Künstler und Arbeiter
Gaël Monfils steht für die Leichtigkeit des Seins, Philipp Kohlschreiber für deutsche Tugenden
STUTTGART - Man darf seinen Augen nicht trauen, Bilder täuschen. Philipp Kohlschreiber, auf Rang 29 bestplatzierter deutscher Tennisprofi in der Weltrangliste, hat von seinem Ausrüster eines jener neongrellen Outfits verpasst bekommen, wie sie gerade in Mode sind. Der Paradiesvogel beim ersten Viertelfinalmatch des Weissenhof-Turniers aber ist der Typ auf der anderen Seite des Netzes. Er hat seinen athletischen Einmeterneunzig-Körper in vergleichsweise biederer Tenniskleidung verpackt. Nur die Frisur verrät den Künstler, die in alle Richtungen abstehenden Dreadlocks des Franzosen Gaël Monfils sind ein dezenter Hinweis auf die Art, wie er Tennis spielt.
6000 Zuschauer auf dem erstmals seit Jahren wieder ausverkauften Centre Court des TC Weissenhof werden auch heute wieder das Vergnügen haben, eine der charismatischen Figuren der ATP Tour zu sehen: Monfils, 16. der Welt, qualifizierte sich am Freitag mit einem 7:5, 3:6, 6:3-Sieg gegen Kohlschreiber als Erster fürs heutige Halbfinale. Sein Gegner ist Topstar Rafael Nadal, der sich anschließend 6:4, 6:7, 6:3 gegen Bernard Tomic durchsetzte. Der Australier hatte tags zuvor Tommy Haas ausgeschaltet. Nach dem letzten Match des Tages stand dann endgültig fest, dass Michael Stich (1991) der vorerst letzte deutsche Sieger in Stuttgart bleiben wird: Gegen US-Open-Champion Marin Ci- lic, der heute auf seinen Landsmann Victor Troicki (7:6, 6:1 gegen Sam Groth) trifft, war Endstation für den großartig aufspielenden Qualifikanten Mischa Zverev (6:4, 6:7, 6:7). Der 502. der Weltrangliste wird nach seinen fünf Siegen in Stuttgart dennoch einen Riesensatz machen.
Zverev muss allerdings noch eine ganze Weile so auftrumpfen wie zuletzt, wenn er dahin kommen möchte, wo Kohlschreibers angestammter Platz in der Tennishierarchie ist. Seit elf Jahren zählt der Augsburger zu den Top 100, fünf Spielzeiten beendete er in den Top 30. Der Mann ist ein Ausbund an Zuverlässigkeit und so etwas wie die Verkörperung deutscher Tugenden auf dem Tennisplatz. Kohlschreiber spielt stets hochseriös das, was er kann, und das ist eine Menge. Auf der anderen Seite ist da ein Limit: Der 31-Jährige ist jederzeit in der Lage, die Großen zu ärgern und hin und wieder sogar zu schlagen, aber über Platz 16 ist er noch nie hinausgekommen – für die ganz großen Siege ist das nicht genug.
Dieses Schicksal teilt er mit dem anderen, obwohl der schon Siebter war, aber davon abgesehen ist dieser Franzose mit karibischen Wurzeln komplett anders. Was Monfils auf dem Platz treibt, sieht hin und wieder etwas nachlässig aus (besonders wenn ihn ein Untergrund so nervt wie der ungeliebte Rasen), und manchmal sieht es nicht nur so aus, sondern ist auch wenig seriös. Wenn Monfils ein Spiel nicht interessiert, hält sich sein Aufwand in Grenzen; er weiß ja, dass er sein Aufschlagspiel im besten Fall mit vier schnellen Hieben in Rekordzeit für sich entscheiden kann. Sowas ist entscheidend auf dem Niveau. Kohlschreiber machte 85 Punkte, Monfils 86, aber deutlich mehr wichtige.
„So ist Tennis. Manche haben halt ein Quäntchen mehr Talent“, meinte Kohlschreiber nach seiner zehnten Niederlage im zwölften Duell. „Man muss mal vier, fünf Punkte richtig da sein, um ein Break zu schaffen – der Rest bringt dann doch nicht so viel.“Das entscheidende gelang Monfils nach einer kleinen Verletzungspause zum 3:1 im dritten Satz. „Das muss man schnell abhaken, aber danach habe ich keine Chance mehr bekommen“, meinte Kohlschreiber. „Aber ich bin schon zufrieden, phasenweise habe ich sehr geiles Tennis gespielt. Das war ne ordentliche Woche.“