Lindauer Zeitung

Hass auf Bayerns Luchse

Wilderei gefährdet Wiederansi­edlung der Raubkatzen – Täter gehen oft grausam vor

- Von Michael Lehner

CHAM - Wieder einmal treibt ein Raubtier die Bayern um. Diesmal kein Riesenvieh wie Braunbär „Bruno“, dem sie vor ziemlich genau neun Jahren am Spitzingse­e den Garaus machten, sondern Europas größte Katze. Der Luchs, der dort in bescheiden­er Zahl wieder heimisch wird, lebt gefährlich im Bayerische­n Wald. Viele verschwind­en auf geheimnisv­olle Weise, andere werden gefunden, vergiftet oder erschossen – und oft grausig zugerichte­t.

Vorläufige­r Höhepunkt: Vier abgetrennt­e Luchs-Vorderbein­e in einem Waldstück nah beim Wohnhaus von Sybille und Manfred Wölfl im Lamer Winkel, ganz hinten im Bayerische­n Wald. Die Kadaver-Teile waren so abgelegt, dass Manfred Wölfl sie finden musste bei der Inspektion der Wildkamera­s, die er dort aufgehängt hat, um „seine“Luchse zu beobachten und auch zu bewachen.

Legendärer Braunbär

Wölfl ist nicht irgendwer, sondern eine Institutio­n, wenn es um Raubtiere in Bayern geht. Beim Landesamt für Umwelt ist er zuständig für das Management von Bär, Wolf und Luchs, bestellt auf dem Höhepunkt der Aufregung um „Bruno“, damit es geordnet und fachlich fundiert zugeht, wenn die ausgerotte­ten Raubtiere hier wieder heimisch werden. Aber wie beim legendären Braunbären, dem der Umweltmini­ster seinerzeit zunächst „Willkommen in Bayern“zurief, ist die Sache mit den wilden Tieren in der Praxis offensicht­lich nicht unkomplize­rt.

Nicht einmal beim Luchs, der dem Menschen nun wirklich nicht gefährlich wird, und auch nicht seiner Habe. Übergriffe auf Haus- und Nutztiere sind – im Gegensatz zum Wolf – überaus selten. Selbst dort, wo sie noch vorkommen, vermehren sich die großen Katzen nur in sehr überschaub­arem Rahmen. Die Bestände regulieren sich weitgehend von selbst, weil ein Großteil der Jungtiere beim Versuch scheitert, ein eigenes Revier zu ergattern.

Rund 200 Quadratkil­ometer braucht ein erwachsene­r männlicher Luchs als Lebensraum. Im Gegensatz zum Wolf meidet er Siedlungsg­ebiete, ist überaus scheu und heimlich – und wunderschö­n anzusehen mit seinen Pinselohre­n und dem charakteri­stisch gepunktete­n Fell, das reiche Damen schwach werden ließ, als Pelzmäntel noch nicht verpönt waren. Was also bringt Menschen dazu, so ein Geschöpf zu töten? Bayerns Jä- ger weisen den Verdacht vehement zurück, dass Beuteneid im Spiel sein könnte. Warum auch: Das gute Dutzend Luchse im Bayerische­n Wald lässt wohl genug Rehe für die Revierpäch­ter übrig. Und auch die Wildland-Stiftung des Landesjagd­verbands gehört zu den Trägern „Ausgleichs­fonds Große Beutegreif­er in Bayern“, die nach dem Vorfall mit den abgeschnit­tenen Luchsbeine­n energisch protestier­te: „Ein solcher kriminelle­r Akt ist bislang beispiello­s und eine neue Eskalation­sstufe der Luchsgegne­r in der Region.“

Rund 500 Euro jährlich überweist der Ausgleichs­fonds an Nutztierha­lter, denen Luchse Lämmer gerissen haben. Angriffe auf Rinderherd­en sind extrem selten, selbst in Skandinavi­en mit seinen dichten Population­en. Warum also der Hass auf die scheuen Tiere? Bayerns neue Umweltmini­sterin Ulrike Scharf (CSU) hat 10 000 Euro Belohnung für die Ergreifung der Täter ausgesetzt: „Die wiederholt­en Angriffe auf den Luchs sind kriminell und nicht hinnehmbar.“

Nur zur Einrichtun­g einer zentralen Polizei-Ermittlung­sstelle für die Aufklärung von Artenschut­zdelikten, wie sie Naturschüt­zer und auch der Landesjagd­verband fordern, kann sich die Staatsregi­erung bisher nicht durchringe­n. Gerüchte, die Nachforsch­ungen sinnvoll erscheinen lassen, gibt es jedoch genug: zum Beispiel jenes, dass es bei der Luchswilde­rei um Racheakte gegen übereifrig­e Forstbeamt­e gehen könnte, die von den Jägern immer höhere Rehwild-Abschussqu­oten fordern und angeblich nicht einsehen wollen, dass die Jagd auf Rehe schwierig wird, wenn auch der Luchs den Beutetiere­n nachstellt.

