„Leute zum Nachdenken bringen“
Irie Révoltés prangern mit ihrer Musik gesellschaftliche Ungerechtigkeiten an
In der Nacht von Freitag auf Samstag, 19. auf 20. Juni, stellen Irie Révoltés ihr neues Album beim Southside Festival vor. Mit kraftvollen Hymnen machen die Musiker auf Missstände aufmerksam. Aber auch das Tanzen kommt nicht zu kurz. Christiane Wohlhaupter hat mit Carlito und Mal Élevé gesprochen.
Euer Album wird angekündigt als Sound für die Revolte, Sound für die Barrikaden. Wie viel Power hat Musik denn, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen?
Mal Élevé: Musik hat natürlich sehr viel Power. Jeder, der – oder die – gerne Musik hört, weiß, dass sie einen in allen Lebenslagen begleitet: Wenn man fröhlich ist, wenn man verliebt ist, wenn man traurig ist, wenn man wütend ist. Deshalb kann Musik viel verändern, was aber nicht immer messbar ist. Aber uns freut, wenn Leute nach dem Konzert kommen und uns erzählen, dass sie selbst aktiv geworden sind oder einem Projekt beigetreten sind. Das ist Grund genug für uns weiterzumachen.
Wenn man sieht, wie ungerecht die Welt ist: Wie schafft ihr es, da nicht zu resignieren?
Carlito: Gerade das gibt dem Projekt Irie Révoltés eine größere Wichtigkeit, dass wir Themen wie NSU und wegschauende Massen ansprechen. Wir wollen die Gegenrichtung stärken und Leute zum Nachdenken bringen. Wir wollen niemandem sagen, was er zu tun oder lassen hat. Wir sind keine Besserwisser. Wir wollen dazu beitragen, dass die Leute wieder selbstständig nachdenken.
Diesen Ansporn selbstständig zu denken, brauchen den eure Zuhörer wirklich? Oder wäre der nicht für andere Bevölkerungsschichten wichtiger?
Carlito: Wir haben keine homogene Fanbase und Zuschauerschaft. Da kommen viele Leute hin, die von anderen über uns gehört haben. Auf den Konzerten erreichen wir immer neue Leute. Deswegen machen wir das auch in dem größeren Rahmen: Wir sind keine Underground-Band. Aber wir verkaufen uns natürlich auch nicht – uns wirst du nie auf dem Titel des Burger-King-Magazins sehen. Wir haben Grenzen, mit welchen Partnern wir zusammenarbeiten. Heute passiert natürlich viel auch über das Internet, wo wir neue Leute ansprechen.
Bei „Jetzt ist Schluss“singt ihr davon, wie Leute wegschauen, wenn um sie herum etwas passiert, statt einzugreifen. Wie erklärt ihr euch das?
Mal Élevé: Klar, es gehört Mut zum Eingreifen, viele haben einfach Schiss. Aber bei vielen ist es auch die Faulheit. Wenn man selbst nicht di- rekt betroffen ist, setzen sich Leute nicht unbedingt für andere ein. Gerade die Privilegierten sollten sich ja starkmachen. Aber es ist eben einfacher wegzuschauen und mit der Masse zu gehen, als sich dagegenzustellen. Leider.
Rollis für Afrika, Viva con Aqua: Ihr engagiert euch bei vielen unterschiedlichen Projekten. Wie trefft ihr da die Auswahl?
Mal Élevé: Natürlich ist das eine Kapazitätsfrage. Wir haben einige Themen, die uns sehr wichtig sind: Flüchtlinge, Bleiberecht, Rassismus, Atomausstieg. Wir besprechen das immer innerhalb der Band und entscheiden dann.
Aus der Sicht des Träumers und Idealisten: Welchen Meilenstein würdet ihr gern erleben?
Mal Élevé: Es gibt natürlich Tausende Meilensteine. Schön wäre, wenn es keine Grenzen mehr gäbe, keine Nationalstaaten. Das ist natürlich weit weg. Was vielleicht realistischer ist: Dass alle Menschen irgendwann als gleichwertig gesehen werden, und die Chancen tatsächlich für alle gleich sind: Wenn nicht immer nur gelabert wird, und nur weiße Männer die relevanten Posten bekleiden.
Wie ist euer Album entstanden?
Carlito: Wir waren uns nach dem Vorgänger „Allez“ziemlich schnell sicher, dass es weitergehen soll. „Allez“kam im Mai 2013 raus, dann hatten wir direkt zwei Touren. Im Dezember hatten wir noch ein bisschen Pause, und im Januar ging schon der neue Albumprozess los, was auf jeden Fall bisschen übertrieben ambitioniert war. Wir haben es geschafft, aber kräftemäßig hat das sehr gezehrt. Wir waren 2014 auch im Senegal. Wir haben noch eine riesige Festivalsaison gespielt, mit 16 Festivals oder so. Und Ende September bis Ende Januar waren wir dann durchgehend im Studio. Die Motivation war da, aber ich glaube nicht, dass wir es nochmal so machen werden. Um aufs Positive zu kommen: Der Sound ist noch drumlastiger und geht noch mehr nach vorne. Wir haben früh eine ziemlich klare Version des Sounds gehabt. Deshalb war es schon eine coole Erfahrung.
Wenn man das hört, könnte man meinen, ihr appelliert mit dem Song „Zu schnell“auch an euch selbst.
Mal Élevé: Auf jeden Fall. Carlito: Definitiv. Das ist auch eine Form der Selbstkritik. Bei jedem Song ist immer Selbstkritik enthalten. Wir können mit den Songs ja nur einen Spiegel hinstellen, und da verarbeitet man natürlich auch seine eigenen nervigen Sachen.
Was bekommt ihr eigentlich für Feedback auf eure Zweisprachigkeit?
Mal Élevé: Carlito und ich sind Geschwister und zweisprachig aufgewachsen. Deshalb hat sich Französisch angeboten: Es ist die einfachere Sprache, um Musik zu machen. Man kann sich oft besser ausdrücken. In der Musik ist Französisch nicht so verklemmt und verkrampft. Wobei sich in der deutschsprachigen Musik in den letzten Jahren auch viel getan hat. Deshalb haben wir von Anfang an viel auf Französisch gesungen. Dadurch haben sich viele Hörer auch mit der französischen Sprache auseinandergesetzt und für sich übersetzt, was die Songs bedeuten.