Hass auf Bayerns Luchse
Wilderei gefährdet Wiederansiedlung der Raubkatzen – Täter gehen oft grausam vor
CHAM - Wieder einmal treibt ein Raubtier die Bayern um. Diesmal kein Riesenvieh wie Braunbär „Bruno“, dem sie vor ziemlich genau neun Jahren am Spitzingsee den Garaus machten, sondern Europas größte Katze. Der Luchs, der dort in bescheidener Zahl wieder heimisch wird, lebt gefährlich im Bayerischen Wald. Viele verschwinden auf geheimnisvolle Weise, andere werden gefunden, vergiftet oder erschossen – und oft grausig zugerichtet.
Vorläufiger Höhepunkt: Vier abgetrennte Luchs-Vorderbeine in einem Waldstück nah beim Wohnhaus von Sybille und Manfred Wölfl im Lamer Winkel, ganz hinten im Bayerischen Wald. Die Kadaver-Teile waren so abgelegt, dass Manfred Wölfl sie finden musste bei der Inspektion der Wildkameras, die er dort aufgehängt hat, um „seine“Luchse zu beobachten und auch zu bewachen.
Legendärer Braunbär
Wölfl ist nicht irgendwer, sondern eine Institution, wenn es um Raubtiere in Bayern geht. Beim Landesamt für Umwelt ist er zuständig für das Management von Bär, Wolf und Luchs, bestellt auf dem Höhepunkt der Aufregung um „Bruno“, damit es geordnet und fachlich fundiert zugeht, wenn die ausgerotteten Raubtiere hier wieder heimisch werden. Aber wie beim legendären Braunbären, dem der Umweltminister seinerzeit zunächst „Willkommen in Bayern“zurief, ist die Sache mit den wilden Tieren in der Praxis offensichtlich nicht unkomplizert.
Nicht einmal beim Luchs, der dem Menschen nun wirklich nicht gefährlich wird, und auch nicht seiner Habe. Übergriffe auf Haus- und Nutztiere sind – im Gegensatz zum Wolf – überaus selten. Selbst dort, wo sie noch vorkommen, vermehren sich die großen Katzen nur in sehr überschaubarem Rahmen. Die Bestände regulieren sich weitgehend von selbst, weil ein Großteil der Jungtiere beim Versuch scheitert, ein eigenes Revier zu ergattern.
Rund 200 Quadratkilometer braucht ein erwachsener männlicher Luchs als Lebensraum. Im Gegensatz zum Wolf meidet er Siedlungsgebiete, ist überaus scheu und heimlich – und wunderschön anzusehen mit seinen Pinselohren und dem charakteristisch gepunkteten Fell, das reiche Damen schwach werden ließ, als Pelzmäntel noch nicht verpönt waren. Was also bringt Menschen dazu, so ein Geschöpf zu töten? Bayerns Jä- ger weisen den Verdacht vehement zurück, dass Beuteneid im Spiel sein könnte. Warum auch: Das gute Dutzend Luchse im Bayerischen Wald lässt wohl genug Rehe für die Revierpächter übrig. Und auch die Wildland-Stiftung des Landesjagdverbands gehört zu den Trägern „Ausgleichsfonds Große Beutegreifer in Bayern“, die nach dem Vorfall mit den abgeschnittenen Luchsbeinen energisch protestierte: „Ein solcher krimineller Akt ist bislang beispiellos und eine neue Eskalationsstufe der Luchsgegner in der Region.“
Rund 500 Euro jährlich überweist der Ausgleichsfonds an Nutztierhalter, denen Luchse Lämmer gerissen haben. Angriffe auf Rinderherden sind extrem selten, selbst in Skandinavien mit seinen dichten Populationen. Warum also der Hass auf die scheuen Tiere? Bayerns neue Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) hat 10 000 Euro Belohnung für die Ergreifung der Täter ausgesetzt: „Die wiederholten Angriffe auf den Luchs sind kriminell und nicht hinnehmbar.“
Nur zur Einrichtung einer zentralen Polizei-Ermittlungsstelle für die Aufklärung von Artenschutzdelikten, wie sie Naturschützer und auch der Landesjagdverband fordern, kann sich die Staatsregierung bisher nicht durchringen. Gerüchte, die Nachforschungen sinnvoll erscheinen lassen, gibt es jedoch genug: zum Beispiel jenes, dass es bei der Luchswilderei um Racheakte gegen übereifrige Forstbeamte gehen könnte, die von den Jägern immer höhere Rehwild-Abschussquoten fordern und angeblich nicht einsehen wollen, dass die Jagd auf Rehe schwierig wird, wenn auch der Luchs den Beutetieren nachstellt.
