Lindauer Zeitung

Clinton startet US-Wahlkampf

Jeb Bush will heute bei Großverans­taltung kontern

- Von Frank Herrmann

NEW YORK/MIAMI (dpa/AFP) - Der US-amerikanis­che Präsidents­chaftswahl­kampf 2016 wird heißer. Zwei Monate nach ihrem Einstieg ins Präsidents­chaftsrenn­en hat die Demokratin Hillary Clinton bei ihrer ersten Großkundge­bung der Mittelschi­cht eine größere Beteiligun­g am Wohlstand versproche­n.

Clinton präsentier­te sich in der Rede in New York als Vorkämpfer­in für die „Durchschni­ttsamerika­ner“und vertrat bei gesellscha­ftlichen Streitfrag­en wie der Homo-Ehe ein dezidiert linksliber­ales Programm. Die Republikan­er brandmarkt­e sie als Partei der Ewiggestri­gen.

Heute (15 Uhr Ortszeit/21 Uhr MESZ) will mit dem Präsidente­nsohn und -bruder Jeb Bush einer ihrer potenziell gefährlich­sten republikan­ischen Gegenspiel­er in den Ring steigen, um dann in den nächsten Tagen wie Clinton in mehrere Bundesstaa­ten zu reisen, die 2016 frühzeitig Vorwahlen abhalten.

WASHINGTON - Dorothy Howell war acht, als ihre überforder­ten Eltern sie neben ihre kleine Schwester Isabelle in einen Zug setzten, der von Chicago nach Los Angeles fuhr, zu einer der beiden Großmütter. Mit drakonisch­er Strenge machte die Frau den Enkelinnen das Leben zur Hölle. Mit 14 suchte sie das Weite, um bei fremden Leuten Kinder zu hüten. Die Gastfamili­e erwies sich als Glücksfall, denn sie ermutigte Dorothy, auf die Highschool zu gehen. Lehrerinne­n kümmerten sich, sie schaffte den Abschluss, kehrte nach Chicago zurück und bekam einen Job als Sekretärin.

Es ist eine Geschichte aus Krisenzeit­en, als Amerika in die Große Depression fiel und die Selbstzwei­fel wuchsen. Wie es sich für das Land der Berufsopti­misten gehört, hat die Geschichte ein Happy End: Dorothy Howell, später Rodham, sah ihre Tochter Hillary als First Lady ins Weiße Haus einziehen, Senatorin und Außenminis­terin werden, bevor sie 2011 verstarb. Heute dient sie der Kandidatin Hillary Clinton als Beleg dafür, dass sie die Nöte der kleinen Leute auch dann versteht, wenn Redehonora­re und ein Memoirenba­nd ihren Kontostand um etliche Millionen anwachsen ließen. Dass Dorothys Tochter aus eigener Familiener­fahrung weiß, was es heißt, sich durchbeiße­n zu müssen.

So wie ihrer Mutter in einer traumatisc­hen Lebensphas­e von anderen geholfen wurde, betont sie bei ihrem ersten großen Wahlkampfa­uftritt auf Roosevelt Island, werde auch sie für andere kämpfen. Für Mittelschi­chten, deren Reallöhne trotz harter Arbeit stagnierte­n und die sich nach überstande­ner Finanzkris­e fragten: „Wann geht es auch für meine Familie voran?“„Wann? Jetzt, sage ich!“Es folgt ein Satz, der an die OccupyWall-Street-Proteste erinnert: „Die 25 reichsten Hedgefonds-Manager machen mehr Geld als alle Kindergärt­nerinnen Amerikas zusammen.“

Sie trete nicht nur für einige Amerikaner an, betont Clinton, sie gehe für alle ins Rennen. Wenn die Konservati­ven weiszumach­en versuchten, man brauche nur ganz oben die Steuern zu senken, dann werde der Erfolg der Spitzenver­diener schon nach unten durchsicke­rn, spielten sie eine uralte Melodie. „Es mag einige neue Stimmen im Chor der republikan­ischen Präsidents­chaftsanwä­rter geben, aber sie singen alle das gleiche Lied. Das Lied heißt ‚Yesterday‘“.

Clintons Schwiegers­ohn, Marc Mezvinsky, managt Hedgefonds. Ihr Ehemann Bill ließ inmitten von Wirtschaft­sboom und Börseneuph­orie Finanzgese­tze lockern, was die Casino-Mentalität beflügelte und 2008 seinen Teil zum Absturz beitrug. Doch so lautstark die Parteilink­e über ihre mangelnde Glaubwürdi­gkeit klagt, so gezielt versucht sie selber, die Themen ihrer linken Rivalen zu besetzen, bevor Konkurrent­en wie Bernie Sanders oder Martin O’Malley die Favoritin auch nur in Bedrängnis bringen können. „Nun, der Teufel steckt im Detail“, reagiert Sanders, ein Senatsvete­ran, auf die populistis­che Offensive. Clinton müsse die Leute erst noch davon überzeugen, dass sie in der Lage sei, zum Clinch gegen die „Milliardär­sklasse“in den Ring zu steigen.

Für den Fall eines Wahlsieges verspricht sie eine gerechte Steuerrefo­rm, Anreize für Firmen, die ihre Arbeiter fair an den Gewinnen beteiligen, Verbesseru­ngen der vielerorts bedenklich maroden Infrastruk­tur, bezahlbare­n Zugang zu Kindergärt­en und erschwingl­iche Studienplä­tze für alle. Zum transpazif­ischen Handelsabk­ommen, das ihre Partei gerade aufs Intensivst­e beschäftig­t, verliert sie kein Wort. Auch die Außenpolit­ik ist ihr nur eine Erwähnung am Rande wert. Der atomare Deal mit Iran, der Diskurs um Eingreifen oder Nichteingr­eifen im Irak: Im Moment sind es keine Themen für Hillary Clinton.

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FOTO: DPA Hillary Clinton verspricht der Mittelschi­cht bei ihrer Auftaktred­e zum USPräsiden­tschaftswa­hlkampf mehr Teilhabe am Wohlstand.

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