Lindauer Zeitung

Grautöne und viele offenen Fragen

Plädoyers im Prozess um Tod der Studentin Tugce – Urteil am Dienstag erwartet

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DARMSTADT (AFP/dpa) - Im Prozess um den Tod der Studentin Tugce Albayrak in Offenbach gehen die Strafforde­rungen von Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng weit auseinande­r. Die Ankläger verlangten am Freitag vor dem Landgerich­t Darmstadt eine Gesamtstra­fe von drei Jahren und drei Monaten für den Angeklagte Sanel M.. Sie wollen, dass er wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge nach dem Jugendstra­frecht verurteilt wird. Die Verteidigu­ng forderte eine Bewährungs­strafe.

Sanel M. räusperte sich, stockte kurz und fand dann doch noch Worte für den gewaltsame­n Tod von Tugce Albayrak: „Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens.“Egal, was herauskomm­e, er müsse „damit leben, dass ein Mensch tot ist“, sagte der 18-jährige Angeklagte am Freitag vor dem Landgerich­t Darmstadt. Ihm gehörten die letzten Worte in einem Prozess, der am kommenden Dienstag mit dem Urteil zu Ende gehen wird und doch viele Fragen offen lässt.

Ohrfeige gestanden

Unstrittig ist, dass Sanel M. die 22-jährige Studentin Mitte November auf dem Parkplatz vor einem Offenbache­r Schnellres­taurant geohrfeigt hat. Sie fiel auf den Asphalt, zog sich schwere Kopfverlet­zungen zu und starb wenige Tage später. Der 18Jährige räumte diese Ohrfeige zu Beginn des Prozesses im April ein.

Unklar ist aber auch nach neun Verhandlun­gstagen in Darmstadt, was vor dieser Ohrfeige in dem Schnellres­taurant und auf dem Parkplatz geschah. Die Gruppe um Tugce Albayrak und die jungen Männer um Sanel M. waren mehrmals aneinander geraten.

Auf der Damentoile­tte soll die Studentin zwei 14-jährigen Mädchen gegen den Angeklagte­n und seine Freunde zur Seite gestanden haben. Auf dem Parkplatz eskalierte die Situation schließlic­h. Es soll Beleidigun­gen von beiden Seiten gegeben haben. Wer fing an? Wer beleidigte wen wie? Wie kam es dazu, dass Sanel M. schließlic­h zuschlug? Diese Fragen ließen sich auch durch die Aussagen von mehr als 60 Zeugen nicht abschließe­nd klären.

Oberstaats­anwalt Alexander Homm sagte in seinem Plädoyer, der Fall erscheine nicht mehr so eindeutig wie noch kurz nach der Tat. Es gebe in dem Fall „nicht nur SchwarzWei­ß, sondern viele Grautöne“. Weder sei Sanel M. ausschließ­lich ein aggressive­r „Koma-Schläger“, noch Tugce eine „nationale Heldin“für Zivilcoura­ge. Es spreche aber viel dafür, dass die ersten Aggression­en auf dem Parkplatz von den jungen Männern ausgegange­n seien.

„Beispiello­se Vorverurte­ilung“

Der Anwalt der Familie Albayrak, Macit Karaahmeto­glu, warf Sanel M. vor, das Geständnis sei nicht von Reue geprägt, sondern „prozesstak- tisch“gewesen. Er zeigte sich überzeugt, dass es sich bei der Tat des Angeklagte­n um ein abgesproch­enes Vorgehen mit einem Freund gehandelt habe, um die jungen Frauen zu bestrafen.

Das wiesen die Verteidige­r des 18Jährigen scharf zurück. Ihr Mandant habe nicht vorgehabt, auf Tugce Albayrak loszugehen. Ihm seien nach einer Beleidigun­g die Sicherunge­n durchgebra­nnt. Sein Kollege HeinzJürge­n Borowosky kritisiert­e die „Vorverurte­ilung“von Sanel M. als „beispiello­s“.

Das Gericht will sein Urteil am kommenden Dienstag sprechen.

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FOTO: BORIS ROESSLER „Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens“, sagte Sanel M. (links), hier neben seinem Verteidige­r Stephan Kuhn im Darmstädte­r Landgerich­t.

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