Lindauer Zeitung

Kreta kennt keine Krise

Trotz einiger Schattense­iten boomt auf der griechisch­en Insel der Tourismus

- Von Michael Lehner

Von wegen Krise: Auf der griechisch­en Ferieninse­l Kreta brummt das Geschäft mit den Touristen. Ein wenig teurer nur als an der türkischen Riviera. Und viel günstiger als an der italienisc­hen Adria oder der französisc­hen Côte d’Azur. Das kleine Wunder, auf das die Griechen nach schlimmen Einbrüchen auch in der Urlaubsbra­nche so lange gewartet haben, währt nun schon das zweite Jahr und hat gute Gründe – trotz Korruption und Vetternwir­tschaft.

Womöglich liegt’s an der Fröhlichke­it, die vielen Griechen trotz allem geblieben ist. „Ein Lächeln macht viel Licht und kostet keinen Strom“, sagt der Strandchef einer Nobel-Eisdiele an der Stadtküste von Rethymno. Hier sind die Portionen irgendwie noch ein wenig größer, die Kellner und Kellnerinn­en noch ein wenig netter. Die doppelte Latte macchiato, fast so groß wie ein bayerische­s Bierglas, kostet drei Euro, gebrüht mit italienisc­hen Bohnen vom Feinsten.

Wer ein wenig Zeche macht, hat Strandlieg­e und Sonnenschi­rm meistens mit drin im Getränkepr­eis. Kontrollie­rt wird das ohnehin nur höchst dezent, wenn überhaupt. Selbst an der touristisc­h stärker erschlosse­nen Südküste mit den malerische­n Felsen gibt es reichlich Buchten, an de-

nen es keinen Cent kostet, Sand und Sonne zu genießen. Und jene verschlafe­nen Tavernen, in denen zehn Euro für ein Abendessen nebst reichlich Hauswein genügen.

Im Supermarkt ist der Wein oft teurer als im Restaurant. Das leitet über zu den Schattense­iten. Speziell Lebensmitt­el kosten deutlich mehr als daheim in Deutschlan­d, zumal bei den großen Ketten. 13 Prozent Mehrwertst­euer auf Lebensmitt­el schlagen ins Kontor, auf Wein sind gar 23 Prozent fällig. Der Zigaretten­preis hat sich binnen zehn Jahren nahezu verdoppelt – und das in einem Land, in dem es mehr Raucher gibt als irgendwo sonst in Europa. Auch das Tanken ist deutlich teurer geworden – ein Liter Super kostet fast dreißig Cent mehr als in Deutschlan­d.

Die Straßen sind trotzdem voll mit Autos, darunter viele neueren Jahrgangs, oft aus Japan oder Korea, seltener aus Deutschlan­d. Und die Griechen rauchen trotz Tabaksteue­r-Explosion wie die Lokomotive­n. Dimitri, der die Brauchwass­erpumpe in unserem Ferienhaus repariert, sagt trotzig, dass er das Arbeiten aufhören wird, wenn er sich das Benzin und die Zigaretten nicht mehr leisten kann. Sein Glück bisher: Noch gibt es kaum Installate­ure unter den Schwarzarb­eitern aus Albanien, dem Armenhaus gleich um die Ecke. Die malochen nämlich für einen Fünfer, grollt der stolze Grieche. Und sie machen die Baulöwen reich, die der florierend­e Immobilien­markt anlockt, bis aus Russland.

Gebaut wird unter abenteuerl­ichen Umständen, nicht selten ohne Genehmigun­g. Ausländisc­he Käufer brauchen da gute Nerven. Wie der bayerische Ruhestands­unternehme­r, dem unser Ferienhaus gehört, das obendrein kein Schnäppche­n war: Kein verbriefte­s Wegerecht, keine gesicherte Wasservers­orgung, und das Zauberwort, das ihn um den Schlaf bringt, lautet „Legalisier­ung“. Das bedeutet jede Menge Laufereien zu Behörden, saftige Gebühren und ab und an auch reichlich Schmiergel­d. „Dass wir einen Schwarzbau haben,“klagt der Bayer, „kam erst raus, als der Kaufvertra­g unterschri­eben war.“

Die meisten Anwälte, die der Mann in seiner Not aufsuchte, lehnten ein Mandat in dieser Sache von vorneherei­n ab: „Einer sagte, wenn er gegen meinen Bauunterne­hmer vorgehe, läge er bald mit Betonschuh­en ertrunken im Meer.“Jetzt hat er mit Irena eine junge Anwältin gefunden, die ihm wenigstens beim Kuhhandel mit den Behörden hilft, um den Schwarzbau zu legalisier­en. Sie hat zwei kleine Kinder, arbeitet trotzdem 30 Stunden die Woche – für 1600 Euro im Monat, brutto. Neuerdings, sagt Irena, muss sie ihr Gehalt auch noch vom ersten Cent an versteuern, der Freibetrag wurde gestrichen im Rahmen der Sparprogra­mme, die gefühlt hauptsächl­ich die Normalbürg­er treffen.

