Kreta kennt keine Krise
Trotz einiger Schattenseiten boomt auf der griechischen Insel der Tourismus
Von wegen Krise: Auf der griechischen Ferieninsel Kreta brummt das Geschäft mit den Touristen. Ein wenig teurer nur als an der türkischen Riviera. Und viel günstiger als an der italienischen Adria oder der französischen Côte d’Azur. Das kleine Wunder, auf das die Griechen nach schlimmen Einbrüchen auch in der Urlaubsbranche so lange gewartet haben, währt nun schon das zweite Jahr und hat gute Gründe – trotz Korruption und Vetternwirtschaft.
Womöglich liegt’s an der Fröhlichkeit, die vielen Griechen trotz allem geblieben ist. „Ein Lächeln macht viel Licht und kostet keinen Strom“, sagt der Strandchef einer Nobel-Eisdiele an der Stadtküste von Rethymno. Hier sind die Portionen irgendwie noch ein wenig größer, die Kellner und Kellnerinnen noch ein wenig netter. Die doppelte Latte macchiato, fast so groß wie ein bayerisches Bierglas, kostet drei Euro, gebrüht mit italienischen Bohnen vom Feinsten.
Wer ein wenig Zeche macht, hat Strandliege und Sonnenschirm meistens mit drin im Getränkepreis. Kontrolliert wird das ohnehin nur höchst dezent, wenn überhaupt. Selbst an der touristisch stärker erschlossenen Südküste mit den malerischen Felsen gibt es reichlich Buchten, an de-
nen es keinen Cent kostet, Sand und Sonne zu genießen. Und jene verschlafenen Tavernen, in denen zehn Euro für ein Abendessen nebst reichlich Hauswein genügen.
Im Supermarkt ist der Wein oft teurer als im Restaurant. Das leitet über zu den Schattenseiten. Speziell Lebensmittel kosten deutlich mehr als daheim in Deutschland, zumal bei den großen Ketten. 13 Prozent Mehrwertsteuer auf Lebensmittel schlagen ins Kontor, auf Wein sind gar 23 Prozent fällig. Der Zigarettenpreis hat sich binnen zehn Jahren nahezu verdoppelt – und das in einem Land, in dem es mehr Raucher gibt als irgendwo sonst in Europa. Auch das Tanken ist deutlich teurer geworden – ein Liter Super kostet fast dreißig Cent mehr als in Deutschland.
Die Straßen sind trotzdem voll mit Autos, darunter viele neueren Jahrgangs, oft aus Japan oder Korea, seltener aus Deutschland. Und die Griechen rauchen trotz Tabaksteuer-Explosion wie die Lokomotiven. Dimitri, der die Brauchwasserpumpe in unserem Ferienhaus repariert, sagt trotzig, dass er das Arbeiten aufhören wird, wenn er sich das Benzin und die Zigaretten nicht mehr leisten kann. Sein Glück bisher: Noch gibt es kaum Installateure unter den Schwarzarbeitern aus Albanien, dem Armenhaus gleich um die Ecke. Die malochen nämlich für einen Fünfer, grollt der stolze Grieche. Und sie machen die Baulöwen reich, die der florierende Immobilienmarkt anlockt, bis aus Russland.
Gebaut wird unter abenteuerlichen Umständen, nicht selten ohne Genehmigung. Ausländische Käufer brauchen da gute Nerven. Wie der bayerische Ruhestandsunternehmer, dem unser Ferienhaus gehört, das obendrein kein Schnäppchen war: Kein verbrieftes Wegerecht, keine gesicherte Wasserversorgung, und das Zauberwort, das ihn um den Schlaf bringt, lautet „Legalisierung“. Das bedeutet jede Menge Laufereien zu Behörden, saftige Gebühren und ab und an auch reichlich Schmiergeld. „Dass wir einen Schwarzbau haben,“klagt der Bayer, „kam erst raus, als der Kaufvertrag unterschrieben war.“
Die meisten Anwälte, die der Mann in seiner Not aufsuchte, lehnten ein Mandat in dieser Sache von vorneherein ab: „Einer sagte, wenn er gegen meinen Bauunternehmer vorgehe, läge er bald mit Betonschuhen ertrunken im Meer.“Jetzt hat er mit Irena eine junge Anwältin gefunden, die ihm wenigstens beim Kuhhandel mit den Behörden hilft, um den Schwarzbau zu legalisieren. Sie hat zwei kleine Kinder, arbeitet trotzdem 30 Stunden die Woche – für 1600 Euro im Monat, brutto. Neuerdings, sagt Irena, muss sie ihr Gehalt auch noch vom ersten Cent an versteuern, der Freibetrag wurde gestrichen im Rahmen der Sparprogramme, die gefühlt hauptsächlich die Normalbürger treffen.
