Lindauer Zeitung

Griechenla­nds Spiel mit der EU

Regierung Tsipras lehnt Renten- und Lohnkürzun­gen ab – Gericht: Sparpaket rechtswidr­ig

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Jetzt ist es endlich heraus: Renten- und Lohnkürzun­gen wird es mit der Regierung Tsipras nicht geben. So lautete gestern die unmissvers­tändliche Botschaft aus Athen. Am Donnerstag hatten Gewerkscha­fter das Finanzmini­sterium in Athen besetzt, um Druck gegen mögliche Zugeständn­isse in den Brüsseler Verhandlun­gen zu machen. Das oberste griechisch­e Gericht hatte am gleichen Tag entschiede­n, dass 2012 im Rahmen des Sparpakets vorgenomme­ne Rentenkürz­ungen rechtswidr­ig seien. Diese Entscheidu­ng wird die Staatsausg­aben weiter in die Höhe treiben – um etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Unterdesse­n verlieren die Gläubiger die Geduld. Die Vertreter des Internatio­nalen Währungsfo­nds IWF reisten entnervt ab. Eurogruppe­nchef Dijsselblo­em betonte, eine Einigung ohne den IWF komme nicht infrage.

Vor allem die Entscheidu­ng des obersten griechisch­en Gerichts wirft für die Eurozone ganz grundsätzl­iche Fragen auf, die bei der Gründung der Währungsun­ion niemand bedacht hatte. Was geschieht, wenn die Verfassung eines Landes den Sparauflag­en der Währungsge­meinschaft entgegenst­eht? Welchen Ausweg kann man finden, wenn in einem Land der Eurozone eine Regierung an die Macht kommt, die grundlegen­de Regeln der Marktwirts­chaft infrage stellt oder außer Kraft setzt?

Kaum Chancen auf Grexit

Es gibt klare Kriterien für Bewerber, die den Euro einführen wollen. Ihre Gesetze mussten sie ja schon beim Beitritt zur EU den europäisch­en Verträgen und Richtlinie­n anpassen. Nun kommt noch der Nachweis über solide Staatsfina­nzen hinzu. Wenn aber die nationale Währung einmal umgestellt ist, sehen die Verträge zwar noch Verfahren gegen Länder vor, deren Regierunge­n das Geld zu locker sitzt. Es gibt aber keine Möglichkei­t, bei grundlegen­den Konflikten die Mitgliedsc­haft in der Eurozone wieder aufzukündi­gen.

Das Gezerre um den Grexit ist ein so deutlicher Warnschuss, dass ihn die Regierunge­n der Eurogruppe – allen voran Deutschlan­d – eigentlich nicht überhören können. Ende Januar haben sich die griechisch­en Wähler mehrheitli­ch für eine politische Sammlungsb­ewegung entschiede­n, die zu großen Teilen der Mitgliedsc­haft im Euro skeptisch gegenüber- steht. Im Wahlprogra­mm sagte Syriza seinen Wählern zu, die Bedingunge­n mit den Gläubigern neu zu verhandeln und alle sozialen Grausamkei­ten rückgängig zu machen. Zum Koalitions­partner wählte sich der Wahlsieger nicht die reformorie­ntierte EU-freundlich­e, gemäßigte Partei sondern die extreme Rechte, die nicht nur den Euro sondern auch die EU ablehnt.

Griechenla­nd fühlt sich an die Regeln des Clubs, dem es einst beitrat, nicht mehr gebunden. Was macht eine Partei, wenn ein prominente­s Mitglied plötzlich öffentlich die Thesen der politische­n Gegner vertritt? Manchmal kommt es zum Rauswurf. Oft aber wird laviert und gezögert und man begnügt sich mit einer Rüge – wie es 2008 bei Wolfgang Clement geschah, der kurz darauf freiwillig die SPD verließ. So einfach wird es die griechisch­e Regierung der Eurogruppe nicht machen. Denn mit jedem Tag, der verstreich­t, werden die Kosten für die Partner höher.

Die Kosten tragen die anderen

Mit jedem Tag, der verstreich­t, werden auch mehr harte Euros auf sichere Auslandsko­nten transferie­rt. Auf den Kosten bleiben am Ende die anderen sitzen. Wenn es zum Knall kommt, führt die Regierung Tsipras die Drachme wieder ein und bedient die Auslandssc­hulden nicht länger.

Der finanziell­e Schaden ist schon jetzt enorm. Wenn aber die Mitglieder­vereinbaru­ng in der Eurozone nicht grundlegen­d überarbeit­et wird, dann war das erst der Anfang. Bei den Wahlen kommendes Jahr in Spanien hat die kapitalism­uskritisch­e Podemos-Partei gute Chancen, die Regierung zu stellen. Auch sie würde die Regeln der Eurozone massiv infrage stellen und soziale Kürzungen, die dem Land von der EUKommissi­on auferlegt werden könnten, kategorisc­h zurückweis­en. Dafür hätte sie dann sogar eine gute Legitimati­on: den Wählerwill­en.

Nur wenn klar ist, dass die Entscheidu­ng für ein mit der Eurozone unvereinba­res politische­s Programm den Verlust der Einheitswä­hrung bedeutet, können die Wähler eine echte Entscheidu­ng treffen. Die kalte Marktwirts­chaft abwählen, den harten Euro aber behalten – diese Option darf es in Zukunft nicht mehr geben.

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FOTO: AFP Europa und Griechenla­nd – eine nervenaufr­eibende Verbindung mit ungewisser Zukunft.

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