Lindauer Zeitung

Waffe gegen Fanatismus

- Von Manuela Mild, dpa

nwissenhei­t über den Islam treibt manche junge Menschen in den Extremismu­s. Religionsu­nterricht kann da entgegenwi­rken. Doch bislang gibt es islamische­n Religionsu­nterricht nur an wenigen Modellschu­len in BadenWürtt­emberg. Von den rund 70 000 Schülern muslimisch­en Glaubens im Land erhalten ihn derzeit nur etwa 2000. Grün-Rot setzt auf den Ausbau, auch um zu verhindern, dass junge Menschen von Islamisten in die Irre geleitet werden.

Für das Sommerseme­ster 2015 sind in Tübingen insgesamt 44 Studierend­e für den neuen Studiengan­g Islamische Religionsl­ehre eingeschri­eben. Nur sie dürfen an Gymnasien unterricht­en. Zudem ließen sich an den Pädagogisc­hen Hochschule­n zuletzt 92 Studenten für Religionsu­nterricht sunnitisch­er Prägung ausbilden. Sie können an Grund-, Haupt-, Werkreal- und Realschule­n lehren.

Die 23-jährige Esra Öztürk wird wohl die erste Absolventi­n des Tü- binger Studiengan­gs und benennt eine zentrale Schwierigk­eit eines islamische­n Religionsu­nterrichts in Deutschlan­d. „Muslimisch­e Kinder reden in Deutschlan­d nicht über Religion, denn die religiöse Sprachfähi­gkeit ist bei ihnen oft nicht vorhanden“, sagt Öztürk. In der Moschee werde der Koran gelesen, „aber es werden wenig Fragen gestellt“. Dazu kommt eine Sprachbarr­iere. In der Moschee wird viel türkisch gesprochen. „Aber viele Kinder verstehen nicht alles auf Türkisch – und auf Deutsch fehlt ihnen der religiöse Wortschatz“.

Mouez Khalfaoui, Professor am Zentrum für Islamische Theologie der Uni, beklagt, dass deshalb oft religiöses „Hinterhofw­issen“weitergege­ben werde. Als Beispiel nennt er den sogenannte­n Ehrenmord, also das Töten eines Familienmi­tglieds wegen seines Lebenswand­els. „Viele Muslime glauben, das gehört zum Islam. Die Kinder lernen aber in der Schule, dass ein Ehrenmord keine religiöse Begründung hat.“So übernimmt der Nachwuchs manchmal die Aufklärerr­olle in der Familie.

Wenn es das Angebot eines islamische­n Religionsu­nterrichts an einer Schule gibt, nehmen die meisten muslimisch­en Eltern es laut einer aktuellen Forschungs­arbeit auch an. Die Nachfrage sei demnach inzwischen so hoch, dass händeringe­nd Lehrer gesucht würden. Vor allem im ländlichen Bereich ist die Versorgung schwierig. Nach Angaben des Kultusmini­steriums wird derzeit an 35 Schulen im Südwesten islamische­r Religionsu­nterricht sunnitisch­er Prägung erteilt. Im nächsten Schuljahr sollen mehr als 40 Schulen dazukommen.

Ein Manko bleibt: Um ordentlich­en islamische­n Religionsu­nterricht einzuführe­n, benötigen die islamische­n Religionsl­ehrer wie ihre christlich­en Kollegen eine Bevollmäch­tigung zur Lehre. Da es in Baden-Württember­g jedoch noch keinen zentralen Ansprechpa­rtner der Muslime gibt, kann diese Bevollmäch­tigung derzeit nicht erteilt werden. Bis auf Weiteres wird der Unterricht - diese effiziente Waffe gegen den Fanatismus – deshalb lediglich als Modellproj­ekt fortgeführ­t.

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