Gegen die Gespenster der Vergangenheit
16. Laupheimer Gespräche fragten nach der „dritten Generation“, den Kriegsenkeln
LAUPHEIM - Manchmal habe er keine Lust mehr zu erklären, dass er Jude sei, sagt Yascha Mounk. Weil dann immer peinliches Schweigen entstehe, weil alles so politisch korrekt würde, weil die Deutschen dann Angst bekämen, einem Juden gegenüber einen Fehler zu machen. Mounk ist in München geboren, in Laupheim aufgewachsen, dem Ort, an dem vor 1933 eine große jüdische Gemeinde lebte.
Yascha Mounk sagte bei den Laupheimer Gesprächen, er sei erst hier zum Juden geworden. Über die Schwierigkeit, Deutscher und dann erst Jude sein zu wollen, hat der 32-jährige in dem Buch „Stranger in My Own Country“, (dt.: „Echt, Du bist Jude“, Kein & Aber Verlag, Zürich, erscheint im Oktober) berichtet.
Die wenigsten in der oberschwäbischen Stadt haben das Buch gelesen. Trotzdem sind einige sauer auf Mounk, weil sie meinen, er portraitiere Laupheim als antisemitisch. Das tut er aber nicht. Die Reaktion auf sein Buch wirkt beispielhaft für den verunglückten Umgang der ersten und der zweiten Generation, also der Kriegsteilnehmer und ihrer Kinder mit dem Krieg und der Shoah.
Neben Mounk, dem elsässischen Autor Olivier Guez und dem Theologen Joachim Süss sprachen Vertreter der sogenannten „dritten Generation“bei den 16. Laupheimer Gesprächen über den schwierigen Umgang mit der gemeinsamen Geschichte. Die vom Haus der Geschichte in Stuttgart organisierte Tagung bringt Nachfahren der Täter und der Opfer des Nationalsozialismus zusammen. Bei den Gesprächen der dritten Generation, also jener, die zwischen Ende der fünfziger Jahre und Anfang der siebziger Jahre geboren wurde, geht es um den Umgang miteinander.
So nannte der französische Jude Guez seine Arbeit mit einem deutschen Autor an einem Drehbuch über Fritz Bauer, den Staatsanwalt der Auschwitz-Prozesse, eine Chance als Opfer-Enkel und als Täter-Enkel, die Gespenster der Vergangenheit zu bewältigen.
Ablehnung unter Migranten
Die diesjährigen Laupheimer Gespräche waren von drängender Aktualität. Der zunehmende Antisemitismus unter Migranten, die Flucht deutscher Jugendlicher zum radikalislamischen IS in Syrien oder die Frage nach der richtigen Integration sind Themen, die auch mit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 zu tun haben. Im Kulturhaus von Schloss Grosslaupheim fanden diese Gespräche vor 300 Zuhörern, unter ihnen etwa ein Drittel Schülerinnen und Schüler, statt.
Yascha Mounk, der Junge aus Laupheim, der in Harvard lehrt, hofft auf die „vierte Generation“, die heute in Deutschland zwischen 15 und 30 Jahre alt ist. Sie gehe auf eine andere Art mit dem Holocaust und den Verbrechen der Großeltern und Urgroßeltern um: Die Jungen seien entsetzt über die Verbrechen, hätten aber kein Problem, stolz auf das heutige Deutschland zu sein. Mounk beschrieb die Abwesenheit von Normalität im Verhältnis von Juden und Deutschen, die wechselseitige Verkrampfung, die bei ihm irgendwann dazu führte, dass er sich mehr als Jude denn als Deutscher fühlte.
Die „dritte Generation“nennt Guez auch „die Kinder des Schweigens“: In den Familien der Überlebenden des Holocaust wurde lange Zeit ebenso wenig gesprochen wie in den Familien der Täter.
Wie die dritte Generation im Volk der Täter ihre Traumata entdecke, das schilderte der evangelische Theologe Joachim Süss vom Verein Kriegsenkel e.V.. Es gebe eine Welle von Zusammenschlüssen der Enkel, die das Schweigen in ihren Familien belastet habe, erläuterte er. Viele in der Generation seien mit einem Gefühl der Nichtzugehörigkeit und mit fehlendem Selbstbewusstsein aufge- wachsen. „Die Traumata der Eltern wurden die Schatten auf den Biografien der Kinder“, sagte Süss und folgerte: „Es gibt keine Gnade der späten Geburt.“
Austausch statt Ablass
Im eigenen Leben wirkten „Kräfte, die älter seien als man selbst.“Der Verlust von Geborgenheit und Sicherheit, die unausgesprochene Schuld, die Suche nach Identität hätten die deutschen Kriegsenkel geprägt, erläuterte er diese „transgenerationellen Traumata“. So dass jemand, der 15, 20 Jahre nach Kriegsende geboren ist, natürlich die Folgen des Menschheitsverbrechens Nationalsozialismus in der eigenen Biografie zu spüren bekäme. Dieses Thema sei in den vergangenen Jahren „förmlich explodiert“, wobei Süss betonte, dass es dabei nicht um eine Aufrechnung von Leid gehe, sondern lediglich um das Aussprechen gemeinsamer Erfahrungen.
Wie kann man nun mit dieser gemeinsamen Geschichte gemeinsam umgehen, fragte der Straßburger Guez. Für Yascha Mounk liegt die Hoffnung in einem Pluralismus, der in Deutschland um sich greifen müsse und der etwas gänzlich anderes darstelle als ein zügelloses Multikulti. Deutschland müsse sich in den nächsten 20, 30 Jahren zu einer Gesellschaft entwickeln, in der Minderheiten, unter ihnen auch die Juden, miteinander lebten. Und zwar so, dass nicht die Zugehörigkeit zu einer Minderheit die Identität ausmache, sondern die Teilnahme an dieser pluralistischen Gesellschaft. So wie er, der Jude aus Laupheim, in New York nicht mehr Jude sein müsse, könne das vielleicht auch in der Zukunft in Deutschland geschehen. Wer in Deutschland der Meinung sei, er habe nichts mit dem Dritten Reich zu tun, ob als Deutscher oder als Mensch mit Migrationshintergrund, der habe eben auch nichts mit Goethe oder Schiller zu tun.
Man möchte anfügen: und nichts mit deutschem Fußball, schwäbischem Kartoffelsalat oder Mercedes Benz.