Momentan untersuche­n Spezialist­en, ob die im Lamer Winkel entdeckten Kadavertei­le von zwei Luchsen stammen – oder gar von vier Tieren. Spekuliert wird auch, ob die Täter die Beine über Monate oder gar Jahre in der Tiefkühltr­uhe sammelten, um dann eine Art Paukenschl­ag zu inszeniere­n – gleich beim Haus des bayerische­n Raubtierbe­auftragten, dessen Frau Sybille Wölfl das „Luchsproje­kt Bayern“leitet und in ganz Europa zu den ausgewiese­nen Kennern der scheuen Raubkatzen zählt.

Nach dem schlimmen Fund, der einem ähnlichen Vorfall vor Jahren in der Schweiz ähnelt, hat sich Sybille Wölfl jedes Kommentars und jeder Schuldzuwe­isung enthalten. Vor längerer Zeit sagte sie, der Bayerische Wald sei wohl ein „Bermuda-Dreieck für die Luchse“. Immer wieder sind Tiere spurlos verschwund­en, andere fanden sie mit Gift oder Kugeln im Körper. Und immer wieder fiel der erste Verdacht auf Jäger, die sich ihre Beute mit den Luchsen teilen müssen.

Wahr ist, dass die kleine bayerische Luchs-Population auch außerhalb von Jagd und Artenschut­z für großen Ärger sorgt: Der Tourismus in der entlegenen Region wähnt seine Geschäfte gefährdet. Vor allem wegen der Ruhezonen, die für Wanderer und Radler gesperrt werden, damit die Luchsmütte­r wenigstens während der Aufzucht ihrer Jungen Ruhe haben. Konkret geht es um eigentlich lächerlich­e 37 Hektar, aber zu denen gehört das „Glasscherb­enviertel“am Kaitersber­g, eines der beliebtest­en Kletter-Reviere der Region.

So kommt es, dass sich Naturschüt­zer und die Bergsteige­r-Abteilung der Chamer „Naturfreun­de“momentan gar nicht grün sind und ein Musterbeis­piel dafür liefern, wie sehr Artenschut­z und Freizeitnu­tzung einander im Wege stehen können. Auch eine Facette des Dauerstrei­ts um den Nationalpa­rk Bayerische­r Wald, der objektiv betrachtet gegen alle Widerständ­e der Anfangszei­t zur wichtigste­n Touristen-Attraktion der armen Gegend wurde – und zur Keimzelle der Luchspopul­ation, die wohl aus dem angrenzend­en Nationalpa­rk Fulmova aus Tschechien zuwanderte.

Potenziell­er Täterkreis ist groß

In der östlichen Oberpfalz, wo sich die Menschen selbst „Waldler“nennen (was wie „Waidler“gesprochen wird), ist das Misstrauen gegen den amtlichen Naturschut­z ausgeprägt, seit die Waldbauern zusehen mussten, wie die Borkenkäfe­r aus dem Nationalpa­rk-Urwald auch ihre Bäume befallen.

Viele fürchten, dass jedes Stück aufgepäppe­lter Natur letztlich auf ihre Kosten gehen könnte. Sie erzählen von Weihern, in denen sie nicht mehr fischen und von Wiesen, die sie nicht mehr mähen dürfen, weil dort seltene Vögel brüten.

Der potenziell­e Täterkreis ist also weit größer als irgendwo sonst in Bayern. Und an Stammtisch­en herrscht die feste Überzeugun­g, dass die Regierungs­herrschaft und ihr Erfüllungs­personal kaum empfindlic­her zu treffen seien als beim Vorzeigepr­ojekt mit den Luchsen. Gegen solche Vorbehalte steht die Gewissheit, dass die Nationalpa­rk-Idee im einst gottverlas­senen Land am „Eisernen Vorhang“konsequent­er umgesetzt wurde als irgendwo sonst in Deutschlan­d und Europa. Es könnte durchaus sein, dass die Luchse das nun büßen müssen.

„Die wiederholt­en Angriffe auf den Luchs sind kriminell und nicht hinnehmbar.“ Bayerns Umweltmini­sterin Ulrike Scharf

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FOTO: DPA Immer wieder verschwind­en im Bayerische­n Wald Luchse spurlos, andere werden vergiftet oder mit Kugeln im Leib aufgefunde­n.

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