Lindauer Zeitung

Gegen die Gespenster der Vergangenh­eit

16. Laupheimer Gespräche fragten nach der „dritten Generation“, den Kriegsenke­ln

- Von Christoph Plate

LAUPHEIM - Manchmal habe er keine Lust mehr zu erklären, dass er Jude sei, sagt Yascha Mounk. Weil dann immer peinliches Schweigen entstehe, weil alles so politisch korrekt würde, weil die Deutschen dann Angst bekämen, einem Juden gegenüber einen Fehler zu machen. Mounk ist in München geboren, in Laupheim aufgewachs­en, dem Ort, an dem vor 1933 eine große jüdische Gemeinde lebte.

Yascha Mounk sagte bei den Laupheimer Gesprächen, er sei erst hier zum Juden geworden. Über die Schwierigk­eit, Deutscher und dann erst Jude sein zu wollen, hat der 32-jährige in dem Buch „Stranger in My Own Country“, (dt.: „Echt, Du bist Jude“, Kein & Aber Verlag, Zürich, erscheint im Oktober) berichtet.

Die wenigsten in der oberschwäb­ischen Stadt haben das Buch gelesen. Trotzdem sind einige sauer auf Mounk, weil sie meinen, er portraitie­re Laupheim als antisemiti­sch. Das tut er aber nicht. Die Reaktion auf sein Buch wirkt beispielha­ft für den verunglück­ten Umgang der ersten und der zweiten Generation, also der Kriegsteil­nehmer und ihrer Kinder mit dem Krieg und der Shoah.

Neben Mounk, dem elsässisch­en Autor Olivier Guez und dem Theologen Joachim Süss sprachen Vertreter der sogenannte­n „dritten Generation“bei den 16. Laupheimer Gesprächen über den schwierige­n Umgang mit der gemeinsame­n Geschichte. Die vom Haus der Geschichte in Stuttgart organisier­te Tagung bringt Nachfahren der Täter und der Opfer des Nationalso­zialismus zusammen. Bei den Gesprächen der dritten Generation, also jener, die zwischen Ende der fünfziger Jahre und Anfang der siebziger Jahre geboren wurde, geht es um den Umgang miteinande­r.

So nannte der französisc­he Jude Guez seine Arbeit mit einem deutschen Autor an einem Drehbuch über Fritz Bauer, den Staatsanwa­lt der Auschwitz-Prozesse, eine Chance als Opfer-Enkel und als Täter-Enkel, die Gespenster der Vergangenh­eit zu bewältigen.

Ablehnung unter Migranten

Die diesjährig­en Laupheimer Gespräche waren von drängender Aktualität. Der zunehmende Antisemiti­smus unter Migranten, die Flucht deutscher Jugendlich­er zum radikalisl­amischen IS in Syrien oder die Frage nach der richtigen Integratio­n sind Themen, die auch mit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 zu tun haben. Im Kulturhaus von Schloss Grosslauph­eim fanden diese Gespräche vor 300 Zuhörern, unter ihnen etwa ein Drittel Schülerinn­en und Schüler, statt.

Yascha Mounk, der Junge aus Laupheim, der in Harvard lehrt, hofft auf die „vierte Generation“, die heute in Deutschlan­d zwischen 15 und 30 Jahre alt ist. Sie gehe auf eine andere Art mit dem Holocaust und den Verbrechen der Großeltern und Urgroßelte­rn um: Die Jungen seien entsetzt über die Verbrechen, hätten aber kein Problem, stolz auf das heutige Deutschlan­d zu sein. Mounk beschrieb die Abwesenhei­t von Normalität im Verhältnis von Juden und Deutschen, die wechselsei­tige Verkrampfu­ng, die bei ihm irgendwann dazu führte, dass er sich mehr als Jude denn als Deutscher fühlte.

Die „dritte Generation“nennt Guez auch „die Kinder des Schweigens“: In den Familien der Überlebend­en des Holocaust wurde lange Zeit ebenso wenig gesprochen wie in den Familien der Täter.

Wie die dritte Generation im Volk der Täter ihre Traumata entdecke, das schilderte der evangelisc­he Theologe Joachim Süss vom Verein Kriegsenke­l e.V.. Es gebe eine Welle von Zusammensc­hlüssen der Enkel, die das Schweigen in ihren Familien belastet habe, erläuterte er. Viele in der Generation seien mit einem Gefühl der Nichtzugeh­örigkeit und mit fehlendem Selbstbewu­sstsein aufge- wachsen. „Die Traumata der Eltern wurden die Schatten auf den Biografien der Kinder“, sagte Süss und folgerte: „Es gibt keine Gnade der späten Geburt.“

Austausch statt Ablass

Im eigenen Leben wirkten „Kräfte, die älter seien als man selbst.“Der Verlust von Geborgenhe­it und Sicherheit, die unausgespr­ochene Schuld, die Suche nach Identität hätten die deutschen Kriegsenke­l geprägt, erläuterte er diese „transgener­ationellen Traumata“. So dass jemand, der 15, 20 Jahre nach Kriegsende geboren ist, natürlich die Folgen des Menschheit­sverbreche­ns Nationalso­zialismus in der eigenen Biografie zu spüren bekäme. Dieses Thema sei in den vergangene­n Jahren „förmlich explodiert“, wobei Süss betonte, dass es dabei nicht um eine Aufrechnun­g von Leid gehe, sondern lediglich um das Ausspreche­n gemeinsame­r Erfahrunge­n.

Wie kann man nun mit dieser gemeinsame­n Geschichte gemeinsam umgehen, fragte der Straßburge­r Guez. Für Yascha Mounk liegt die Hoffnung in einem Pluralismu­s, der in Deutschlan­d um sich greifen müsse und der etwas gänzlich anderes darstelle als ein zügelloses Multikulti. Deutschlan­d müsse sich in den nächsten 20, 30 Jahren zu einer Gesellscha­ft entwickeln, in der Minderheit­en, unter ihnen auch die Juden, miteinande­r lebten. Und zwar so, dass nicht die Zugehörigk­eit zu einer Minderheit die Identität ausmache, sondern die Teilnahme an dieser pluralisti­schen Gesellscha­ft. So wie er, der Jude aus Laupheim, in New York nicht mehr Jude sein müsse, könne das vielleicht auch in der Zukunft in Deutschlan­d geschehen. Wer in Deutschlan­d der Meinung sei, er habe nichts mit dem Dritten Reich zu tun, ob als Deutscher oder als Mensch mit Migrations­hintergrun­d, der habe eben auch nichts mit Goethe oder Schiller zu tun.

Man möchte anfügen: und nichts mit deutschem Fußball, schwäbisch­em Kartoffels­alat oder Mercedes Benz.

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FOTOS: ROLAND RAY Mit Interesse bei der Sache: Die gemeinsame Geschichte ist etwas, das junge und ältere Menschen gleicherma­ßen bewegt.
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Yascha Mounk

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