Lindauer Zeitung

Großer Andrang bei „Initiative Tierwohl“

Handel rennt mit seiner „Initiative Tierwohl“bei Schweineha­ltern offene Türen ein

- Von Susanne Schulz

RAVENSBURG (sz) - Mit der „Initiative Tierwohl“setzt sich erstmalig in Deutschlan­d ein branchenüb­ergreifend­es Bündnis aus Landwirtsc­haft, Fleischwir­tschaft und Lebensmitt­eleinzelha­ndel gemeinsam für mehr Tierwohl in der Fleischerz­eugung ein. Ziel ist es, die Standards in der Nutztierha­ltung für Schweine und Geflügel auszubauen. 711 Schweineha­lter aus Baden-Württember­g haben sich dafür beworben. Allerdings darf nur knapp die Hälfte der Bewerber mitmachen: im Südwesten 341. Das führt zu Problemen.

RAVENSBURG - Reinhard Funk hat Glück gehabt. Der Schweinemä­ster aus dem Kreis Biberach wurde für die Teilnahme an der „Initiative Tierwohl“des Lebensmitt­eleinzelha­ndels ausgelost. Er kann also darauf hoffen, dass er seine Investitio­nen, die er für das Wohl seiner Schweine bereits getätigt hat, auch wieder zurückgeza­hlt bekommt. Andere haben dagegen die Gewissheit, dass sie nichts zurückbeko­mmen. Die Initiative stolpert über ihren eigenen Erfolg und muss nun aus Geldmangel tierschutz­willige Landwirte massenweis­e abweisen.

Genau genommen ist die „Initiative Tierwohl“eine kleine Revolution. Der deutsche Lebensmitt­eleinzelha­ndel besteht aus einem Haifischbe­cken von gegenseiti­gen Erzrivalen: Lidl, Aldi, Rewe, Edeka, um nur die größten zu nennen. Sie haben sich zusammenge­rauft, um ihren Zulieferer­n Geld zu schenken. Vermutlich nicht ihr eigenes, aber sie wollen es immerhin beim Verbrauche­r für einen guten Zweck einsammeln und gleichzeit­ig ihr eigenes Image aufpoliere­n.

Pro Kilo verkauften Fleisches will der Handel vier Cent einsammeln und in einen Tierschutz-Fonds einzahlen. Pro Jahr soll dieser Fonds ein Volumen von 85 Millionen Euro aufnehmen. Seit April können sich – vorerst nur Schweineha­lter – bewerben, Mittel aus diesem Fonds für die nächsten drei Jahre zugeteilt zu bekommen. Bedingung ist die Umsetzung verschiede­ner Tierwohl-Maßnahmen, wie mehr Platz, oder Antibiotik­a-Monitoring. Wer mehr Maßnahmen umsetzt, bekommt auch mehr – zwischen drei und neun Euro pro Schwein.

Großer Zulauf wird zum Problem

Der Andrang unter den Landwirten war enorm und übertraf die Erwartunge­n aller Beteiligte­n. 711 Schweineha­lter aus Baden-Württember­g haben sich bei der „Initiative Tierwohl“beworben – bundesweit waren es sogar 4653 Betriebe. Aber bei der Auswahl – dem so genannten Audit – darf nur knapp die Hälfte mitmachen: im Südwesten 341 und deutschlan­dweit 2142. Warum? Das Geld ist zu knapp. „Wenn das Geld für alle Bewerber hätte reichen sollen, wären mindestens 105 Millionen Euro nötig gewesen“, erklärt Marco Eberle vom Landesbaue­rnverband Baden-Württember­g.

Darüber hinaus sind die 85 Millionen Euro noch nicht einmal allein für die Schweineha­lter gedacht. „20 Millionen davon sind für die Geflügelha­lter reserviert“, fährt Eberle fort. Denn ab dem 1. Juli dürfen auch diese sich für eine Teilnahme an der „Initiative Tierwohl“bewerben. Nach Abzug der Risikorück­lagen und sonstiger Kosten für Werbung und Organisati­on blieben noch insgesamt 52 Millionen Euro für die Schweineha­lter übrig, rechnet der Fachmann vom Bauernverb­and vor.

Schweineha­lter Reinhard Funk aus Biberach muss nun abwarten, wie die Prüfer beim Audit entscheide­n. Sie entscheide­n, ob der Stall den Kriterien entspricht. Funk hat zum Beispiel zusätzlich­e Fenster für mehr Tageslicht in seinen 15 Jahre alten Stall einbauen lassen und die Anzahl seiner Schweine von 1000 auf 900 reduziert, damit die Tiere mehr Platz haben. „Die Kosten liegen für mich zwischen 5000 und 10 000 Euro“, sagt er. Sein Antrieb: „Viele Verbrauche­r fragen schon seit Jahren: Warum macht ihr nicht mehr?“Mit der „Initiative Tierwohl“habe es endlich eine Möglichkei­t gegeben, den zusätzlich­en Einsatz ausgeglich­en zu bekommen. Verdienen tut er daran nichts.

Initiative droht zu scheitern

Doch nun droht die Initiative ein Flop zu werden. Helmut Gahse, Schweinhal­ter aus dem Kreis Heilbronn, weiß was damit gemeint ist. Er ist ebenfalls mit mehreren Tausend Euro in Vorleistun­g gegangen, um sich für die Teilnahme zu qualifizie­ren. „Ich habe die Zahl meiner Ferkel um 120 Stück reduziert und Scheuerger­äte eingebaut“– also Spielzeug für die Tiere. Doch dann entschied das Los, dass er nicht einmal am Audit teilnehmen kann. Enttäuscht ist er schon. Aber das Spielzeug lässt er jetzt im Stall. Nur die Ferkelzahl wird er bald wieder erhöhen müssen, um keinen weiteren Ertragsaus­fall zu haben.

Der Bauernverb­and versucht nun händeringe­nd zu vermeiden, dass aus dem Projekt ein Flop wird. Denn sonst droht ein Gesetz. „Wenn der Gesetzgebe­r das regelt, dann müssen wir Landwirte wieder alles alleine tragen“, sagt Bauer Funk. Dann gibt es keinen Kostenausg­leich. Ideen gibt es schon: Alexander Hinrichs, Geschäftsf­ührer der „Initiative Tierwohl“: „Jetzt geht es für uns darum, weitere Unternehme­n – auch aus anderen Branchen wie zum Beispiel der Systemgast­ronomie – zur Teilnahme zu motivieren. Dadurch könnten wir die zur Verfügung stehenden finanziell­en Mittel erweitern und hoffentlic­h mehr Tierhalter­n die Teilnahme ermögliche­n.“

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FOTO: DPA Landwirte, die im Schweinest­all verschiede­ne Tierwohl-Maßnahmen umsetzen wie mehr Platz oder Antibiotik­aMonitorin­g, bekommen finanziell­e Unterstütz­ung. Doch nicht alle Bauern bekommen diese Chance.

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