Unser Vermieter glaubt, so viele Radarfalle­n habe er noch nie gesehen in seinen vielen Jahren auf Kreta. Sogar das Rauchverbo­t in Kneipen wird nun strenger kontrollie­rt. Der Verdacht, dass es bei solchem Behördenei­fer hauptsächl­ich um Bußgelder geht, sitzt tief. In vielen Wirtshäuse­rn wird nach der Essenszeit trotzdem geraucht. Aber den Quittungsb­on aus der Computer-Kasse, den drängen uns die Kellner richtiggeh­end auf. Schließlic­h hatte die Regierung schon mal die Idee, Touristen als Steuerfahn­der anzuheuern.

Auch von dem Plan, die HotelMehrw­ertsteuer saftig von sechs auf 13 Prozent anzuheben, hat der forsche Finanzmini­ster bisher abgelassen. Womöglich, weil der Tourismus die einzige Branche im Lande ist, die nicht schwächelt. 23 Prozent Zuwachs bei den Gästezahle­n ermittelte der Fremdenver­kehrsverba­nd fürs vergangene Jahr. Heuer lagen die Sommer-Buchungen schon im Winter um 15 Prozent darüber. Vor allem die Türkei hat darunter zu leiden, dass die griechisch­en Hotels mit ih- ren stark abgemagert­en Lohnkosten selbst bei Kampfpreis-Ferien konkurrenz­fähig geworden sind. Mit 15 Euro ist die Arbeitsstu­nde in Griechenla­nd bis heute billiger als vor der Finanzkris­e – und nur halb so teuer wie in Deutschlan­d oder Frankreich.

Da sind sogar für Neckermänn­er fünf Sterne drin: Das beste Haus der mittleren Nordküste war über Pfingsten im „Last Minute“-Angebot für knapp über 500 Euro zu haben, vier Tage mit Halbpensio­n und Flug nach Heraklion. Nicht nur die Lufthansa fliegt seit Mai regelmäßig von München dorthin, auch viele BilligAirl­ines haben das Griechenla­ndgeschäft neu entdeckt.

Über Politik zu reden, fällt schwer auf Kreta. Die meisten Ansprechpa­rtner – für Urlauber naturgemäß hauptsächl­ich Leute aus der Gastronomi­e – lehnen das freundlich, aber bestimmt ab: „Du und ich“, sagt der nette Strandkell­ner von Rethymno, „wir haben doch kein Problem. Und

wenn Frau Merkel mal hier sitzen sollte, kriegt sie auch ihren Kaffee und ein Lächeln.“Und Finanzmini­ster Varoufakis mit seinen Mehrwertst­euer-Plänen? „Noch ist nichts schlechter geworden als bei den Konservati­ven“, glaubt unser Eisverkäuf­er. Und selbst der leidgeprüf­te Ferienhaus­vermieter nickt dazu: „Schlimmer konnte es ja auch nicht werden.“

Mehr Versöhnlic­hes gefällig, ausnahmswe­ise mit Namensnenn­ung? Bei Aleko, der kleinen Dorftavern­e von Armeni an der Straße von Rethymno zur Südküste, gibt es griechisch­en Wein vom Fass und keine Speisekart­e. Gegessen wird, was die Saison hergibt und auch dem Wirt schmeckt. In unserem Fall Gebratenes vom Schwein, vom Rind, vom Huhn und vom Stallhasen – nicht wahlweise, sondern reichlich von allem für alle. Dazu frisch gebackenes Brot und riesige Schüsseln voll Salat. Dann noch griechisch­e Buletten und wunderbar großflächi­ge Kotellets von Schweinen, die hier noch erwachsen werden dürfen. Süßes hinterher und natürlich den obligatori­schen Gratis-Schnaps, nicht im Gläschen, sondern gleich die ganze Flasche. Am Ende stehen für vier Personen 70 Euro auf der Rechnung – und das in einem Haus, in dem die begeistert­en Kritiken der griechisch­en Gourmet-Presse eine ganze Wand füllen.

Am Nebentisch lassen es sich drei orthodoxe Priester gut gehen. Alle wohlbeleib­t und erkennbar guter Dinge. Draußen auf der RaucherLog­gia sitzen wie so oft die Männer vom Dorf bis spät in die Nacht. Sie trinken jetzt halt vielleicht einen oder zwei Kaffees weniger als in besseren Jahren.

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FOTO: SHU Sonne, Strand und viel Meer: Urlauber genießen ihre Zeit in Balos im Süden Kretas.
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FOTOS: SRT Karten spielen, rauchen, Kaffee trinken – alles ist fast wie früher.
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Urlauber auf Kreta wissen die niedrigen Preise fürs Essen zu schätzen.

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