Griechenlands Spiel mit der EU
Regierung Tsipras lehnt Renten- und Lohnkürzungen ab – Gericht: Sparpaket rechtswidrig
BRÜSSEL - Jetzt ist es endlich heraus: Renten- und Lohnkürzungen wird es mit der Regierung Tsipras nicht geben. So lautete gestern die unmissverständliche Botschaft aus Athen. Am Donnerstag hatten Gewerkschafter das Finanzministerium in Athen besetzt, um Druck gegen mögliche Zugeständnisse in den Brüsseler Verhandlungen zu machen. Das oberste griechische Gericht hatte am gleichen Tag entschieden, dass 2012 im Rahmen des Sparpakets vorgenommene Rentenkürzungen rechtswidrig seien. Diese Entscheidung wird die Staatsausgaben weiter in die Höhe treiben – um etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Unterdessen verlieren die Gläubiger die Geduld. Die Vertreter des Internationalen Währungsfonds IWF reisten entnervt ab. Eurogruppenchef Dijsselbloem betonte, eine Einigung ohne den IWF komme nicht infrage.
Vor allem die Entscheidung des obersten griechischen Gerichts wirft für die Eurozone ganz grundsätzliche Fragen auf, die bei der Gründung der Währungsunion niemand bedacht hatte. Was geschieht, wenn die Verfassung eines Landes den Sparauflagen der Währungsgemeinschaft entgegensteht? Welchen Ausweg kann man finden, wenn in einem Land der Eurozone eine Regierung an die Macht kommt, die grundlegende Regeln der Marktwirtschaft infrage stellt oder außer Kraft setzt?
Kaum Chancen auf Grexit
Es gibt klare Kriterien für Bewerber, die den Euro einführen wollen. Ihre Gesetze mussten sie ja schon beim Beitritt zur EU den europäischen Verträgen und Richtlinien anpassen. Nun kommt noch der Nachweis über solide Staatsfinanzen hinzu. Wenn aber die nationale Währung einmal umgestellt ist, sehen die Verträge zwar noch Verfahren gegen Länder vor, deren Regierungen das Geld zu locker sitzt. Es gibt aber keine Möglichkeit, bei grundlegenden Konflikten die Mitgliedschaft in der Eurozone wieder aufzukündigen.
Das Gezerre um den Grexit ist ein so deutlicher Warnschuss, dass ihn die Regierungen der Eurogruppe – allen voran Deutschland – eigentlich nicht überhören können. Ende Januar haben sich die griechischen Wähler mehrheitlich für eine politische Sammlungsbewegung entschieden, die zu großen Teilen der Mitgliedschaft im Euro skeptisch gegenüber- steht. Im Wahlprogramm sagte Syriza seinen Wählern zu, die Bedingungen mit den Gläubigern neu zu verhandeln und alle sozialen Grausamkeiten rückgängig zu machen. Zum Koalitionspartner wählte sich der Wahlsieger nicht die reformorientierte EU-freundliche, gemäßigte Partei sondern die extreme Rechte, die nicht nur den Euro sondern auch die EU ablehnt.
Griechenland fühlt sich an die Regeln des Clubs, dem es einst beitrat, nicht mehr gebunden. Was macht eine Partei, wenn ein prominentes Mitglied plötzlich öffentlich die Thesen der politischen Gegner vertritt? Manchmal kommt es zum Rauswurf. Oft aber wird laviert und gezögert und man begnügt sich mit einer Rüge – wie es 2008 bei Wolfgang Clement geschah, der kurz darauf freiwillig die SPD verließ. So einfach wird es die griechische Regierung der Eurogruppe nicht machen. Denn mit jedem Tag, der verstreicht, werden die Kosten für die Partner höher.
Die Kosten tragen die anderen
Mit jedem Tag, der verstreicht, werden auch mehr harte Euros auf sichere Auslandskonten transferiert. Auf den Kosten bleiben am Ende die anderen sitzen. Wenn es zum Knall kommt, führt die Regierung Tsipras die Drachme wieder ein und bedient die Auslandsschulden nicht länger.
Der finanzielle Schaden ist schon jetzt enorm. Wenn aber die Mitgliedervereinbarung in der Eurozone nicht grundlegend überarbeitet wird, dann war das erst der Anfang. Bei den Wahlen kommendes Jahr in Spanien hat die kapitalismuskritische Podemos-Partei gute Chancen, die Regierung zu stellen. Auch sie würde die Regeln der Eurozone massiv infrage stellen und soziale Kürzungen, die dem Land von der EUKommission auferlegt werden könnten, kategorisch zurückweisen. Dafür hätte sie dann sogar eine gute Legitimation: den Wählerwillen.
Nur wenn klar ist, dass die Entscheidung für ein mit der Eurozone unvereinbares politisches Programm den Verlust der Einheitswährung bedeutet, können die Wähler eine echte Entscheidung treffen. Die kalte Marktwirtschaft abwählen, den harten Euro aber behalten – diese Option darf es in Zukunft nicht mehr geben.