Momentan untersuchen Spezialisten, ob die im Lamer Winkel entdeckten Kadaverteile von zwei Luchsen stammen – oder gar von vier Tieren. Spekuliert wird auch, ob die Täter die Beine über Monate oder gar Jahre in der Tiefkühltruhe sammelten, um dann eine Art Paukenschlag zu inszenieren – gleich beim Haus des bayerischen Raubtierbeauftragten, dessen Frau Sybille Wölfl das „Luchsprojekt Bayern“leitet und in ganz Europa zu den ausgewiesenen Kennern der scheuen Raubkatzen zählt.
Nach dem schlimmen Fund, der einem ähnlichen Vorfall vor Jahren in der Schweiz ähnelt, hat sich Sybille Wölfl jedes Kommentars und jeder Schuldzuweisung enthalten. Vor längerer Zeit sagte sie, der Bayerische Wald sei wohl ein „Bermuda-Dreieck für die Luchse“. Immer wieder sind Tiere spurlos verschwunden, andere fanden sie mit Gift oder Kugeln im Körper. Und immer wieder fiel der erste Verdacht auf Jäger, die sich ihre Beute mit den Luchsen teilen müssen.
Wahr ist, dass die kleine bayerische Luchs-Population auch außerhalb von Jagd und Artenschutz für großen Ärger sorgt: Der Tourismus in der entlegenen Region wähnt seine Geschäfte gefährdet. Vor allem wegen der Ruhezonen, die für Wanderer und Radler gesperrt werden, damit die Luchsmütter wenigstens während der Aufzucht ihrer Jungen Ruhe haben. Konkret geht es um eigentlich lächerliche 37 Hektar, aber zu denen gehört das „Glasscherbenviertel“am Kaitersberg, eines der beliebtesten Kletter-Reviere der Region.
So kommt es, dass sich Naturschützer und die Bergsteiger-Abteilung der Chamer „Naturfreunde“momentan gar nicht grün sind und ein Musterbeispiel dafür liefern, wie sehr Artenschutz und Freizeitnutzung einander im Wege stehen können. Auch eine Facette des Dauerstreits um den Nationalpark Bayerischer Wald, der objektiv betrachtet gegen alle Widerstände der Anfangszeit zur wichtigsten Touristen-Attraktion der armen Gegend wurde – und zur Keimzelle der Luchspopulation, die wohl aus dem angrenzenden Nationalpark Fulmova aus Tschechien zuwanderte.
Potenzieller Täterkreis ist groß
In der östlichen Oberpfalz, wo sich die Menschen selbst „Waldler“nennen (was wie „Waidler“gesprochen wird), ist das Misstrauen gegen den amtlichen Naturschutz ausgeprägt, seit die Waldbauern zusehen mussten, wie die Borkenkäfer aus dem Nationalpark-Urwald auch ihre Bäume befallen.
Viele fürchten, dass jedes Stück aufgepäppelter Natur letztlich auf ihre Kosten gehen könnte. Sie erzählen von Weihern, in denen sie nicht mehr fischen und von Wiesen, die sie nicht mehr mähen dürfen, weil dort seltene Vögel brüten.
Der potenzielle Täterkreis ist also weit größer als irgendwo sonst in Bayern. Und an Stammtischen herrscht die feste Überzeugung, dass die Regierungsherrschaft und ihr Erfüllungspersonal kaum empfindlicher zu treffen seien als beim Vorzeigeprojekt mit den Luchsen. Gegen solche Vorbehalte steht die Gewissheit, dass die Nationalpark-Idee im einst gottverlassenen Land am „Eisernen Vorhang“konsequenter umgesetzt wurde als irgendwo sonst in Deutschland und Europa. Es könnte durchaus sein, dass die Luchse das nun büßen müssen.
„Die wiederholten Angriffe auf den Luchs sind kriminell und nicht hinnehmbar.“ Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf