte­n Andy Murray scheiterte.

„Wenn man gesund ist und sich gut fühlt, kann man auch gut spielen“, meint Zverev trocken. Zu hohe Erwartunge­n dürfe man jetzt aber nicht haben – „ich will es mehr genießen.“Wer weiß, wann er das Flugzeug wieder braucht.

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FOTO: DPA „Ich will es mehr genießen“: Mischa Zverev.

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