Lindauer Zeitung

Bundestags­verwaltung nach Cyber-Angriff unter Druck

Attacke auf IT-Infrastruk­tur bereits seit Wochen bekannt – Aufklärung gestaltet sich extrem schwierig

- Von Andreas Herholz und dpa

BERLIN - Galt der Hacker-Angriff auf den Bundestag vor allem der Kanzlerin? Ein Computer im Abgeordnet­enbüro von Angela Merkel soll zu den ersten gehört haben, auf denen der Trojaner entdeckt worden war. Der Cyber-Angriff auf das Parlament und die Folgen – nur langsam dringen neue Details an die Öffentlich­keit. Unter den Abgeordnet­en macht sich Unmut über das Krisenmana­gement und die Informatio­nspolitik von Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) breit. Der Attacke auf die Bundestags-IT war der Verwaltung und Teilen des Ältestenra­tes bereits seit Wochen bekannt. Lammert hielt sich jedoch mit der Informatio­n der Parlamenta­rier zurück. Der Präsident habe die Abgeordnet­en im Unklaren gelassen. Bundestags­vizepräsid­entin Petra Pau (Linke) soll im Ältestenra­t auf Diskretion gedrungen und dafür gesorgt haben, dass das Thema nicht auf die Tagesordnu­ng des Bundestage­s gekommen ist.

Vorwurf der Fehleinsch­ätzung und Verharmlos­ung

Der Vorwurf von Sicherheit­sexperten aus dem Parlament: Erst sei das Ausmaß und die Intensität des Angriffs nicht richtig erkannt und falsch eingeschät­zt worden. Dann habe das Bundestags­präsidium den Vorfall verharmlos­t. Dabei sei möglicherw­eise wertvolle Zeit für die Schadensbe­grenzung und Aufklärung verloren gegangen. Lammert hatte in der vergangene­n Woche nur mit einer knappen und vagen Presseerkl­ärung reagiert.

Unionsabge­ordnete forderten jetzt von ihm, Rede und Antwort über die Affäre zu stehen. Unklar bleibt auch, welche Konsequenz­en es für den Parlaments­betrieb geben wird. So könnten der Aufbau eines neuen Datensyste­ms und die Erneuerung der Software rund ein Jahr in Anspruch nehmen, heißt es aus Bundestags­kreisen.

Bisher sei davon auszugehen, dass 15 Computer von Bundestags­abgeordnet­en infiziert worden seien. Mindestens von fünf Rechnern seien Daten abgeflosse­n, hieß es aus Bundestags­kreisen. Offen bleibt, welche Dimension der Angriff auf den Rechner des Kanzlerinn­en-Büros hatte und ob auch von dort aus sensible Daten kopiert worden seien.

Während des Hacker-Angriffs auf den Bundestag hatte eine gefälschte E-Mail mit dem Absender „Angela Merkel“für Verwirrung unter Abgeordnet­en gesorgt. Bundestags­sprecher Ernst Hebeker bestätigte am Sonntag die Existenz des Schreibens mit dem Betreff „Einladung Telko“– was wohl für Telefonkon­ferenz stehen soll. Auch er selbst habe es bekommen, sagte Hebeker. „Es ist aber vollkommen unklar, ob diese Mail im Zusammenha­ng mit dem Cyber-Angriff steht.“Zeitgleich seien auch andere verdächtig­e Mails aufgetauch­t – etwa eine vermeintli­che Rechnung der Deutschen Telekom.

Der Cyber-Angriff auf das Parlament läuft seit rund vier Wochen. Das Computersy­stem wurde nach dem jüngsten Stand der Ermittlung­en mit Hilfe von E-Mails angegriffe­n und mit Schadsoftw­are infiziert. Den Hackern ist es dabei gelungen, tief in die IT-Infrastruk­tur des Parlaments vorzudring­en. Sicherheit­sexperten des Bundestage­s gehen fest davon aus, dass der Angriff von einem russischen Geheimdien­st gesteuert worden sei. Es gebe Parallelen zur Hacker-Attacke auf den französisc­hen Fernsehsen­der TV5 Monde vor wenigen Wochen, an dem auch ein russischer Hacker be

teiligt gewesen sein soll.

Die Ermittlung­en und die Aufklärung des Falls werden extrem schwierig. So wurden zuletzt die Speicherfr­isten für die Datenverbi­ndungen der Parlaments­büros von 90 Tagen auf nur noch sieben Tage verkürzt. Die Abgeordnet­en hatten dies im Rahmen des Falls des SPD-Bundestags­abgeordnet­en Edathy beschlosse­n, als bekannt geworden war, dass dessen IT-Verbindung­en nach der alten Regelung über Monate gesichert worden waren und so von den Ermittlern in dem Verfahren wegen des Verdachts auf Kinderporn­ographie genutzt werden konnten. Anders als die Bundesregi­erung verfügt der Deut- sche Bundestag nicht über ein Hochsicher­heitscompu­ternetz. Abgeordnet­e vor allem von den Grünen und der Linksfrakt­ion lehnten jetzt mit dem Hinweis auf ihre Unabhängig­keit auch Hilfe des Verfassung­sschutzes und des Bundesamte­s für Sicherheit und Informatio­nstechnik ab. Darüber und über notwendige Konsequenz­en aus der Attacke auf das IT-System des Bundestage­s gehen die Meinungen im Parlament auseinande­r.

Wie eine Umfrage der dpa ergab, müssen sich auch Landtage regelmäßig gegen Hacker-Angriffe zur Wehr setzen. Allerdings sind diese bei weitem nicht so massiv. So werden auf das Computerne­tzwerk des Landtags von Nordrhein-Westfalen nach Angaben eines Sprechers fast jeden Tag Angriffe gestartet. In Niedersach­sen registrier­t das Innenminis­terium eine Zunahme gezielter und profession­alisierter Angriffe auf das Netz der Landesverw­altung. Auch die Landesparl­amente in Bayern und im Saarland waren in der Vergangenh­eit Ziel von Hackern.

Dass Angreifer enorme Schäden verursache­n können, musste die Landesregi­erung von Sachsen-Anhalt 2013 mit ihrem Portal www.sachsenanh­alt.de erleben. Ein Hacker legte die Seite damals zeitweise lahm.

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FOTO: DPA Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU, li.) gerät im Zuge der Aufarbeitu­ng des Hacker-Angriffs immer stärker in die Kritik.

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