Unser Vermieter glaubt, so viele Radarfallen habe er noch nie gesehen in seinen vielen Jahren auf Kreta. Sogar das Rauchverbot in Kneipen wird nun strenger kontrolliert. Der Verdacht, dass es bei solchem Behördeneifer hauptsächlich um Bußgelder geht, sitzt tief. In vielen Wirtshäusern wird nach der Essenszeit trotzdem geraucht. Aber den Quittungsbon aus der Computer-Kasse, den drängen uns die Kellner richtiggehend auf. Schließlich hatte die Regierung schon mal die Idee, Touristen als Steuerfahnder anzuheuern.
Auch von dem Plan, die HotelMehrwertsteuer saftig von sechs auf 13 Prozent anzuheben, hat der forsche Finanzminister bisher abgelassen. Womöglich, weil der Tourismus die einzige Branche im Lande ist, die nicht schwächelt. 23 Prozent Zuwachs bei den Gästezahlen ermittelte der Fremdenverkehrsverband fürs vergangene Jahr. Heuer lagen die Sommer-Buchungen schon im Winter um 15 Prozent darüber. Vor allem die Türkei hat darunter zu leiden, dass die griechischen Hotels mit ih- ren stark abgemagerten Lohnkosten selbst bei Kampfpreis-Ferien konkurrenzfähig geworden sind. Mit 15 Euro ist die Arbeitsstunde in Griechenland bis heute billiger als vor der Finanzkrise – und nur halb so teuer wie in Deutschland oder Frankreich.
Da sind sogar für Neckermänner fünf Sterne drin: Das beste Haus der mittleren Nordküste war über Pfingsten im „Last Minute“-Angebot für knapp über 500 Euro zu haben, vier Tage mit Halbpension und Flug nach Heraklion. Nicht nur die Lufthansa fliegt seit Mai regelmäßig von München dorthin, auch viele BilligAirlines haben das Griechenlandgeschäft neu entdeckt.
Über Politik zu reden, fällt schwer auf Kreta. Die meisten Ansprechpartner – für Urlauber naturgemäß hauptsächlich Leute aus der Gastronomie – lehnen das freundlich, aber bestimmt ab: „Du und ich“, sagt der nette Strandkellner von Rethymno, „wir haben doch kein Problem. Und
wenn Frau Merkel mal hier sitzen sollte, kriegt sie auch ihren Kaffee und ein Lächeln.“Und Finanzminister Varoufakis mit seinen Mehrwertsteuer-Plänen? „Noch ist nichts schlechter geworden als bei den Konservativen“, glaubt unser Eisverkäufer. Und selbst der leidgeprüfte Ferienhausvermieter nickt dazu: „Schlimmer konnte es ja auch nicht werden.“
Mehr Versöhnliches gefällig, ausnahmsweise mit Namensnennung? Bei Aleko, der kleinen Dorftaverne von Armeni an der Straße von Rethymno zur Südküste, gibt es griechischen Wein vom Fass und keine Speisekarte. Gegessen wird, was die Saison hergibt und auch dem Wirt schmeckt. In unserem Fall Gebratenes vom Schwein, vom Rind, vom Huhn und vom Stallhasen – nicht wahlweise, sondern reichlich von allem für alle. Dazu frisch gebackenes Brot und riesige Schüsseln voll Salat. Dann noch griechische Buletten und wunderbar großflächige Kotellets von Schweinen, die hier noch erwachsen werden dürfen. Süßes hinterher und natürlich den obligatorischen Gratis-Schnaps, nicht im Gläschen, sondern gleich die ganze Flasche. Am Ende stehen für vier Personen 70 Euro auf der Rechnung – und das in einem Haus, in dem die begeisterten Kritiken der griechischen Gourmet-Presse eine ganze Wand füllen.
Am Nebentisch lassen es sich drei orthodoxe Priester gut gehen. Alle wohlbeleibt und erkennbar guter Dinge. Draußen auf der RaucherLoggia sitzen wie so oft die Männer vom Dorf bis spät in die Nacht. Sie trinken jetzt halt vielleicht einen oder zwei Kaffees weniger als in besseren Jahren.